DER KETZER VON SOANA - Page 19

Bild von Gerhart Hauptmann
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sie
inzwischen wahrscheinlich ihm vorzog.

Mit zerrissener und bestaubter Soutane, beschundenen Händen und
zerkratztem Gesicht gelangte Francesco nach einigen Stunden wilden und
irren Umherkletterns, Schlucht ab, Schlucht auf, zwischen
Ginstergebüsch, über brausendes Bergwasser, in eine Gegend des
Generoso, wo Herdengeläut sein Ohr berührte. Welchen Ort er somit
erreicht hatte, war ihm nicht einen Augenblick zweifelhaft. Er blickte
auf das verlassene Soana hinunter, auf seine Kirche, die bei heller
Sonne deutlich zu sehen war, und erkannte die Menge, die nun
vergeblich dem Heiligtum zuströmte. Jetzt eben hätte er sollen das
Meßgewand in der Sakristei übertun. Aber er hätte viel eher ein Seil
um die Sonne legen und diese herabziehen können, als daß es ihm
möglich gewesen wäre, die unsichtbaren Fesseln zu zerreißen, die ihn
gewaltsam nach der Alpe zogen.

* * * * *

Eben wollte den jungen Pfarrer etwas, wie Selbstbesinnung anwandeln,
als ein duftender Rauch, von der frischen Bergluft getragen, ihm in
die Nase stieg. Unwillkürlich forschend umherblickend, bemerkte er
nicht sehr fern eine sitzende Mannesgestalt, die ein Feuerchen zu
behüten schien, an dessen Rand ein blechernes Gefäß, wahrscheinlich
gefüllt mit einer Minestra, dampfte. Der Sitzende sah den Priester
nicht, denn er hatte ihm seinen Rücken zugekehrt. So konnte der
Priester wiederum nur einen runden, beinahe weißwolligen Kopf, einen
starken und braunen Nacken unterscheiden, während Schulter und Rücken
von einer durch Alter, Wetter und Wind erdfarbgewordenen Jacke bedeckt
waren, die nur lose darüber hing. Der Bauer, Hirt oder Holzfäller, was
er nun sein mochte, saß, gegen das Feuerchen hingebeugt, dessen kaum
sichtbare Flammen vom Berghauch gedrückt, wagrecht an der Erde
hinzüngelten und Rauchschwaden flachhin aussendeten. Er war
augenscheinlich in eine Arbeit vertieft, eine Schnitzelei, wie sich
bald herausstellte, und schwieg zumeist, wie jemand, der bei dem, was
er gerade tut, Gott und die Welt vergessen hat. Als Francesco, aus
irgendeinem Grunde ängstlich jede Bewegung vermeidend, längere Zeit
gestanden hatte, fing der Mann oder Bursche am Feuer leise zu pfeifen
an, und einmal ins Musizieren gekommen, schickte er plötzlich aus
melodischer Kehle abgerissene Stücke irgendeines Liedes in die Luft.

Das Herz Francescos pochte gewaltig. Es war nicht deshalb, weil er so
heftig schluchtab, schluchtauf gestiegen war, sondern aus Gründen, die
teils aus der Sonderbarkeit seiner Lage, teils von dem eigentümlichen
Eindruck herrührten, den die Nähe des Menschen am Feuer in ihm
hervorbrachte. Dieser braune Nacken, dieses krause, gelblichweiße
Gelock des Kopfes, die jugendlich strotzende Körperlichkeit, die man
unter dem schäbigen Umhang ahnte, das spürbar freie und wunschlose
Behagen des Bergbewohners: alles zusammen ging blitzartig in
Francescos Seele eine Beziehung ein, in der seine krankhafte und
gegenstandslose Eifersucht noch qualvoller aufloderte.

Francesco schritt auf das Feuer zu. Es wäre ihm doch nicht gelungen,
verborgen zu bleiben; und er war überdies von unwiderstehlichen
Kräften angezogen. Da wandte sich der Bergmensch herum, zeigte ein
Antlitz voll Jugend und Kraft, wie es ähnlich der Priester noch
niemals gesehen hatte, sprang auf und blickte den Kommenden an.

Es war Francesco nun klar, daß er es mit einem Hirten zu tun hatte, da
die Schnitzelei, die jener verfertigte, eine Schleuder war. Er
bewachte die braun und schwarz gefleckten Rinder, die, da und dort
sichtbar, im ganzen entfernt und versteckt, zwischen Gestein und
Gesträuch herumkletterten, nur durch das Geläute verraten, die der
Stier und eine und die andere Kuh am Halse trug. Er war ein Christ:
und was hätte er zwischen allen diesen Bergkapellen und
Madonnenbildern der Gegend auch anderes sein sollen? Aber er schien
auch ein ganz besonders ergebener Sohn der heiligen Kirche zu sein,
denn er küßte, sogleich das Gewand des Priesters erkennend, Francesco
mit scheuer Inbrunst und Demut die Hand.

Sonst aber, wie dieser sogleich erkannte, hatte er mit den übrigen
Kindern der Parochie keine Ähnlichkeit. Er war stärker und
untersetzter gebaut, seine Muskeln hatten etwas Athletisches, sein
Auge schien aus dem blauen See in der Tiefe genommen zu sein und an
Weitblick dem der braunen Fischadler gleich, die, wie immer, hoch um
Sant Agatha kreisten. Seine Stirn war niedrig, die Lippen wulstig und
feucht, sein Blick und Lächeln von derber Offenheit. Verstecktes und
Lauerndes, wie es manchem Südländer eigen ist, war ihm nicht
anzumerken. Von alledem gab sich Francesco, Auge in Auge mit dem
blonden jungen Adam des Monte Generoso, Rechenschaft und gestand sich,
daß er einen so urwüchsig schönen Lümmel noch nicht gesehen hatte.

Um den wahren Grund seines Kommens zu verbergen und sein Erscheinen
zugleich verständlich zu machen, log er, daß er einem Sterbenden das
Sakrament in einer entlegenen Hütte gereicht und dann den Heimweg ohne
seine Ministranten angetreten habe. Dabei habe er sich verirrt, sei
abgeglitten und abgerutscht und wünsche nun auf den rechten Weg
gewiesen zu sein, nachdem er sich ein wenig geruht habe. Diese Lüge
glaubte der Hirt. Mit derbem Lachen und seine gesunden Zahnreihen
zeigend, aber doch mit Verlegenheit, begleitete er die Erzählung des
Geistlichen und machte ihm einen Sitz zurecht, die Jacke von seinen
Schultern werfend und über den Wegrand am Feuer ausbreitend. Hierbei
wurden seine braunen und blanken Schultern, ja, der ganze Oberkörper
bis zum Gürtel entblößt, und es zeigte sich, daß er ein Hemd nicht
anhatte.

Mit diesem Naturkinde ein Gespräch anzufangen, hatte beträchtliche
Schwierigkeiten. Es schien ihm peinlich, mit dem geistlichen Herrn
allein zu sein. Nachdem er eine Weile kniend ins Feuer geblasen,
Reisig dazu getan, ab und zu den Deckel des Kochgeschirrs gelüftet und
dazu Worte in einer unverständlichen Mundart gesprochen hatte, stieß
er urplötzlich einen gewaltigen Juchzer aus, der von den Felsbastionen
des Generoso zurück und in vielfachem Echo widerhallte.

Kaum daß dieses Echo verklungen war, so hörte man etwas mit lautem
Kreischen und Gelächter sich annähern. Es waren verschiedene Stimmen,
die Stimmen von Kindern, von denen sich eine abwechselnd lachende und
nach Hilfe rufende, weibliche Stimme unterschied. Beim Klang dieser
Stimme fühlte Francesco seine Arme und Füße absterben, und es war ihm
zugleich, als ob sich eine Macht ankündige, die, verglichen mit der,
die sein natürliches Dasein hervorgebracht hatte, das Geheimnis des
wahren, des wirklichen Lebens enthielt. Francesco brannte wie der
Dornbusch des Herrn, aber äußerlich war ihm nichts anzumerken. Während
sein Inneres sekundenlang ohne Besinnung war, fühlte er eine
unbekannte Befreiung und zugleich eine ebenso süße, als rettungslose
Gefangenschaft.

* * * * *

Inzwischen hatten sich die von Gelächter erstickten, weiblichen
Notrufe angenähert, bis an der Wendung eines abschüssigen Steiges ein
ebenso unschuldiges, als freilich

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