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seines Oheims vorgeschoben, das
buen retiro jenes Vincenzo, des Bildhauers, das nun unbewohnt und als
eine Art Gedächtnisstiftung in den Besitz des Kantons Tessin
übergegangen war. Francesco schritt die Stufen zu dem verlassenen und
verwilderten Garten hinauf und gab alsdann dem plötzlich entstandenen
Wunsche nach, auch einmal das Innere des Hauses wiederzusehen. Nahe
wohnende Bauersleute, alte Bekannte, händigten ihm den Schlüssel aus.
Die Beziehungen, die der junge Priester zur Kunst hatte, waren die bei
seinem Stande herkömmlichen. Sein berühmter Oheim war seit etwa zehn
Jahren tot und nach dem Tage der Bestattung hatte Francesco die Räume
des berühmten Künstlerheims nicht wieder gesehen. Er hätte nicht sagen
können, was ihn auf einmal zum Besuche des leeren Hauses bewog, das er
bisher meist nur mit flüchtiger Anteilnahme im Vorübergehen betrachtet
hatte. Der Oheim war ihm niemals mehr, als eine Respektsperson, deren
Wirkungskreis ihm eine fremde, nichts bedeutende Sache war.
Als Francesco den Schlüssel im Schloß gewendet und durch die in
verrosteten Angeln knarrende Tür den Hausflur betrat, kam ihn ein
leiser Schauder an vor der verstaubten Stille, die ihm den
Treppenaufgang herab und von allenthalben aus den offenstehenden
Zimmern entgegen hauchte. Gleich rechts vom Hausflur war des
verstorbenen Künstlers Bibliothek, die sogleich erkennen ließ, daß
hier ein bildungseifriger Mann gelebt hatte. In niedrigen Schränken
fanden sich hier, außer Vasari, die sämtlichen Werke von Winckelmann,
während der italienische Parnaß durch die Sonette von Michelangelo,
durch Dante, Petrarca, Tasso, Ariost und andere vertreten war. In
eigens gebauten Schränken war eine Sammlung von Handzeichnungen und
Radierungen untergebracht, eine andere von Medaillen der Renaissance
und allerlei wertvolle Seltenheiten, darunter bemalte, etruskische
Tonvasen, und einige andere Antiken aus Bronze und Marmor waren im
Zimmer aufgestellt. Da und dort hing ein besonders schönes Blatt von
Lionardo und Michelangelo eingerahmt an der Wand, das etwa einen
männlichen oder weiblichen Körper nackt darstellte. Das folgende
kleine Kabinett war sogar beinahe von oben bis unten an dreien seiner
Wände mit solchen Objekten angefüllt.
Von da aus trat man in einen Kuppelsaal, dessen Höhe durch mehrere
Stockwerke reichte und der von oben sein Licht empfing. Hier hatte
Vincenzo mit Modellierholz und Meißel gearbeitet, und die Gipsabgüsse
seiner besten Schöpfungen füllten in einer gedrängten und stummen
Versammlung diesen beinahe kirchlichen Raum.
Beengt, ja, beängstigt und vor dem Hall seiner eignen Schritte
erschreckend, gleichsam mit bösem Gewissen war Francesco bis hierher
gelangt und ging nun daran, eigentlich zum erstenmal dieses und jenes
Werk des Oheims zu betrachten. Da war neben einer Statue Michelangelos
Ghiberti zu sehen. Ein Dante war da, Werke, die mit Punktierungszeichen
überdeckt waren, da man die Modelle vergrößert in Marmor ausgeführt
hatte. Aber diese weltberühmten Gestalten konnten die Aufmerksamkeit des
jungen Priesters nicht lange festhalten. Neben ihnen waren die Statuen
dreier junger Mädchen aufgestellt, der Töchter eines Marchese, der
vorurteilsfrei genug gewesen war, sie durch den Meister in völlig
unbekleidetem Zustande porträtieren zu lassen. Dem Ansehen nach war die
jüngste der jungen Damen nicht über zwölf, die zweite nicht über
fünfzehn, die dritte nicht über siebzehn Jahr. Francesco erwachte erst,
nachdem er die schlanken Körper lange selbstvergessen betrachtet hatte.
Diese Arbeiten trugen ihre Nacktheit nicht, wie die der Griechen, als
natürlichen Adel und Ebenbild der Gottheit zur Schau, sondern man
empfand sie als Indiskretion aus dem Alkoven. Erstlich war die Kopie der
Urbilder von diesen nicht losgelöst und als solche durchaus erkenntlich
geblieben: und diese Urbilder schienen zu sagen: wir sind unanständig
entblößt und gegen unseren Willen und unser Schamgefühl durch brutalen
Machtspruch entkleidet worden. Als Francesco aus seiner Versenkung
erwachte, pochte sein Herz, und er blickte furchtsam nach allen Seiten.
Er tat nichts Schlimmes, aber er empfand es bereits als Sünde, mit
solchen Gebilden allein zu sein.
Er beschloß, um nicht noch am Ende ertappt zu werden, so schnell als
möglich davon zu gehen. Als er jedoch die Haustür wieder erreicht
hatte, klinkte er, statt sich zu entfernen, den Türgriff von innen ins
Schloß und drehte dazu noch den Schlüssel herum, so daß er nun in dem
gespenstischen Hause des Toten eingesperrt, von niemand mehr
überrascht werden konnte. Nachdem dies geschehen war, begab er sich
vor das gipserne Ärgernis der drei Grazien zurück.
Hier kam ihn alsbald, indem sein Herzklopfen stärker wurde, ein
bleicher und scheuer Wahnwitz an. Er empfand den Zwang, der ältesten
unter den Marchesinnen, als wäre sie lebend, über das Haar zu
streicheln. Obgleich diese Handlung offenkundig und seinem eigenen
Urteil nach an Wahnsinn streifte, war sie doch noch einigermaßen
priesterlich. Aber die zweite Marchesina mußte sich bereits ein
Streicheln über Schulter und Arm gefallen lassen: eine volle Schulter
und einen vollen Arm, der in eine weiche und zärtliche Hand endigte.
Bald war Francesco an der dritten, der jüngsten Marchesina, durch
weitergehende Zärtlichkeit und schließlich durch einen scheuen
verbrecherischen Kuß unter die linke Brust zum fassungslos verwirrten
und zerknirschten Sünder geworden, dem nicht besser zumute war, als
jenem Adam, der die Stimme des Herrn vernahm, nachdem er vom Apfel der
Erkenntnis gekostet hatte. Er floh. Er lief, wie gehetzt, davon.
* * * * *
Die folgenden Tage verbrachte Francesco teils in den Kirchen mit
Gebet, teils in seiner Pfarrwohnung mit Kasteiungen. Seine
Zerknirschung und seine Reue war groß. Bei einer Inbrunst der Andacht,
wie er sie bisher nicht gekannt hatte, durfte er hoffen, am Schlusse
über die Anfechtungen des Fleisches Sieger zu sein. Immerhin war der
Kampf des guten und bösen Prinzips in seiner Brust mit ungeahnter
Furchtbarkeit losgebrochen, so daß es ihm schien, als ob Gott und der
Teufel zum erstenmal ihren Kampfplatz in seine Brust verlegt hätten.
Auch der eigentlich unverantwortliche Teil seines Daseins, der Schlaf,
bot dem jungen Klerikus keinen Frieden mehr; denn gerade diese
unbewachte, nachtschlafene Zeit schien dem Satan besonders willkommen,
verführerische und verderbliche Gaukeleien in der sonst so
unschuldsvollen Seele des Jünglings anzurichten. Eines Nachts, am
Morgen, er wußte nicht, ob es im Schlafen oder im Wachen geschehen
war, sah er im weißen Lichte des Mondes die drei weißen Gestalten der
schönen Töchter des Marchese in sein Zimmer und an sein Bett treten
und bei genauerem Anblick erkannte er, wie jede auf magische Weise mit
dem Bilde der jungen Hirtin auf der Alpe von Santa Croce verschmolzen
war.
Ohne Zweifel war von dem spielzeugartig kleinen Anwesen Scarabotas bis
herunter ins Zimmer des Priesters, in das die Alpe durchs Fenster sah,
eine Verbindung hergestellt, deren Hanf nicht von Engeln gesponnen
wurde. Francesco wußte genug von der himmlischen Hierarchie und ebenso
auch genug von der höllischen, um sofort zu erkennen, wes Geistes Kind
diese Arbeit war. Francesco glaubte an Hexenkunst.