DER KETZER VON SOANA - Page 21

Bild zeigt Gerhart Hauptmann
von Gerhart Hauptmann

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in Gegenwart des Priesters nicht wohl geworden.
Er nahm den Topf vom Feuer und kletterte damit unter vielen Mühen
wahrscheinlich zu einem Kameraden hinauf, der Lasten Reisig an einem
unendlich langen Draht über einen Abgrund zur Tiefe hinab beförderte.
Mit einem schleifenden Geräusch zog jeweilen solch ein dunkles Bündel
längs der Felsbastionen dahin, einem braunen Bären oder dem Schatten
eines Riesenvogels nicht unähnlich. Übrigens schien es zu fliegen, da
der Draht nicht sichtbar war. Als nach einem urkräftigen Jodler, der
von den Zinnen und Bastionen des Generoso widerhallte, der Hirt dem
Gesichtskreis entschwunden war, küßte Agata, gleichsam zerknirscht,
dem Priester den Saum des Gewandes und dann die Hand.

* * * * *

Francesco hatte mechanisch über den Scheitel des Mädchens das Zeichen
des Kreuzes gemacht, wobei seine Finger ihr Haar berührt hatten. Nun
aber ging ein krampfhaftes Zittern durch seinen Arm, als ob ein Etwas
mit letzter Kraft ein anderes Etwas in seiner Gewalt behalten wollte.
Aber das angespannte, hemmende Etwas vermochte doch nicht zu
verhindern, daß die segnende Hand sich langsam spreizte und mit ihrer
Fläche dem Haupte der reuigen Sünderin näher und näher kam und
plötzlich fest und voll darauf ruhte.

Feige sah sich Francesco ringsum. Es lag ihm fern, sich etwa jetzt
noch selbst zu belügen, und die Lage, in der er war, mit den
Obliegenheiten seines heiligen Amtes zu rechtfertigen, dennoch
redete allerlei aus ihm von Beichte und Firmelung. Und die nahezu
ungebändigte, sprungbereite Leidenschaft fürchtete so sehr die
Möglichkeit, bei ihrer Entdeckung Entsetzen und Abscheu zu erregen,
daß auch sie noch einmal feige unter die Maske der Geistlichkeit
flüchtete.

»Du wirst zu mir hinunter in die Schule nach Soana kommen, Agata,«
sagte er. »Dort wirst du lesen und schreiben lernen. Ich will dich ein
Morgen- und ein Abendgebet lehren, ebenso Gottes Gebote, und wie du
die sieben Hauptsünden erkennen und vermeiden kannst. Wöchentlich
wirst du dann bei mir beichten.«

Aber Francesco, der sich nach diesen Worten losgerissen hatte und,
ohne sich umzublicken, bergabwärts gestiegen war, entschloß sich am
nächsten Morgen, nach einer übeldurchwachten Nacht, selbst zur Beichte
zu gehen. Als er einem tabakschnupfenden Erzpriester des nahen
Bergstädtchens, Arogno mit Namen, seine Gewissensnöte, nicht ohne
Versteckensspiel, eröffnete, ward er bereitwilligst absolviert.
Es war eine Selbstverständlichkeit, daß sich der Teufel dem Versuche
des jungen Priesters, verirrte Seelen in den Schoß der Kirche
zurückzuleiten, entgegensetzte, besonders da das Weib für den Mann
immer die nächste Gelegenheit zur Sünde sei. Nachdem Francesco dann
mit dem Arciprete im Pfarrhaus gefrühstückt hatte und bei offenem
Fenster, linder Luft, Sonne und Vogelsang manches offene Wort über den
öfteren Widerstreit menschlicher mit kirchlichen Angelegenheiten
gefallen war, gab sich Francesco der Täuschung hin, ein erleichtertes
Herz davon zu tragen.

Zu dieser Wandlung hatten wohl auch für ihren Teil einige Gläser jenes
schweren, schwarzvioletten Weines beigetragen, den die Bauern Arognos
kelterten und dessen der Pfaff einige Oxhofte voll besaß. Zu dem
Kellergewölbe unter gewaltigen zartbelaubten Kastanien, wo dieser
Reichtum auf Balken lagerte, gab sogar schließlich noch, nach
beendeter Mahlzeit der Priester dem Priester und Beichtkinde das
Geleit, da er gewohnheitsgemäß um diese Zeit für den weiteren
Tagesbedarf seinen mitgenommenen Fiasco zu füllen pflegte.

Kaum aber hatte Francesco seinem Beichtvater auf der blumigen,
windbewegten Wiese vor der eisenbeschlagenen Pforte des Felsgewölbes
Lebewohl gesagt, kaum hatte er, rüstig um eine Biegung des Weges davon
schreitend, hügeliges Land genug, mit Baum und Gebüsch, zwischen sich
und ihn gebracht, als er auch schon einen unerklärlichen Widerwillen
gegen den Trost des Kollegen empfand und die ganze Zeit, die er mit
ihm verbracht hatte.

Dieser schmuddlige Bauer, dessen abgenutzte Soutane und schweißiges
Unterzeug einen widerlichen Geruch verbreitete, dessen schinniger Kopf
und mit eingefressenem Schmutz bedeckte, rauhe Hände bewiesen, daß
Seife für ihn eine fremde Sache war, schien ihm vielmehr ein Tier, ja,
ein Klotz, statt ein Priester Gottes zu sein. Die Geistlichen sind
geweihte Personen, sagte er sich, wie die Kirche lehrt, die durch die
Weihe übernatürliche Würde und Gewalt erhalten haben, so daß selbst
Engel vor ihnen sich neigen. Diesen konnte man nur als eine
Spottgeburt auf das alles bezeichnen. Welche Schmach, die
priesterliche Allmacht in solche Rüpelhände gelegt zu sehen. Da doch
Gott sogar solcher Allmacht unterliege und er durch die Worte: »hoc
est enim meum corpus« unwiderstehlich gezwungen wird, auf den Meßaltar
niederzusteigen.

Francesco haßte ihn, ja, verachtete ihn. Dann wieder empfand er tiefes
Bedauern. Aber endlich kam es ihm vor, als ob sich der stinkende,
häßliche, unflätige Satan in ihn verkleidet hätte. Und er gedachte
solcher Geburten, die mit Hilfe eines incubus oder eines succubus
zustande gekommen sind.

Francesco erstaunte selbst über solche Regungen seines Innern und
über seinen Gedankengang. Sein Wirt und Beichtiger hatte, außer durch
sein Dasein, kaum einen Anlaß dazu gegeben, denn seine Worte, auch
über Tisch, waren durchaus getragen vom Geiste der Wohlanständigkeit.
Aber Francesco schwamm bereits wiederum in einem solchen Gefühl von
Gehobenheit, glaubte eine so himmlische Reinheit zu atmen, daß ihm,
verglichen mit diesem geheiligten Element, das Alltägliche wie im
Stande der Verdammnis festgekettet schien.

* * * * *

Der Tag war gekommen, an dem Francesco die Sünderin von der Alpe zum
erstenmal im Pfarrhause zu Soana erwartete. Er hatte ihr aufgetragen,
die Schelle, unweit der Kirchtür, zu ziehen, durch die man ihn in den
Beichtstuhl rufen konnte. Aber es ging schon gegen die Mittagszeit,
ohne daß die Schelle sich regen wollte, während er, immer zerstreuter
werdend, einige halberwachsene Mädchen und Knaben im Schulzimmer
unterrichtete. Der Wasserfall sandte sein Brausen, jetzt
aufschwellend, jetzt absinkend, durchs offene Fenster herein, und die
Erregung des Priesters wuchs, so oft es sich steigerte. Er war dann
besorgt, womöglich das Läuten der Schelle zu überhören. Die Kinder
befremdete seine Unruhe, seine Geistesabwesenheit. Am wenigsten
entging es den Mädchen, deren irdische, wie himmlische Sinne
schwärmerisch an dem jungen Heiligen sich weideten, daß er mit der
Seele nicht bei der Sache und also auch nicht bei ihnen war. Durch
tiefen Instinkt mit den Regungen seines jugendlichen Wesens verknüpft,
empfanden sie sogar jene Spannung mit, die es augenblicklich
beherrschte.

Kurz vor dem Zwölfuhrglockenschlag entstand Gemurmel von Stimmen auf
dem Dorfplatz, der mit seinen mailich sprossenden Kastanienwipfeln bis
dahin still im Lichte der Sonne lag. Eine Menschenmenge näherte sich.
Man hörte ruhigere, scheinbar protestierende, männliche Kehllaute.
Aber ein unaufhaltsamer Strom von weiblichen Worten, Schreien,
Verwünschungen und Protesten überschwoll mit einemmal jene und dämpfte
sie bis zur Unhörbarkeit. Dann trat

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