Gefährlicher Sommer (Teil 10) - Page 3

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von Annelie Kelch

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weiter ver­wunderlich.
‚Tatsächlich Katja? Woher willst du wissen, dass Axel ständig so miese Laune hat? Du bist doch gerade erst auf Lachau angekommen. Vielleicht hatte er nur einen schlechten Tag.'
Es war Lenis Stimme, die mir mal wieder im Kopf herumspukte; aber diesmal war ich mir sicher, dass sie nicht in der Nähe war.

„Ihr seid mir eine langweilige Bande, vor allem du, Katja“, unterbrach Hannes meine Gedanken und riss mir das Buch aus der Hand. „Lesen! Bei diesem Wetter!“
„Es gibt eben Men­schen, die gern etwas für ihre Bildung tun. Alit lectio ingeni­um (was du lernst, lernst du nur für dich)“, glaubte Konny mich verteidigen zu müssen. „Hannes liest doch aller­höchstens ‚Lurchis Abenteuer', und das auch nur dann, wenn er sich neue Qua­dratlatschen kauft. Salamander lebe hoch, hoch und nochmals ...“
„Blödmann!“, unterbrach ihn Hannes. „Und gib nicht immer so schaurig mit deinem Latein an.“
„Wie stellst du dir denn einen aufregenden Ferientag vor, Hannes?“, fragte ich
„Aufregend, Katja? Ich wäre schon zufrieden, wenn ihr eure Badeanzüge ausziehen würdet, Kora und du – für eine gesunde Bräune ohne Streifen.“
Kora tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn und fragte: „Sonst noch Wünsche, du Dumpfbacke?“
„Verstehst wohl keinen Spaß, Cousinchen?“
Konny sah Hannes an und grinste. „Wer glaubt, dass das Spaß war, wird selig.“
„Ver­räter!“, warf Hannes ihm an den Kopf.
Feine Clique, dachte ich.
„Wir fahren erst nach Hause, nachdem Katja gebadet hat. Ihr geht mit, damit ihr nichts passiert. Ja, geht nur. Ich rauche noch eine und achte auf unsere Sachen“, sagte Hannes und reckte hart­näckig sein Kinn hervor.
„Vom Rauchen fallen die Haare aus“, grinste Konny. „Wenn du so weiter paffst, bist du bald kahl wie ein Rehbock im Frühjahr.“
„Ha, ha, guter Witz“, gab sich Hannes unbeein­druckt.
Das hat mir gerade noch gefehlt, grübelte ich unruhig und bemühte mich, meine Sinne ganz und gar auf die Rechnung vom Gasthaus „Zur Alten Farm“ zu konzentrieren, die in meiner Geldbörse schlummerte. Hannes würde meine Sachen durch­wühlen, dessen war ich mir sicher.
„Heute bade ich nicht mehr“, sagte ich mit aller Entschlossenheit. „Mir geht 's nicht so gut. Die vielen Kirschen von gestern liegen mir noch immer im Magen.“
„Dann lasst uns jetzt nach Hause fahren!“, schlug Konny vor. „Katja und ich müssen ja auch noch den Kräuter­garten gießen. Das dauert mindestens eine Stunde.“
Ich atmete erleich­tert auf. Das war gerade noch mal gut gegan­gen. Danke, lieber Konny.
„Ihr spinnt wohl“, protestierte Kora. „Das könnte euch so passen. Schließlich sind wir eben erst gekommen. Ich will noch ein wenig die Sonne genießen, be­vor es zurück durch den finsteren Wald geht.“
„Meinetwe­gen“, knurrte Hannes. „Eine halbe Stunde. Keine Minute länger.“
Es klang wie eine gericht­liche Anordnung und niemand von uns erhob Einspruch. Hannes hatte uns gut im Griff.
Wir lagen auf den sonnenheißen Decken im Ufergras ̶ mit schweren Glie­dern und ohne uns zu rühren, starrten in den wolkenlosen blauen Sommerhimmel, boten der Sonne unsere mittlerweile krebsroten Glieder zum Fraß, atmeten die leichten Düfte der Kräuter und Wiesenblumen ringsumher, lauschten dem Gezirpe der Zikaden und schwiegen ̶ träge wie die Katzen vom Hof und dösig von der Hitze.
Bienen und Hummeln, zu denen ich damals noch ein ungestör­tes Verhältnis hatte, durften uns ungeschoren umschwirren; selbst Hannes fühl­te sich zu schlapp, um die Giftstachelmonster zu verscheuchen. Über unsere nackten Arme und Beine krabbelten Armeen von bunt schillernden Käfer.

„Mannomann, die Sonne sticht heute vielleicht wieder, und dort hinten bilden sich schon Haufenwolken. Es sieht nach einem Gewitter aus“, unterbrach Hannes nach einer Weile die gedankenvolle Stille.
„Quatsch“, sagte Konny. „Wenn das Haufenwolken sind, dann bin ich Nofretete.“ Kora kicherte.
„Ich kenne sie alle“, beharrte Hannes, „Schäfchenwolken, Federwol­ken, Schleier...“ „Eule“, ergänzte Kora feixend.

Ich tagträumte vom schönen Harry, hörte das Gras wachsen und entdeckte auf meinem schläfrigen Gedankenflug hin und wieder Knuts vertrautes, wettergegerbtes Gesicht mit dem störrischen grauen Schopf, das sich in den Bilderbogen meiner Fantasien schlich. Aus den Augenwinkeln nahm ich Hannes neben mir wahr, der mit beiden Armen seine Augen überschattete und versonnen auf einem Grashalm kaute. Konny seufzte tief. Vermutlich dachte er an Hannibal ad portas oder konjugierte lateinische Verben: „amō, amās, amat, amāmus, amātis, amant.“
Wen liebst du, Konnymaus? fragte ich mich. Ein intelligentes, kluges, vernünftiges Mädchen aus deiner Klasse in Lübeck oder eine Schönheit aus dem Dorf, die ich noch nicht kenne?
„Lasst uns jetzt aufbrechen. Meine Haut prickelt schon wie wahnsinnig“, jammerte Kora plötzlich und sprang auf.
„Kein Wunder, du siehst ja auch aus wie eine überreife Ketch-up-Flasche ohne Deckel“, grinste Hannes.
Kora zerrte ihren Spiegel aus der Tasche, begutachtete ihr Gesicht und stöhnte: „Nichts wie weg hier, Leute!“
*
Unsere Fahrradsitze glühten wie überheizte Kochplatten. Hannes starrte missmutig vor sich hin. Er sah richtig böse aus. Böse und unzufrieden. Grrrrrr!
Wir traten schweigend den Rückweg an. Im Halbdämmerlicht des Waldes surrten Schwärme von Mücken umher und labten sich an unserem Blut. Hannes fluchte, und Kora spuckte Gift und Galle vor lauter Wut. Nur Konny sog demonstrativ den herben Duft der seegrünen Farnbüschel ein. Es raschelte und knackte an allen Ecken und Enden.

Ich muss unbedingt noch mal zur Jagd­kanzel. Alleine. Sehen, was da noch alles so rumliegt, überlegte ich und wurde schon wieder ganz aufgeregt und hippelig.
„Jeder singt jetzt einen Schlager“, unterbrach Hannes meine kriminalistischen Überlegungen.
„Kora beginnt!“
Zu meiner Überraschung begann sie sofort wie ein sorgloses Waldvöglein zu trällern, mit piepsiger heller Stimme:

„Wenn Teenager träumen, es küsst sie ein Mann,
das ist für sie schöner, als der schönste Roman.
Noch schöner als Kino und heiße Musik!
Denn Teenager träuäumen so gerne vom Glühück ...“

„Hast du das gehört, liebe Katja?“, amüsierte sich Hannes. „... schöner als der schönste Roman. Merk dir das.“
„Meine Romane sind auch schön und dazu oft sogar noch spannend, Hannes. Und das Lied von Peter Kraus ist bereits zehn Jahre alt und längst nicht mehr ‚in' verteidigte ich mich.“ Meine Antwort hörte sich allerdings nicht sehr überzeugend an.
„Bravo“, kam Konny mir unverhofft zur Hilfe.
„Katja, liest du eigentlich die BRAVO?“, fragte Kora.
„Nein, nicht mehr. Gibt es die über­haupt noch?“
„Na klar! Wo

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