DER KETZER VON SOANA - Page 9

Bild von Gerhart Hauptmann
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er alsbald dazu, dem Sünder die
schrecklichen Folgen der Verstocktheit vorzustellen und die
versöhnliche Güte und Liebe Gottes des Vaters, die er durch das Opfer
seines einigen Sohnes bewiesen habe, das Opfer des Lammes, das die
Sünden der Welt auf sich nahm. Durch Jesum Christum, schloß er, kann
jede Sünde vergeben werden, vorausgesetzt, daß eine rückhaltlose
Beichte, verbunden mit Reue und Gebet, dem himmlischen Vater die
Zerknirschung des armen Sünders bewiesen hat.

Erst nachdem Francesco, der Priester, eine lange Weile gewartet hatte
und sich achselzuckend erhob, wie es schien, um davon zu gehen, begann
der Hirte ein unverständliches Durcheinander von Worten durch die
Kehle zu würgen: eine Art Gewölle, wie es der Raubvogel tut. Und mit
gespannter Aufmerksamkeit versuchte der Priester das Verständliche aus
dem Wuste festzuhalten. Aber dieses Verständliche erschien ihm ebenso
wie das Dunkle fremd und wunderbar. Nur so viel ward aus der
beängstigenden und beklemmenden Menge eingebildeter Dinge klar, daß
Luchino Scarabota sich seines Beistandes gegen allerlei Teufel, die in
den Bergen hausten und ihn bedrängten, versichern wollte.

Es hätte dem jungen, gläubigen Priester schlecht angestanden, am
Dasein und Wirken von bösen Geistern zu zweifeln. War doch die
Schöpfung erfüllt von allen Arten und Graden gefallener Engel aus dem
Gefolge Luzifers, des Empörers, den Gott verstoßen hatte; hier aber
grauste ihm, er wußte nicht, ob vor der Verfinsterung durch unerhörten
Aberglauben, auf die er traf, oder ob vor der hoffnungslosen
Erblindung durch Unwissenheit. Er beschloß, mittels einzelner Fragen
sich über den Vorstellungskreis und das Begriffsvermögen seines
Parochialen ein Urteil zu bilden.

Da ward denn alsbald ersichtlich: dieser wilde, verwahrloste Mensch
wußte nichts von Gott, noch viel weniger von Jesus Christus, dem
Heiland, am allerwenigsten vom Vorhandensein eines heiligen Geists.
Dagegen gewann es den Anschein, als fühle er sich von Dämonen umgeben
und sei besessen von einem düsteren Verfolgungswahn. Und in dem
Priester sah er nicht etwa den berufenen Diener Gottes, sondern viel
eher einen mächtigen Zauberer oder den Gott. Was sollte Francesco
anderes tun, als sich bekreuzigen, während der Hirte sich demütig auf
die Erde warf und mit feuchten, wulstigen Lippen seine Schuhe
abgöttisch zu belecken und mit Küssen zu bedecken begann.

Der junge Priester hatte sich noch niemals in einer ähnlichen Lage
befunden. Die dünne Bergluft, der Frühling, die Trennung von der
eigentlichen Schicht der Zivilisation brachten es mit sich, daß sein
Bewußtsein sich ein wenig umnebelte. Etwas wie ein traumhafter Bann
zog ins Bereich seiner Seele ein, darin sich die Wirklichkeit zu
schwebenden Luftgebilden auflöste. Diese Veränderung verband sich mit
einer leisen Furchtsamkeit, die ihm mehrmals schleunige Flucht hinab
ins Bereich der geweihten Kirchen und Glocken anraten wollte. Der
Teufel war mächtig, wer konnte wissen, wie viele Mittel und Wege er
hatte, den ahnungslosen, gutgläubigsten Christen hinanzulocken und vom
Rande eines schwindelerregenden Abgrunds hinabzustürzen.

Man hatte Francesco nicht gelehrt, daß die Götzen der Heiden nur leere
Gebilde der Phantasie und nichts weiter gewesen seien. Die Kirche
anerkannte ausdrücklich ihre Macht, nur daß sie dieselbe als eine Gott
feindliche hinstellte. Sie kämpften noch immer, wenn auch
hoffnungslos, mit dem allmächtigen Gott um die Welt. Deshalb erschrak
der bleiche, junge Priester nicht wenig, als sein Wirt ein hölzernes
Ding aus irgendeinem Winkel seiner Behausung hervorholte, eine
greuliche Schnitzerei, die zweifellos einen Fetisch vorstellte. Trotz
seines priesterlichen Abscheus vor dem zuchtlosen Gegenstand, konnte
Francesco nicht umhin, das Gebilde näher zu betrachten. Mit Abscheu
und Staunen gestand er sich, daß hier die scheußlichste, heidnische
Greuel, nämlich die des ländlichen Priapdienstes, noch lebendig sei.
Nichts anderes, als Priap konnte, wie klar ersichtlich war, das
primitive Kultbild vorstellen.

Kaum hielt Francesco den kleinen, harmlosen Zeugungsgott, den Gott der
ländlichen Fruchtbarkeit, der bei den Alten so offen in hohen Ehren
stand, als sich die sonderbare Umklammerung seines Wesens in heiligen
Zorn umsetzte. Er warf zunächst, ohne Überlegung, das schamlose,
kleine Alräunchen ins Feuer hinein, von wo es aber mit der
Schnelligkeit eines Hundes-Zufahren der Hirt im selben Augenblick
wieder herausholte. Es glimmte da und es brannte dort, wurde aber
sofort durch die rauhen Hände des Heidenmenschen in den alten
ungefährlichen Zustand versetzt. Nun mußte es aber, samt seinem
Retter, eine Flut von strafenden Worten über sich hingehen lassen.

Luchino Scarabota schien nicht zu wissen, welchen von beiden Göttern
er für den stärkeren halten sollte: den von Holz oder den von Fleisch
und Blut. Indessen hielt er den Blick, in dem sich Entsetzen und
Grauen mit tückischer Wut mischten, auf die neue Gottheit gerichtet,
deren frevelhafte Kühnheit jedenfalls nicht auf ein Bewußtsein von
Schwäche schließen ließ. Einmal im Zuge, ließ sich der Bote des
einigen und alleinigen Gottes in seinem heiligen Eifer durch noch so
gefährliche Blicke des umnachteten Götzendieners nicht einschüchtern.
Und ohne alle Umstände kam er nun auch auf die verruchte Sünde zu
sprechen, der, wie man allgemein behauptete, der Kindersegen des
Berghirten zu verdanken war.

In die lauten Reden des jungen Priesters platzte gleichsam die
Schwester Scarabotas hinein, die aber, ohne zu reden und nur
verstohlen den Eiferer musternd, sich da und dort in der Höhle zu tun
machte. Sie war ein bleiches und widerwärtiges Weib, dem Waschwasser,
wie es schien, eine unbekannte Sache war. Man sah ihren nackten Körper
durch die Risse verwahrloster Kleider unangenehm hindurch schimmern.

Nachdem der Priester geendet und seinen Vorrat von strafenden Anklagen
fürs erste erschöpft hatte, schickte das Weib den Bruder mit einem
kurzen, kaum hörbar gesprochenen Wort ins Freie hinaus. Ohne
Widerspruch war der wilde Mensch sogleich wie der folgsamste Hund
verschwunden. Hierauf küßte die schmutzstarrende Sünderin, der das
verfilzte, schwarze Haar über die breiten Hüften hing, mit den Worten
»Gelobt sei Jesus Christus!« dem Priester die Hand.

Gleich darauf brach sie in Tränen aus.

Sie sagte, der Priester habe ganz recht, wenn er sie mit harten Worten
verurteile. Sie habe sich allerdings versündigt gegen Gottes Gebot,
wenn auch keineswegs in der Weise, wie es die Verleumdung ihr
nachrede. Sie allein sei die Sünderin, ihr Bruder dagegen vollkommen
unschuldig. Sie schwor und zwar bei allen Heiligen, daß sie jener
fürchterlichen Sünde, der man sie zeihe, der Blutschande nämlich,
niemals verfallen wäre. Freilich habe sie unkeusch gelebt, und da sie
nun einmal im Beichten sei, so sei sie bereit, die Väter ihrer Kinder
zu beschreiben, wenn auch nicht alle namhaft zu machen. Denn nur die
wenigsten Namen wisse sie, da sie, wie sie sagte, aus Not oftmals ihre
Gunst an vorüberkommende Fremde verkauft habe.

Im übrigen habe sie ihre Kinder ohne jede Hilfe mit Schmerzen zur Welt
gebracht, und einige hätte sie müssen da und dort, bald nach der
Geburt, im Schutte des Generoso wieder begraben. Ob er sie nun
absolvieren könne oder nicht, sie wisse trotzdem, daß Gott ihr
verziehen habe, denn sie habe durch Nöte, Leiden und Sorgen genügsam
gebüßt.

Francesco konnte nicht anders, als die

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