DER KETZER VON SOANA - Page 25

Bild zeigt Gerhart Hauptmann
von Gerhart Hauptmann

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Es war das letzte Mysterium. Es war eben das, warum Gott
schuf und warum er den Tod in die Welt gesetzt, ihn gleichsam in Kauf
genommen hatte.

So gelangte das erste Menschenpaar in die enge Schlucht hinab, die das
Flüßchen Savaglia gesägt hatte. Sie war sehr tief, und nur ein wenig
begangener Fußpfad führte am Rande des Bachbetts bis zu dem
Wasserbecken hinauf, in das sich aus schwindelerregender Höhe das
Bergwasser über die Felsstufe hinabstürzte. Noch in beträchtlicher
Entfernung davon wurde der Bach in zwei Arme geteilt, die sich wieder
vereinigten, durch ein kleines grünes Inselchen, das Francesco liebte
und oft besuchte, weil es mit einigen jungen Apfelbäumen, die dort
Wurzel geschlagen hatten, sehr lieblich war. Und Adam zog seine Schuhe
aus und trug seine Eva dort hinüber. »Komm, oder ich sterbe,« sagte er
mehrmals zu Agata. Und sie zertraten Narzissen und Osterlilien mit dem
schweren, fast trunkenen Gang der Liebenden.

Auch hier in der Schlucht war es sommerwarm, wenngleich der rauschende
Lauf des Baches Kühlung mitbrachte. Wie kurz war die Zeit, die seit
dem Wendepunkte im Leben des Paares schon verflossen war, und wie weit
war alles zurückgewichen, was vor dem Wendepunkte lag. Der Bauer, dem
das Inselchen angehörte, hatte sich, da es ziemlich entfernt von der
Ortschaft lag, um gegen die Zufälligkeiten der Witterung einigermaßen
gedeckt zu sein, eine Hütte aus Steinen, Reisern und Erde gefertigt,
die ein leidlich regensicheres Laublager bot. Es war vielleicht diese
Hütte, die Adam vorgeschwebt hatte, als er mit Eva die Richtung zu
Tal, statt zu Berge nahm. Die Hütte schien zum Empfang der Liebenden
vorbereitet. Hier schienen heimliche Hände von dem nahenden Feste der
heimlichen Menschwerdung verständigt worden zu sein: denn es waren
Gewölke von Licht um die Hütte, Gewölke von Funken, Leuchtkäfer,
Glühwürmchen, Welten, Milchstraßen, die manchmal in Garben gewaltig
aufstiegen, als wollten sie leere Welträume neu bevölkern. Sie quollen
und schwebten so hoch durch die Schlucht, daß man Sterne des Himmels
davon nicht mehr unterschied.

Obgleich sie es kannten, war dieses Schauspiel, war dieser schweigende
Zauber für Francesco und die sündige Agata doch wunderbar und ihr
Staunen darüber hemmte sie einen Augenblick. Ist das die Stelle,
dachte Francesco, die ich im Grunde doch, ahnungslos, was sie einmal
für mich bedeuten würde, so oft gesucht und mit Wohlgefallen
betrachtet habe? Sie schien mir ein Ort, um sich als Eremit vor dem
Jammer der Welt dahin zurückzuziehen und entsagend in Gottes Wort zu
versenken. Was sie wirklich ist, eine Insel im Strome Phrat oder
Hiedekel, der heimlich-glückseligste Ort im Paradiese, hätte ich ihr
nicht angesehen. Und die mystischen, lohenden Funkengewölke,
Hochzeitsbrände, Opferbrände, oder was es nun immer war, lösten ihn
vollends von der Erde. Wenn er die Welt nicht vergaß, so wußte er, daß
sie ohnmächtig vor den Toren des Gartens Eden lag, wie der
siebenköpfige Drache, das siebenköpfige Tier, das aus dem Meer
gestiegen ist. Was hatte er mit denen zu tun, die den Drachen anbeten.
Mag er Gottes Hütte lästern. Sein Geifer erreicht ihre Stätte nicht.
Nie hatte Francesco, nie hatte der Priester ein solches Nahesein bei
Gott, ein solches Geborgensein in ihm, ein solches Vergessen der
eignen Persönlichkeit gefühlt, und im Rauschen des Bergbachs schienen
allmählich die Berge melodisch zu dröhnen, die Feldzacken zu orgeln,
die Sterne mit Myriaden goldner Harfen zu musizieren. Chöre von Engeln
jubilierten durch die Unendlichkeit, gleich Stürmen brausten von oben
die Harmonien, und Glocken, Glocken, Geläut von Glocken, von
Hochzeitsglocken, kleinen und großen, tiefen und hohen, gewaltigen und
zarten verbreiteten eine erdrückend-selige Feierlichkeit durch den
Weltenraum. -- Und so sanken sie, ineinander verschlungen, auf das
Laublager.

* * * * *

Keinen Augenblick gibt es, der verweilt, und wenn man auch mit
angstvoller Hast solche der höchsten Wonne festhalten will -- so sehr
man sich müht, man findet dazu keine Handhabe. Sein ganzes Leben
bestand, wie Francesco fühlte, aus Stufen zum Gipfel dieses nun
gelebten Mysteriums. Wo sollte man künftig atmen, konnte man es nicht
festhalten. Wie sollte man ein verdammtes Dasein ertragen, wenn man
aus den Verzückungen seiner innersten Himmel wieder verstoßen war.
Mitten im überirdischen Rausch des Genusses empfand der Jüngling mit
stechendem Schmerz die Vergänglichkeit, im Genuß des Besitzes die Qual
des Verlustes. Es war ihm, als sollte er einen Becher des köstlichen
Weines austrinken und einen ebenso köstlichen Durst löschen: der
Becher aber wurde nie leer, während der Durst trotzdem nie gestillt
wurde. Und der Trinkende wollte auch nicht, daß sich sein köstlicher
Durst sättige, noch daß der Becher leer würde: dennoch sog er mit
gieriger Wut daran, gepeinigt, weil er nie auf den Grund kommen
konnte.

Umarmt vom Rauschen des Baches, überflutet davon, umtanzt von
Leuchtkäfern, ruhte das Paar im raschelnden Laub, während durchs Dach
der Hütte die Sterne hereinblinzelten. Von allen Heimlichkeiten
Agatas, die er wie unerreichliche Güter bewundert hatte, hatte er
zitternd Besitz ergriffen. Er war in ihr offenes Haar hineingetaucht,
er hing mit den Lippen an ihren Lippen. Aber sogleich ward sein Auge
voll Neid gegen seinen Mund erfüllt, der ihm den Anblick des süßen
Mädchenmundes geraubt hatte. Und immer unfaßbarer, immer glühender,
immer betäubender quoll aus den Geheimnissen ihres jungen Leibes
Glückseligkeit. Was er nie zu besitzen gehofft hatte, wenn es ihm
heiße Nächte vorspiegelten, das war nichts gegen das gehalten, was er
nun grenzenlos besaß.

Und während er schwelgte, ward er immer aufs neue ungläubig. Das
Übermaß der Erfüllungen veranlaßte ihn immer aufs neue, unersättlich
sich seines Eigentums zu versichern. Zum ersten Male fühlten seine
Finger, seine bebenden Hände und Handflächen, seine Arme, seine Brust,
seine Hüften das Weib. Und sie war für ihn mehr, als das Weib. Ihm
war, als habe er etwas Verlorenes, etwas Verscherztes, ohne das er ein
Krüppel gewesen war, und mit dem er sich jetzt zur Einheit verbunden
hatte, wiedergefunden. War er von diesen Lippen, diesem Haar, diesen
Brüsten und Armen jemals getrennt gewesen? Es war eine Göttin, es war
kein Weib. Und es war überhaupt nichts, was für sich bestand: er
wühlte sich in den Kern der Welt und das Ohr unter die magdlichen
Brüste gedrückt, hörte er glückselig schaudernd das Herz der Welt
pochen.

Jene Betäubung, jener Halbschlaf kam über das Paar, wo die Wonnen der
Erschöpfung in die Reize des wachen Fühlens und die Reize des wachen
Fühlens in die Wonnen der Betäubung des Vergessens übergehen: wobei
Francesco jetzt in den Armen des Mädchens, jetzt Agata in seinen Armen
entschlief. Wie seltsam und mit welchem Vertrauen hatte das scheue,
verwilderte Mädchen sich unter den liebkosenden Zwang des Priesters
gefunden, wie ergeben und

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