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von Soana doppelt so laut, als am Tage rauschte, der
Mond mit den Finsternissen der mächtigen Klüfte kämpfte und schwarzes
Gewölk, gigantisch murrend, die höchsten Spitzen des Generoso
verdüsterte, zitterte Francescos Leib von Gebeten, inbrünstig, wie nie
zuvor, und ähnlich, wie wenn ein durstiger Stamm, dessen Wipfel der
Frühlingsregen tränkt, im Winde erschauert. In diesem Zustande rang er
voll Sehnsucht mit Gott, ihn in das heilige Schöpfungswunder, wie in
den brennenden Kern des Lebens, einzuweihen, in dieses allerheiligste,
innerste Etwas, das von dort aus alles Dasein durchdringt. Er sprach:
»Von dort, o du mein allmächtiger Gott, dringt dein stärkstes Licht!
von diesem in nie zu erschöpfenden Feuerwellen strömenden Kern
verbreitet sich alle Wonne des Daseins und das Geheimnis der tiefsten
Lust. Lege mir nicht eine fertige Schöpfung in den Schoß, o Gott,
sondern mache mich zum Mitschöpfer. Laß mich teilnehmen an deinem nie
unterbrochenen Schöpfungswerk; denn nur dadurch, und durch nichts
anderes, vermag ich auch deines Paradieses teilhaft zu werden.«
Unbekleidet lief Francesco, um die Glut seiner Glieder zu kühlen, im
Zimmer bei weitgeöffnetem Fenster umher und ließ die Nachtluft um
seinen Leib fluten. Dabei kam es ihm vor, als ruhe das schwarze
Gewitter über dem riesenhaften Felsrücken des Generoso, wie ein
ungeheurer Stier über einer Ferse ruht, schnaube Regen aus seinen
Nüstern, murre, schieße zuckende Blitze aus düster flammenden Augen
und übe mit keuchender Flanke das zeugende Werk der Fruchtbarkeit.
Vorstellungen wie diese waren durchaus heidnischer Art, und der
Priester wußte es, ohne daß es ihn jetzt beunruhigte. Er war
allbereits zu sehr in die allgemeine Betäubung drängender
Frühlingskräfte versunken. Der narkotische Brodem, der ihn erfüllte,
löste die Grenzen seiner engen Persönlichkeit und weitete ihn ins
Allgemeine. Überall wurden Götter geboren in der frühen, toten Natur.
Und auch die Tiefen von Francescos Seele erschlossen sich und sandten
Bilder herauf von Dingen, die im Abgrund der Jahrmillionen versunken
lagen.
In einer Nacht hatte er, im Zustande halben Wachens, einen schweren
und in seiner Art furchtbaren Traum, der ihn in eine grausige Andacht
versenkte. Er ward gleichsam zum Zeugen eines Mysteriums, das eine
schreckliche Fremdheit und zugleich etwas, wie Weihungen einer
uralten, unwiderstehlichen Macht ausatmete. Irgendwo versteckt in den
Felsen des Monte Generoso schienen Klöster gelegen zu sein, aus denen
herab gefährliche Steige und Felstreppchen in unzugängliche Höhlen
führten. Diese Felssteige klommen in feierlichem Zuge, einer hinter
dem anderen, bärtige Männer und Greise in braunen Kutten herab, die
aber in der Versunkenheit ihrer Bewegungen, sowie in der Entrücktheit
ihrer Gesichter schauerlich wirkten und zur Ausübung eines
schrecklichen Kultes verdammt schienen. Diese beinahe riesenhaften und
wilden Gestalten waren auf eine beklemmende Weise ehrwürdig. Sie
kamen hochaufgerichtet herab, mit gewaltig verwilderten, buschigen
Häuptern, an denen sich Haupt- und Barthaar vermischte. Und diesen
Vollstreckern eines unbarmherzigen und tierischen Dienstes folgten
Weiber nach, die nur von den mächtigen Wogen ihres Haars, wie von
schweren, goldenen oder schwarzen Mänteln bedeckt waren. Während das
Joch des furchtbaren Triebs die wortlos abwärtssteigenden
Traumeremiten starr und besinnungslos gefangen hielt, lag eine Demut
über den Weibern, gleichwie über Opfertieren, die sich selber einer
schrecklichen Gottheit darbringen. In den Augen der Mönche lag stille,
besinnungslose Wut, als wenn der giftige Biß eines tollen Tiers sie
verwundet und ihnen einen Wahnwitz ins Blut gesetzt hätte, dessen
rasender Ausbruch zu erwarten war. Auf den Stirnen der Weiber, in
ihren andächtig fromm gesenkten Wimpern lag eine erhabene
Feierlichkeit.
Endlich hatten die Anachoreten des Generoso sich, wie lebende
Götzen, vereinzelt in flache Höhlen der Felswand gestellt, und es
begann ein ebenso häßlicher, als erhabener Phallusdienst. So
scheußlich er war -- und Francesco erschrak in der tiefsten
Seele -- so schauerlich war er in seinem tödlichen Ernst und seiner
bangen Heiligkeit. Mächtige Eulen revierten mit durchdringendem
Schrei an den Felswänden, beim Sturze des Wasserfalls und im
magischen Lichte des Monds; aber die gewaltigen Rufe der großen
Nachtvögel wurden von den herzerstarrenden Schmerzensschreien der
Priesterinnen übertönt, die an den Qualen der Lust dahinstarben.
* * * * *
Der Tag des Gottesdienstes für die armen, verfemten Sennhirten war
endlich wieder herangekommen. Er glich schon am Morgen, als der
Priester Francesco Vela sich erhob, keinem unter allen früheren, die
er jemals erlebt hatte. So springen im Leben jedes bevorzugten
Menschen unerwartet und ungerufen Tage, wie blendende Offenbarungen
auf. Der Jüngling hatte an diesem Morgen nicht den Wunsch, weder ein
Heiliger, noch ein Erzengel, noch selbst ein Gott zu sein. Vielmehr
beschlich ihn leise Furcht, Heilige, Erzengel und Götter möchte der
Neid ihm zu Feinden machen; denn er kam sich an diesem Morgen über
Heilige, Engel und Götter erhaben vor. Aber oben auf Sant Agatha
wartete seiner eine Enttäuschung. Sein Idol, das den Namen der
Heiligen trug, hatte sich von dem Kirchgang ausgeschlossen. Von dem
erbleichenden Priester gefragt, brachte der rauhe, vertierte Vater nur
rauhe, vertierte Laute heraus, während die Gattin, die zugleich seine
Schwester war, die Tochter mit häuslicher Arbeit entschuldigte.
Hierauf ward die heilige Funktion durch Francesco auf eine so
teilnahmslose Weise erledigt, daß er am Schlusse der Messe nicht recht
wußte, ob er sie schon begonnen habe. Im Innern durchlebte er
Höllenpein, ja, solche Zustände, die, einem wirklichen Höllensturz
vergleichbar, aus ihm einen armen Verdammten machten.
Nachdem er den Ministranten zugleich mit den Geschwistern Scarabota
entlassen hatte, stieg er, noch immer vollkommen fassungslos, an
irgendeiner Seite des steilen Kegels bergab, ohne sich eines Zieles,
noch weniger irgendeiner Gefahr bewußt zu sein. Wieder hörte er Rufe
hochzeitlich kreisender Fischadler. Aber sie klangen ihm wie Hohn, der
sich aus trügerisch leuchtendem Äther herabschüttete. Im Geröll eines
trockenen Wasserlaufs rutschte er keuchend und springend ab, während
er wirre Gebete und Flüche wimmerte. Er fühlte Foltern der Eifersucht.
Obgleich etwas Weiteres nicht geschehen war, als daß die Sünderin
Agatha durch irgendetwas auf der Alpe von Santa Croce festgehalten
wurde, erschien es dem Priester ausgemacht, daß sie einen Buhlen besaß
und die der Kirche gestohlene Zeit in seinen verruchten Armen
zubrachte. Während ihm durch ihr Fernbleiben mit einem Schlage die
Größe seiner Abhängigkeit zum Bewußtsein kam, fühlte er abwechselnd
Angst, Bestürzung und Wut, den Drang, sie zu strafen und um Rettung
aus seiner Not, das heißt um Gegenliebe, zu betteln. Er hatte den
Stolz des Priesters noch keineswegs abgestreift: es ist dies der
wildeste und unbeugsamste! und dieser Stolz war aufs tiefste verletzt
worden. Für ihn war das Ausbleiben Agatas dreifache Demütigung. Die
Sünderin hatte den Mann an sich, den Diener Gottes und den Geber des
Sakramentes verworfen. Der Mann, der Priester, der Heilige wand sich
in Krämpfen getretener Eitelkeit und schäumte, wenn er des
bestialischen Kerls, Hirt oder Holzknecht, gedachte, den