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glücklich diente sie ihm. Und wenn sie in
seinen Armen entschlief, so war es mit dem beruhigten Lächeln, mit dem
sich das Auge des gesättigten Säuglings im Arme und an der Brust der
Mutter schließt. Francesco aber betrachtete, bestaunte und liebte die
Schlummernde. Durch ihren Leib gingen Wellen von Zuckungen, wie es die
Entspannung des Lebens mit sich bringt. Manchmal schrie das Mädchen im
Traum. Aber immer war es das gleiche, betörende Lächeln, wenn sie die
schmachtenden Lider öffnete und dann das gleiche Sterben in letzter
Hingabe. So oft der Jüngling entschlummerte, schien es ihm, als
entwinde eine Macht ihm leise, leise den Körper, den er, mit ganzem
Leibe fühlend, umschlungen hielt. Aber jedesmal folgte diesem kurzen
Entwinden im Erwachen zuerst ein Fühlen von höchster, dankbar
empfundener Süßigkeit; ein unnennbarer Traum mit einem seligen, wachen
Empfinden des süßesten Wirklichen.
Das war sie, die Paradiesesfrucht, von dem Baume, der mitten im Garten
stand. Er hielt sie mit ganzem Leibe umschlungen. Es war die Frucht
von dem Baume des Lebens, nicht vom Baum der Erkenntnis des Guten und
Bösen, mit der die Schlange Eva verführt hatte. Vielmehr war es jene,
deren Genuß Gott gleich machte. Erstorben war in Francesco jeder
Wunsch nach einer höheren, einer andren Glückseligkeit. Auf Erden
nicht und im Himmel nicht gab es Wonnen, die mit der seinen
vergleichbar waren. Es gab keinen König, keinen Gott, den der
Jüngling, wühlend im schwelgerischen Überfluß, nicht als darbenden
Bettler empfunden hätte. Seine Sprache war zum Stammeln, zum
stoßweisen Atmen herabgedrückt. Er sog den betörenden Hauch, der
zwischen den offenen Lippen Agatas hervorströmte. Er küßte die Tränen
der Wollust heiß von der Wimper, heiß von der Wange des Mädchens fort.
Geschlossenen Auges, nur sparsam blinzelnd, genossen beide im anderen
sich selbst, nach innen gerichteten Blicks, heißfühlend und
hellfühlend. Aber das alles war mehr als Genuß, vielmehr etwas, was
auszudrücken menschliche Sprache nicht hinreichend ist.
* * * * *
Francesco las pünktlich am Morgen die Frühmesse. Seine Abwesenheit war
von niemand, seine Heimkunft nicht einmal von Petronilla bemerkt
worden. Die Überstürzung, mit der er, sich flüchtig säubernd, zu den
wartenden Ministranten in die Sakristei und an den Altar vor die
harrende, kleine Gemeinde begeben mußte, verhinderte, daß er zur
Besinnung kam. Die Besinnung trat ein, als er wieder im Pfarrhaus,
wieder in seinem Stübchen war, wo ihm die Wirtschafterin das übliche
Frühstück vorsetzte. Aber diese Besinnung brachte nicht sogleich die
Klarheit einer Ernüchterung. Vielmehr gab die alte Umgebung, der
aufsteigende Tag dem Erlebten den Schein von etwas Unwirklichem, das
wie ein vergangener Traum verblich. Aber hier war doch Wirklichkeit.
Und obgleich sie jeden von Francesco jemals geträumten Traum an
phantastischer Unglaubhaftigkeit überbot, konnte er sie dennoch nicht
wegleugnen. Er hatte einen furchtbaren Fall getan, an diesem Umstand
war nicht zu deuteln: die Frage hieß, ob eine Erhebung von diesem
Sturz, diesem furchtbaren Sündenfall, überhaupt noch möglich war? Der
Sturz war so tief und von einer solchen Höhe herab, daß der Priester
daran verzweifeln mußte. Nicht nur im kirchlichen, auch im weltlichen
Sinne stand dieser schreckliche Fall ohne Beispiel da. Francesco
gedachte des Sindacos, und wie er mit ihm über die mögliche Rettung
der Verworfenen von der Alpe geredet hatte. Nun erst, heimlich, in
seiner tiefen Erniedrigung erkannte er die ganze pfäffische Hoffart,
den ganzen überheblichen Dünkel, der ihn damals gebläht hatte. Er biß
die Zähne zusammen vor Scham, er krümmte sich gleichsam, wie ein
eitler, entlarvter Betrüger, vor Entehrung, in nackter Hilflosigkeit.
War er nicht eben noch ein Heiliger? Hatten nicht Frauen und
Jungfrauen von Soana fast mit Abgötterei zu ihm aufgeblickt?
Und war es ihm nicht gelungen, den kirchlichen Geist der Ortschaft
dermaßen zu heben, daß Messehören und die Kirche besuchen sogar bei
den Männern sich wieder einbürgerte. Nun war er zum Verräter an Gott,
zum Betrüger und Verräter an seiner Gemeinde, zum Verräter an der
Kirche, zum Verräter an seiner Familienehre, zum Verräter an sich
selbst, ja, sogar zum Verräter an den verachteten, verworfenen,
verruchten und erbärmlichen Scarabotas geworden, die er unter dem
Vorwand, ihre Seelen zu retten, erst recht in die Verdammnis
verstrickt hatte.
Francesco dachte an seine Mutter. Sie war eine stolze, fast männliche
Frau, die ihn als Kind mit fester Hand beschützt und geführt, und
deren unbeugsamer Wille auch die Bahn seines künftigen Lebens
vorgezeichnet hatte. Er wußte, daß ihre Härte gegen ihn nichts, als
glühende Mutterliebe war, und daß sie durch die geringste Trübung der
Ehre ihres Sohnes in ihrem Stolze aufs schwerste verletzt, durch eine
ernste Verfehlung des Sohnes aber im Sitz des Lebens unheilbar
verwundet werden mußte. Seltsam, wie im Zusammenhange mit ihr das
wirklich Geschehene, nahe und deutlich Durchlebte nicht einmal auch
nur ausgedacht werden konnte.
Francesco war in den ekelhaftesten Schlamm hinabgesunken, in den
Unflat letzter Verworfenheit. Er hatte darin seine Weihen als
Priester, sein Wesen als Christ, wie als Sohn seiner Mutter, ja, als
Mensch überhaupt zurückgelassen. Der Werwolf, das stinkende,
dämonische Tier, würde in der Meinung der Mutter, in der Meinung der
Menschen überhaupt, sofern sie von dem Verbrechen Kenntnis gehabt
hätten, einzig übrig geblieben sein. Der Jüngling fuhr von dem Stuhl
empor und von dem Brevier auf dem Tisch, in das er sich zum Scheine
vertieft hatte. Es war ihm gewesen, als wenn Hagel von Steinen wider
das Haus prasselten: nicht in der Art, wie am Tage zuvor, bei dem
Versuch einer Steinigung, sondern mit hundert-, mit tausendfachen
Kräften. So, als sollte das Pfarrhaus vertilgt, oder mindestens in
einen Schutthaufen umgewandelt und er als ein giftiges Krötengereck
darunter begraben werden. Er hatte seltsame Laute gehört, furchtbare
Schreie, rasende Zurufe und wußte, daß unter den Wütenden, die
unermüdlich Steine schleuderten, nicht nur ganz Soana, der Sindaco und
die Frau des Sindacos, sondern auch Scarabota und seine Familie, und
sogar allen voran seine Mutter war.
* * * * *
Aber schon nach Stunden hatten ganz andere Phantasien und ganz andere
Regungen solche abgelöst. Alles, was aus der Einkehr, aus dem
Entsetzen über die Tat, aus der Zerknirschung geboren war, schien
jetzt niemals vorhanden gewesen. Eine nie gekannte Not, ein brennender
Durst dörrte Francesco aus. Sein Inneres schrie, wie jemand, der sich
im glühenden Wüstensande verschmachtend wälzt, nach Wasser schreit.
Die Luft schien ohne jene Stoffe zu sein, die man braucht, um zu
atmen. Das Pfarrhaus wurde dem Priester zum Käfig, zwischen dessen
Wänden