DER KETZER VON SOANA - Page 12

Bild zeigt Gerhart Hauptmann
von Gerhart Hauptmann

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das Kreuz in
Francescos Seele eingebrannt. Man hatte ihn, nicht anders, wie wenn
man die Schafe einer Herde mit einem glühenden Stempel zeichnet, mit
dem Brandmal des Kreuzes versehen, und dieses Stigma war, im Wachen
und Träumen gegenwärtig, zum Wesenssymbol seiner selbst geworden. Nun
blickte der leidige und leibhaftige Satan über dem Kreuzesbalken
herab, und das höchst unsaubere, entsetzliche Satyr-Symbol nahm in
immerwährendem Wettstreit mehr und mehr die Stelle des Kreuzes ein.

Francesco hatte, neben dem Bürgermeister, vor allem seinem Bischof
über den Erfolg seines Hirtenganges Bericht erstattet, die Antwort,
die er von ihm erhielt, war eine Billigung seines Vorgehens. »Vor
allem,« schrieb der Bischof, »vermeiden wir jedes laute Ärgernis.« Er
fand es überaus klug, daß Francesco für die armen Sünder einen
besonderen und geheimen Gottesdienst auf Sant Agatha, in der Kapelle
der heiligen Mutter Mariens, anberaumt hatte. Aber die Anerkennung
seines Oberen konnte den Seelenfrieden Francescos nicht herstellen,
er vermochte den Gedanken nicht los zu werden, daß er von dort oben
mit einer Art Bezauberung behaftet zurückgekommen sei.

In Ligornetto, wo Francesco geboren war, und wo sein Oheim, der
berühmte Bildhauer, die letzten zehn Jahre seines Lebens zugebracht
hatte, war noch derselbe alte Pfarrer, der ihn als Knabe in die
Heilswahrheiten des katholischen Glaubens eingeführt und ihm den Weg
der Gnade gewiesen hatte. Diesen alten Priester suchte er eines Tages
auf, nachdem er den Weg von Soana bis Ligornetto in beiläufig drei
Stunden zurückgelegt hatte. Der alte Priester hieß ihn willkommen und
war mit sichtlicher Rührung bereit, die Beichte des jungen Mannes, die
er ihm abzulegen wünschte, entgegenzunehmen. Natürlich absolvierte er
ihn.

Francescos Gewissensnöte sind ungefähr in folgender Eröffnung, die er
dem Alten machte, ausgedrückt. Er sagte: »Seit ich bei den armen
Sündern auf der Alpe von Santa Croce war, befinde ich mich in einer
Art von Besessenheit. Ich schüttele mich. Es ist mir, als hätte ich
nicht etwa einen anderen Rock, sondern geradezu eine andere Haut
angezogen. Wenn ich den Wasserfall von Soana rauschen höre, so möchte
ich am liebsten in die tiefe Schlucht hinunterklettern und mich unter
die stürzenden Wassermassen stellen, stundenlang, gleichsam um
äußerlich und innerlich rein und gesund zu werden. Sehe ich das Kreuz
in der Kirche, das Kreuz über meinem Bett, so lache ich. Es will mir
nicht gelingen, wie früher, zu weinen und zu seufzen und mir die
Leiden des Heilands vorzustellen. Dagegen werden meine Augen von
allerlei Gegenständen angezogen, die dem Alräunchen des Luchino
Scarabota ähnlich sind. Manchmal sind sie ihm auch ganz unähnlich, und
ich sehe doch eine Ähnlichkeit. Um zu studieren, um mich in das
Studium der Kirchenväter recht tief versenken zu können, hatte ich
Vorhänge an die Fenster meines Stübchens gemacht. Ich habe sie nun
hinweg genommen. Der Gesang der Vögel, das Rauschen der vielen Bäche
durch die Wiesen, an meinem Haus nach der Schneeschmelze, ja, der Duft
der Narzissen störte mich. Jetzt öffne ich meine Fensterflügel weit,
um das alles recht gierig zu genießen.

Dies alles beängstet mich,« hatte Francesco fortgefahren, »aber es ist
vielleicht nicht das Schlimmste. Schlimmer ist vielleicht, daß ich,
wie durch schwarze Magie, in das Machtbereich unsauberer Teufel
geraten bin. Ihr Zwicken und Zwacken, ihr freches Kitzeln und Anreizen
zur Sünde, zu jeder Stunde Tages und Nachts, ist fürchterlich. Ich
öffne das Fenster, und durch ihren Zauber kommt es mir vor, als
strotze der Gesang der Vögel in dem blühenden Kirschbaum unter meinem
Fenster von Unzüchtigkeit. Ich werde durch gewisse Formen der Rinde
der Bäume herausgefordert und durch sie, ja, durch gewisse Linien der
Berge an Teile des corporis femini erinnert. Es ist ein schrecklicher
Sturmlauf hinterlistiger, tückischer und häßlicher Dämonen, dem ich
trotz aller Gebete und Kasteiungen überantwortet bin. Die ganze Natur,
ich sage es euch mit Schaudern, rauscht, braust und donnert manchmal
vor meinen erschrockenen Ohren ein ungeheures Phallus-Lied, womit sie,
wie ich trotz allen Sträubens zu glauben gezwungen bin, dem
erbärmlichen, kleinen, hölzernen Götzen des Hirten huldigt.

Dies alles steigert natürlich,« hatte Francesco fortgefahren, »meine
Unruhe und Gewissensnot, um so mehr, als ich es als meine Pflicht
erkenne, gegen den Pestherd oben auf der Alp als Streiter zu Felde zu
ziehen. Es ist aber immer noch nicht der ärgste Teil meines
Bekenntnisses. Schlimmer ist: sogar in die eigensten Pflichten meines
Berufs hat sich, mit einer gleichsam höllischen Süssigkeit, etwas wie
ein allesverwirrendes, unaustilgbares Gift gemischt. Ich bin zunächst
mit reiner und heiliger Gewalt durch die Worte Jesu von dem verlorenen
Schaf und dem Hirten, der die Herde verläßt, um es von den
unzugänglichen Felsen zurückzubringen, ergriffen worden. Nun aber
zweifle ich, ob diese Absicht noch immer in alter Reinheit vorhanden
ist. Sie hat an leidenschaftlichem Eifer zugenommen. Ich erwache des
Nachts, das Gesicht in Tränen gebadet, und alles löst sich, ob der
verlorenen Seelen da oben, bei mir in schluchzendes Mitleid auf. Doch
wenn ich sage: verlorene Seelen, so ist hier vielleicht der Punkt, wo
mit einem scharfen Schnitt die Lüge von der Wahrheit getrennt werden
muß. Nämlich die sündige Seele Scarabotas und seiner Schwester wird
vor meinem inneren Auge einzig und allein durch das Bild ihrer
Sündenfrucht, das heißt ihrer Tochter, eingenommen.

Ich frage mich nun, ob nicht unerlaubtes Verlangen nach ihr die
Ursache meines scheinbar gottgefälligen Eifers ist, und ob ich recht
tue und nicht Gefahr des ewigen Todes laufe, wenn ich mein scheinbar
gottgefälliges Werk fortsetze.«

Meist sehr ernst, doch einige Male lächelnd, hatte der alte,
welterfahrene Priester die pedantische Beichte des Jünglings angehört.
Dies war Francesco, wie er ihn kannte, mit seinem gewissenhaften,
äußeren und inneren Ordnungssinn und seinem Bedürfnis nach
übersichtlicher Akkuratesse und Sauberkeit. Er sagte: »Francesco,
fürchte dich nicht. Schreite nur weiter deinen Weg, wie du ihn immer
geschritten bist. Es kann dich nicht wundern, wenn sich die
Machenschaften des bösen Feindes gerade dann am mächtigsten und
gefährlichsten zeigen, wenn du daran gehst, ihm seine schon gleichsam
sicheren Opfer wiederum zu entreißen.«

In befreiter Stimmung trat Francesco aus der Pfarrwohnung auf die
Straße des kleinen Ortes Ligornetto heraus, in dem er seine erste
Jugend verlebt hatte. Es ist ein Dörfchen, das, auf breiter Talsohle
ziemlich flach gelegen, von fruchtbaren Feldern umgeben ist, auf dem
über Gemüse und Halmen-Früchten sich die Weinrebe, festgedrehten
dunklen Strängen gleich, von Maulbeerbaum zu Maulbeerbaum herüber und
hinüber schlingt. Auch diese Lage wird von den gewaltigen Schroffen
des Monte Generoso beherrscht, der hier, in seiner Westseite, von
seinen breiten Fundamenten aus majestätisch sichtbar wird.

Es war um die Mittagszeit, und Ligornetto befand sich, wie es schien,
in einem Zustand der Verschlafenheit. Francesco wurde auf seinem Gange
kaum von einigen gackernden Hühnern, einigen spielenden Kindern und am
Ende des Dorfes von einem kläffenden Hündchen begrüßt. Hier, nämlich
am Ende des Dorfes, war, wie ein Riegel, das mit den Mitteln eines
vermögenden Mannes errichtete Wohnhaus

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