DER KETZER VON SOANA - Page 17

Bild von Gerhart Hauptmann
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ihm ein
dumpfer Paukenlaut und ein Reigen schön gekleideter Frauen, der sich,
verbunden mit Blumengewinden, klar durch die Mauern sichtbar, rund um
die kleine Kapelle bewegte. Dahinter drehten sich in verzückter
Raserei die Mänaden des Sarkophags, tanzten und hüpften die
ziegenfüßigen Satyrn, deren einige das hölzerne Fruchtbarkeitssymbol
des Luchino Scarabota in fröhlicher Prozession umhertrugen.

* * * * *

Der Abstieg nach Soana brachte Francesco eine grüblerische
Ernüchterung, wie jemandem, der die letzte Hefe aus dem Becher des
Rausches getrunken hat. Die Familie Scarabota war nach der Messe
davongegangen: Bruder, Schwester und Tochter hatten beim Abschied
dankbar die Hand des jungen Priesters geküßt.

Wie er nun mehr und mehr in die Tiefe stieg, wurde ihm ebenso mehr und
mehr der Zustand seiner Seele verdächtig, in dem er dort oben die
Messe gelesen hatte. Auch der Gipfel von Sant Agatha war sicherlich
früher eine irgendeinem Abgott geweihte, heidnische Kultstätte, was
ihn da oben scheinbar mit dem Brausen des heiligen Geistes ergriffen
hatte, vielleicht dämonische Einwirkung jener entthronten Theokratie,
die Jesus Christus gestürzt hatte, deren verderbliche Macht aber vom
Schöpfer und Lenker der Welt immer noch zugelassen war. In Soana und
in seinem Pfarrhause angelangt, hatte das Bewußtsein, sich einer
schweren Sünde schuldig gemacht zu haben, den Priester ganz
eingenommen, und seine Ängste deswegen wurden so hart, daß er noch vor
dem Mittagessen die Kirche betrat, die Wand an Wand mit seiner Wohnung
lag, um sich in heißen Gebeten dem höchsten Mittler anzuvertrauen und
womöglich in seiner Gnade zu reinigen.

In einer deutlich gefühlten Hilflosigkeit bat er Gott, ihn den
Angriffen der Dämonen nicht auszuliefern. Er spüre sehr wohl, so
bekannte er, wie sie sein Wesen auf allerlei Weise angriffen,
jenachdem einengten oder über seine bisherigen, heilsamen Grenzen
ausdehnten und in erschrecklicher Weise verwandelten. »Ich war ein
sorgsam angebautes, kleines Gärtlein zu deiner Ehre,« sagte Francesco
zu Gott. »Nun ist es in einer Sintflut ertrunken, die vielleicht durch
Einflüsse der Planeten steigt und steigt, und auf deren uferlosen
Fluten ich in einem winzigen Kahne umhertreibe. Früher wußte ich genau
meinen Weg. Es war derselbe, den deine heilige Kirche ihren Dienern
vorzeichnet. Jetzt werde ich mehr getrieben, als daß ich des Zieles
und des Weges sicher bin.

Gib mir,« flehte Francesco, »meine bisherige Enge und meine Sicherheit
und gebiete den bösen Engeln, sie mögen davon ablassen, ihre
gefährlichen Anschläge gegen deinen hilflosen Diener zu richten.
Führe, o führe uns nicht in Versuchung. Ich bin zu den armen Sündern
hinaufgestiegen in Deinem Dienst, mache, daß ich mich in den
festbeschränkten Kreis meiner heiligen Pflichten zurückfinde.«

Francescos Gebete hatten nicht mehr die einstige Klarheit und
Übersicht. Er bat um Dinge, die einander ausschlossen. Er ward
mitunter selbst zweifelhaft, ob der Strom der Leidenschaft, der seine
Bitten trug, vom Himmel oder aus einer anderen Quelle stamme. Das
heißt: er wußte nicht recht, ob er nicht etwa den Himmel im Grunde um
ein höllisches Gut anflehe. Es mochte christlichem Mitleid und
priesterlicher Sorge entsprungen sein, wenn er die Geschwister
Scarabota in sein Gebet einbezog. Verhielt es sich aber ebenso, wenn
er inbrünstig bis zu glühenden Tränen den Himmel um die Rettung Agatas
anflehte?

Auf diese Frage konnte er einstweilen noch mit Ja antworten, denn die
deutliche Regung des mächtigsten Triebes, die er beim Wiedersehen des
Mädchens gespürt hatte, war in eine schwärmerische Empfindung für
etwas unendlich Reines übergegangen. Diese Verwandlung war die
Ursache, daß Francesco nicht merkte, wie sich die Frucht der Todsünde
anstelle Mariens, der Mutter Gottes, eindrängte und für seine Gebete
und Gedanken gleichsam die Inkarnation der Madonna war. Am ersten Mai
begann in der Kirche von Soana, wie überall, ein besonderer
Mariendienst, dessen Wahrnehmung die Wachsamkeit des jungen Priesters
noch besonders einschläferte. Immer, Tag für Tag, gegen die Zeit der
Abenddämmerung, hielt er, hauptsächlich vor den Frauen und Töchtern
Soanas, einen kleinen Diskurs, der die Tugenden der gebenedeiten
Jungfrau zum Gegenstand hatte. Vorher und nachher erscholl das Schiff
der Kirche, bei offener Tür, in den Frühling hinaus, zu Ehren Mariens
von Lobgesang. Und in die alten, köstlichen, nach Text und Musik so
lieblichen Weisen, mischte sich von außen fröhlicher Spatzenlärm und
aus den nahen, feuchten Schluchten die süßeste Klage der Nachtigall.
In solchen Minuten war Francesco, scheinbar im Dienste Mariens, dem
Dienste seines Idols ganz hingegeben.

Hätten die Mütter und Töchter Soanas geahnt, daß sie in den Augen des
Priesters eine Gemeinschaft bildeten, die er Tag für Tag zur
Verherrlichung dieser verhaßten Sündenfrucht in die Kirche zog, oder
darum, um sich auf den andachtsvollen Klängen des Marien-Gesanges zu
der fern und hoch am Felsen klebenden, kleinen Alm emportragen zu
lassen, man würde ihn sicher gesteinigt haben, so aber schien es, als
wüchse mit jedem Tag vor den staunenden Augen der ganzen Gemeinde des
jungen Klerikers Frömmigkeit. Nach und nach wurde alt und jung, reich
und arm, kurz jedermann, vom Sindaco bis zum Bettler, vom
Kirchlichsten bis zum Gleichgültigsten, in den heiligen Maienrausch
Francescos hineingezogen.

Sogar die langen einsamen Wege, die er nun öfters unternahm, wurden
zugunsten des jungen Heiligen ausgelegt. Und doch wurden sie nur
unternommen in der Hoffnung, daß ein Zufall ihm einmal bei solcher
Gelegenheit Agata in den Wurf führen könne. Denn er hatte bis zum
nächsten, besonderen Gottesdienst für die Familie Scarabota in seiner
Scheu, sich zu verraten, einen Zwischenraum von mehr als acht Tagen
angesetzt, der ihm jetzt unerträglich lang wurde.

Noch immer sprach die Natur in jener aufgeschlossenen Weise zu ihm,
die er zuerst auf dem Gange nach Sant Agatha, auf der Höhe des kleinen
Heiligtums wahrgenommen hatte. Jeder Grashalm, jede Blume, jeder Baum,
jedes Wein- und Efeublatt waren nur Worte einer aus dem Urgrund des
Seins aufklingenden Sprache, die, in tiefster Stille selbst, mit
gewaltigem Brausen redete. Nie hatte eine Musik so sein ganzes Wesen
durchdrungen und, wie er meinte, mit heiligem Geist erfüllt.

* * * * *

Francesco hatte den tiefen, ruhigen Schlaf seiner Nächte eingebüßt.
Der mystische Weckruf, der ihn getroffen hatte, schien sozusagen den
Tod getötet und seinen Bruder, den Schlaf, verbannt zu haben. Jede
dieser von überall quellendem Leben durchpulsten Schöpfungsnächte ward
für Francescos jungen Körper zur heiligen Offenbarungszeit: so zwar,
daß es ihm manchmal zumute war, als ob er den letzten Schleier vom
Geheimnis der Gottheit fallen fühlte. Oft, wenn er aus heißen Träumen,
die beinahe ein Wachen darstellten, in das Wachen der Sinne überging,
draußen der Fall

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