In Krottenmühl und Rosenheim

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Wie ein Vorlesungsstreik mir einen schönen, abwechslungsreichen - und gut bezahlten - Sommer bescherte

Von Krottenmühl nach Rosenheim,
spätnachmittags retour.
Es war ein halbes Jahr zwar nur,
doch schön ist das Gefühl:
Die kleine Ortschaft Krottenmühl
war kurz mal mein Daheim,
der Simssee war ein See nicht nur,
er war mein eig'nes Meer ...

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Vorbemerkung
Die Studentenbewegungen 1968, die sich weit bis in das Jahr 1969 hinzogen, erfassten auch einen Großteil der Ingenieurstudenten in Deutschland, die mit ihrem vermeintlich zu niedrigen Status "Ingenieur (grad.)" nicht zufrieden waren.
In diesen Jahren studierte ich an der Staatlichen Ingenieurschule in Düsseldorf. Um Druck auf diese Forderung zu machen, beschloss die Studentenschaft im Wintersemester 68/69 einen Vorlesungsstreik für das folgende Semester. Dieses "Streiksemester" vom (April bis September) wäre mein letztes gewesen.
Eine Anstellung als Projektingenieur ab Oktober 1969 bei der Firma "Paul Kahle Rohrleitungsbau" war bereits beschlossene Sache. Ich hatte meine Technischer-Zeichner-Lehre, die ich Ende April 1960 abschloss, bei Kahle gemacht. Meinen ersten Arbeitstag als Geselle verbrachte ich im Zug nach Hamburg, zusammen mit zwei erfahrenen Kollegen. Dieses erste Rohrleitungsprojekt im Kraftwerksbau und das fast zweijährige Leben in Hamburg machten mich "zum Mann". Danach war ich nur noch sporadisch in Düsseldorf. Bis zum Beginn meines Ingenieursstudiums im Oktober 1966 arbeitete ich meistens in Erlangen in einem Büro unseres Kunden "Kraftwerk Union AG". Nach dem Studium, für das ich von Kahle ein Stipendium bekam, war vereinbart, dass ich mindestens fünf Jahre der Firma treu bleiben muss.

Ich beteiligte mich an einigen Demonstrationen und Aktionen in Düsseldorf, mehr aus Solidarität als aus Überzeugung.
(Artikel im Deutschlandfunk: 1968 in der Düsseldorfer Innenstadt: "Ingenieurschüler demonstrieren auf der Königsallee, sie rollen ein ausgedientes altes Auto bis vor das Kultusministerium und zünden es an. Den Nordrhein-Westfälischen Kultusminister Fritz Holthoff schimpfen sie in ihren Sprechchören einen Holzkopf. Die Ingenieurschüler sind unzufrieden, wollen mehr Anerkennung.")
Ich hatte keinen ausgeprägten Bedarf auf einen "höheren Status" nach Abschluss des Studiums. Und auf ein halbes Jahresgehalt zu verzichten, hatte ich auch keine besondere Lust. Die Fa. Kahle war erfreut, als ich um eine Beschäftigung während des Streiks anfragte. Die Konjunktur boomte, die Firma brauchte dringend einen Mithelfer für den Konstrukteur, den sie für ein Kraftwerksprojekt nach Rosenheim geschickt hatte.

Diesen Konstrukteur, Albert, kannte ich schon von unserer gemeinsamen Zeit in Erlangen. Wir saßen (arbeiteten) damals im gleichen Büro. Ein sympatischer Typ, einer, der nicht mit großen Worten um sich wirft. Einer, der Spaß an sportlicher Betätigung, stillen Wanderungen hat, aber auch an verrückten Ideen und lockeren Gesprächen an einer Theke. Wir passten zusammen, wir kamen gut miteinander zurecht, bei der Arbeit, bei den Wochenendausflügen, in der Kneipe. Wir wurden Freunde. Er ist nur wenig älter als ich und war auch einer von denen, die gern an Großprojekten in einem Büro des Kunden mitwirkten.
In einem kleinen, bei uns Konstrukteuren beliebten Lokal ("Heustadl") in Erlangen stand oft eine nette junge Frau hinter der Theke. Sie half ihrer Mutter, die auch ihre Chefin war. Bei unseren gemeinsamen Ausflügen war bald auch eine Frau mit im Auto von Albert (ich hatte weder Auto noch Frau). Dieses liebe, weibliche Wesen, Margrit, wurde 1966 seine Ehefrau. 1967 wurde ich vorübergehend wieder ein Düsseldorfer, als ich mein Studium begann.
Der Vorlesungsstreik hat mir Glück gebracht. Er brachte mich unerwartet wieder mit diesem netten Paar zusammen. Wir hatten eine gute Zeit in Krottenmühl.
Von dieser handelt diese Geschichte.

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Nach Rosenheim und Krottenmühl
An einem Samstag im April 1969 fuhr ich mit dem Zug nach Rosenheim. Natürlich erster Klasse! Das war damals in den 60er und 70er Jahren üblich. Auch der bezahlte An- und Abreisetag, sowie jeden Monat eine Heimreise. Freitag und Montag waren bezahlte Reisetage, für die man auch Spesen bezog. Spesen erhielt man natürlich auch für alle Tage am Einsatzort.
(Wie bereits oben erwähnt, wurde ich gleich nach der Lehre zu einem Einsatz nach Hamburg geschickt, zusammen mit zwei erfahrenen Kollegen. Mein Monatsgehalt war 400 DM brutto. Als Spesen bekam ich ca. 500 DM netto, und die Wohnung bezahlt. Es waren recht gute Zeiten damals für uns im Anlagenbau.)
Albert arbeitete bereits seit einigen Wochen in Rosenheim. Der Kunde war AEG-Kanis. Es handelte sich um die Projektierung der Rohrleitungen für die Turbine eines Dampfkraftwerks in Guatemala. Ich freute mich auf die Zusammenarbeit mit ihm.
Albert und seine Frau holten mich am Bahnhof ab. Ein schönes und interessantes Sommerhalbjahr machte seinen Anfang.
Mit dem Auto von Rosenheim nach Krottenmühl sind es 13 km. Wir fuhren über den Inn, durch Prutting, nach ca. 3 km rechts ab, Richtung Krottenmühl und Simssee, den man bald sehen konnte, wie auch die Voralpenkette. Ein schönes Panorama baute sich vor meinen Augen auf. Meine Freunde kannten es ja schon seit einigen Wochen. Sie wohnten in diesem Dorf mit vielleicht 50 Häusern in einem kleinen Häuschen mit Blick auf den See, das ich bald in Augenschein nehmen durfte.
Meine Ankunft hier war von Albert gut vorbereitet. Er hatte erfahren, dass eine Nachbarin drei Häuser weiter ein Zimmer zu vermieten hat. Es wurde mein Zimmer für das kommende Halbjahr. Die Besitzerin wohnte allein in dem großen Haus mit Seeblick. Vielleicht fühlte sie sich wohler, wenn noch jemand im Haus ist. Viel Kontakt hatten wir aber nicht. Ich war eigentlich nur zum Schlafen in meinem Zimmer. Nach der Arbeit war ich in der Regel bei Albert und Margrits Küche-Zimmer-Bad-Häuschen, oder mit ihnen unterwegs. Abends war ich ein zufriedener Mitesser von dem, was Margrit servierte. Vorzugsweise im kleinen Garten mit Blick auf den See und die Voralpenkette. Ein weiterer Mieter, ein Patentanwalt, hatte sein Büro in einer kleinen Räumlichkeit unter dem Dach. Diesen sah oder merkte man kaum.
Mir gefiel dieser ruhige Ort von Anfang an. So habe ich meine Kindheit in Erinnerung im Bauerndorf Segringen bei Dinkelsbühl, auch das in Bayern. Nur die Kühe, die ich gerne hütete, fehlten hier.
Am übernächsten Tag begann für mich die Arbeit im Konstruktionsbüro bei AEG-Kanis in Rosenheim.

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ROSENHEIM

Mit Albert am Steuer pendelten wir drei jeden Arbeitstag zwischen Rosenheim und Krottenmühl. Margrit hatte eine Anstellung als Verkäuferin in einem Textilgeschäft.
Albert war der Projektleiter. Ich war ein bisschen aufgeregt. Seit zweieinhalb Jahren hatte ich nicht mehr am Reißbrett gestanden. Aber Albert, der immer ruhig und nie aufgeregt erscheint, half mir "in die Gänge". Mehr

© Willi Grigor, 2018

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