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auch ungewöhnliches, bukolisches
Bild sichtbar ward. Ebenderselbe scheckige Ziegenbock, der den
Priester Francesco bei seinem ersten Besuch auf der Alm belästigt
hatte, führte, prustend und widerspenstig, einen kleinen
Bacchantenzug, wobei er, von lärmenden Kindern verfolgt, die einzige
Bacchantin des Trupps rittlings auf seinem Rücken trug. Das schöne
Mädchen, das Francesco, wie er glaubte, zum ersten Male erblickte,
hielt die gewundenen Hörner des Bockes kräftig gefaßt, so stark sie
sich aber nach rückwärts bog, den Hals des Tieres mit sich reißend,
vermochte sie doch nicht, weder es zum Stillstand zu zwingen, noch von
seinem Rücken herunterzusteigen. Irgendein Spaß, den sie den Kindern
zuliebe vielleicht unternommen haben mochte, hatte das Mädchen in
diese hilflose Lage gebracht, wie sie, nicht eigentlich sitzend,
sondern zu beiden Seiten des ungeeigneten Reittieres mit nackten Füßen
die Erde berührend, weniger getragen ward, als schritt und doch, ohne
einen Fall zu tun, von dem ungebärdigen, feurigen Bock nicht los
konnte. So hatte sich ihr Haar gelöst, die Tragbänder ihres groben
Hemdes waren von den Schultern geglitten, so daß eine köstliche
Halbkugel sichtbar ward, und die so wie so kaum bis zur Wade
reichenden Röckchen der Hirtin langten jetzt noch weniger zu, ihre
üppigen Knie zu bedecken.
Es dauerte eine geraume Zeit, bevor der Priester sich bewußt wurde,
wer eigentlich die Bacchantin war, und daß er in ihr den lechzend
gesuchten Gegenstand seiner marternden Sehnsucht vor sich hatte. Die
Schreie des Mädchens, ihr Lachen, ihre unfreiwillig wilden Bewegungen,
ihr fesselloses, fliegendes Haar, der geöffnete Mund, die hoch und
stoßweis atmende Brust, die ganze gleichsam erzwungene und doch
freiwillige Tollkühnheit des übermütigen Ritts, hatten sie äußerlich
ganz verändert. Eine rosige Glut überzog ihr Gesicht und mischte Lust
und Angst mit Schamhaftigkeit, die sich drollig und lieblich
ausdrückte, wenn etwa blitzschnell eine der Hände vom Horne des Bockes
fort nach dem gefährlich verschobenen Rocksaum fuhr.
Francesco war gebannt und dem Bilde verfallen, als wäre es mit der
Kraft zu lähmen begabt. Es erschien ihm schön, auf eine Art, die ihm
nicht im entferntesten die naheliegende Ähnlichkeit mit einem
Hexenritt in Erinnerung brachte. Dagegen belebten sich seine
antikischen Eindrücke. Er gedachte des marmornen Sarkophags, der,
immer von klarem Bergwasser überfließend, am Dorfplatze in Soana
stand, und dessen Bildnerei er jüngst studiert hatte. War es nicht so,
als hätte diese steinerne und doch so lebendige Welt des bekränzten
Weingotts, der tanzenden Satyrn, der panthergezogenen Triumphwagen,
der Flötenspielerinnen und Bacchantinnen, sich in die steinernen
Ödeneien des Generoso versteckt, und als wäre plötzlich eine der
gottbegeisterten Weiber, von dem rasenden Bergkult der Mänaden
abgesprengt, überraschend ins Gegenwartleben getreten.
Hatte Francesco nicht sogleich Agata, so hatte dafür der Bock den
Priester sofort erkannt: weshalb er ihm seine vergeblich schreiende
und widerstrebende Last geradeswegs zuschleppte, und indem er, ganz
ohne Umstände, mit seinen beiden gespaltenen Vorderhufen auf den Schoß
des Priesters trat, bewirkte er, daß seine Reiterin, endlich erlöst,
von seinem Rücken langsam herunterglitt.
Nachdem das Mädchen begriffen hatte, daß ein Fremder zugegen war, und
als sie nun gar in diesem Fremden Francesco erkannte, versiegte ganz
plötzlich ihr Lachen und ihre Munterkeit, und ihr Antlitz, das noch
eben vor Lust geglänzt hatte, nahm eine gleichsam trotzige Blässe an.
* * * * *
»Warum bist du heut nicht zur Kirche gekommen?« Francesco tat diese
Frage, sich erhebend, in einem Ton und mit einem Ausdruck seines
bleichen Gesichts, den man als einen zornigen deuten mußte, obgleich
er eine andere Erregung des Gemütes als Ursache hatte. Sei es, weil er
diese Erregung verstecken wollte, oder aus Verlegenheit, ja
Hilflosigkeit, oder weil wirklich der Seelsorger in ihm in Entrüstung
geriet: der Zorn nahm zu und trat in einer Weise hervor, der den
Hirten befremdet aufblicken machte, dem Mädchen aber nacheinander die
Röte und Blässe der Bestürzung und Scham ins Antlitz trieb.
Aber während Francesco sprach und mit Worten strafte -- Worten, die
ihm geläufig waren, ohne daß seine Seele in ihnen zu sein brauchte,
war es in seinem Inneren still, und während die Adern seiner
alabasternen Stirn aufschwollen, empfand er die Wonnen einer Erlösung.
Die noch eben empfundene, tiefste Lebensnot war in Reichtum
verwandelt, der marternde Hunger in Sättigung, die noch eben
verfluchte, infernalische Welt troff jetzt vom Glanze des Paradieses.
Und indem sich die Wollust seines Zornes stärker und stärker ergoß,
wurde sie selber stärker und stärker. Er hatte den verzweifelten
Zustand nicht vergessen, in dem er soeben gewesen war, aber es
jubilierte in ihm, und er mußte ihn segnen und wieder segnen. Dieser
Zustand war ja die Brücke gewesen zur Seligkeit. So weit war Francesco
allbereits in die magischen Kreise der Liebe hineingeraten, daß die
bloße Gegenwart des geliebten Gegenstandes jenen Genuß mit sich
brachte, der mit Glück betäubt und an eine noch so nahe Entbehrung
nicht denken läßt.
Bei alledem fühlte der junge Priester und verbarg sich nicht mehr,
welche Veränderung mit ihm vorgegangen war. Der wahre Zustand seines
Wesens war gleichsam nackt hervorgetreten. Die tolle Jagd, die er
hinter sich hatte, er wußte es wohl, war von der Kirche nicht
vorgezeichnet und außerhalb des geheiligten Wegenetzes, das seinem
Wirken deutlich und streng gezogen war. Zum erstenmale geriet nicht
nur sein Fuß, sondern auch seine Seele in die Weglosigkeit und es kam
ihm vor, als wenn er nicht so als Mensch, sondern eher als ein
fallender Stein, ein fallender Tropfen, ein vom Sturme getriebenes
Blatt, an die Stelle, auf der er nun stand, gelangt wäre.
Jedes seiner zornigen Worte belehrte Francesco, daß er seiner selbst
nicht mehr mächtig war, hingegen aber gezwungen wurde, um jeden Preis
Gewalt über Agata zu suchen und auszuüben. Er nahm sie mit Worten in
Besitz. Je mehr er sie demütigte, desto voller tönten in ihm die
Harfen der Seligkeit. Jeder Schmerz, den er ihr strafend zufügte,
weckte einen Taumel in ihm: es fehlte nicht viel, ja, wäre der Hirte
nicht zugegen gewesen, Francesco wäre, in einem solchen Taumel, der
letzten Beherrschung seiner selbst verlustig gegangen und hätte, dem
Mädchen zu Füßen fallend, den echten Schlag seines Herzens verraten.
Agata hatte bis diesen Tag, trotzdem sie in dem verrufenen Anwesen
groß geworden war, den Unschuldstand einer Blume bewahrt. Ebensowenig,
als der Bergenzian waren ihre, diesem gleichenden, blauen Augensterne
jemals im Tale, unten am See gesehen worden. Sie hatte den engsten
Erfahrungskreis. Doch, obgleich der Priester für sie eigentlich gar
kein Mensch, viel eher ein Ding zwischen Gott und Mensch, eine Art
fremder Zauberer war, erriet sie doch plötzlich, und bekundete es
durch einen erstaunten Blick, was Francesco verbergen wollte.
Die Kinder hatten den Ziegenbock, über Geröll empor, davongeführt.
Dem Holzknecht war