Die zehn Weisheiten des Meister Wu - Page 2

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zu hoch. Besorge dir eine Sense und schneide es, dass es wieder lieblich das Tal verschönert.“
„Aber Meister“, wagte Yi zu erwidern, „für diese Arbeit brauche ich eine Woche.“
„Was zählst du in Wochen?“ fragte Meister Wu verwundert. „Es sind nur Augenblicke, die sich aneinander reihen und auch wenn du die Wiese schneidest, so ist der Augenblick nicht gut oder schlecht und gleichermaßen zu ehren.“
Yi dachte tief darüber nach. Schließlich nickte er ergeben, stand auf und verließ den Weisen am Bach sitzend. Meister Wu aber gab sich ganz wieder seiner Pfeife hin und betrachtete weiterhin die Bienen an den Sträuchern. Schließlich erhob er sich. Sein Schüler Wei, dessen dunkel umhüllten Gedanken sich derweil geweitet hatten, saß ihm Gras und betrachtete still den Meister.
„Welch ein lieblicher Tag, den es heute zu ehren gilt“, sagte Meister Wu sinnend. „Ich denke ich gehe nun ins Dorf hinunter. Der Augenblick ist so einzigartig, dass ich ein Glas Raki trinken möchte, um ihn zu ehren, denn er wird niemals wiederkommen.“
„Wie weise du doch bist“, sagte Wei ehrfürchtig.

Die Weisheit der Achtsamkeit

Eines Tages ging Meister Wu auf der frisch geschnittenen Wiese spazieren und bewunderte ihre Ebenmäßigkeit. Seine Schüler Sao und Yi begleiteten ihn schweigsam. Sie lauschten den Vögeln in den Bäumen, wie sie ihr Loblied auf das Tal sangen und schwangen im ewiglichen Klang des Seins.
Nach einer Weile meditierenden Schrittes kehrten sie um und als sie sich dem Haus wieder näherten, wies Meister Wu auf eine Steinbank, von der aus sie hinüber zu ihrem Domizil blicken konnten. Meister Wu setzte sich erhaben auf die Bank und seine Schüler kreuzten die Beine und ließen sich auf dem von Leben sprießendem Gras zu seinen Füßen nieder.
Meister Wu hing seinen edlen Gedanken nach und auch seine Schüler bemühten sich, ihm auf seiner huldvollen Reise still zu begleiten. Doch Sao, der jüngste seiner Schüler, war noch so voller Fragen und so kam es, dass er nach einer Weile das suchende Wort an ihn richtete:
„Meister, wie kommt es nur, dass es so viele Menschen gibt und sie einander doch nicht achten? Und auch die Schöpfung, welche uns umgibt, scheint ihnen nichts wert. Sie geben sich der Gier hin und achten misstrauisch nur auf sich selber.“
Meister Wu, in seinen edlen Gedanken, erhob den Kopf und sah hinüber zu dem Haus, welches die Sonne mit ihrer nachmittäglichen Strahlenflut übergoss.
„Mein junger Sao“, sagte er, nachdem er die Frage seines Schülers tief durchdacht hatte, „die Natur ist. Sie kann sich nicht formen, wie die Menschen, denen es gegeben ist, ihren Fluss des Lebens zu lenken. Und wer etwas unter ihnen werden will, muss sich auf sich selber konzentrieren.“
„Aber Meister“, sprach da Sao in all der gebotenen Demut des unwissenden Eleven, „warum sind die Menschen so unterschiedlich? Sie streben nach dem Vollkommenen, das ihnen angeboren ist und doch scheinen sie gar mehr zu sein als ich.“
Meister Wu wiegte den Kopf und ein nachsichtiges Lächeln huschte über seine Lippen. So sprach er:
„Nur wer ernsthaft danach strebt, kann sich erhöhen. Doch ist der Weg lang und nur wenige schaffen es, ihn bis zum Ende zu gehen. So kommt es in unserem irdischen Leben darauf an, was man scheint und nicht, was man ist. Die Blume blüht und betört mit ihrem Duft und ihrer Lieblichkeit. Sie macht sich dabei größer als ihrer Wahrheit entspricht. Lassen wir sie wachsen, es ist ihre einzige Möglichkeit, sich zu erhöhen.“
Da blickte Yi aus seiner meditierenden Stellung auf und fragte seinen Lehrer:
„Aber Meister, heißt es nicht, dass wir erkennen, was wir achten und wenn wir es nicht beurteilen, so können wir es einschätzen. Auch wenn die Blume sich so sehr Mühe gibt, sie bleibt doch, was sie ist; eine Blume.“
„Wie wahr, mein junger Yi“, sprach Meister Wu nachsichtig und der Schüler, in seinem jugendlichen Überschwang, fügte hinzu:
„Und heißt es nicht auch, dass wir auf uns selber achten sollen, damit wir aus den uns zur Verfügung stehenden Mitteln das der Situation am geeignetsten herauszufinden?“
Meister Wu neigte seinen Kopf und sah wieder hinüber zu dem Haus.
„Wie wahr, wie wahr, mein lieber, junger, weiser Yi. Sieh du den Schuppen dort drüben!“
„Diese halbverfallene Baracke?“ fragte Yi und folgte dem Blick des Meisters. „Diese Hütte, in der wir die Gartengeräte aufbewahren und doch nicht schützen können, weil die Bretter so durchlässig sind, dass jeder Regentropfen hindurchgelangt?“
„Ich bewundere deine Wahrnehmungskraft. Auch sie strebt nach der Erhabenheit zurück, die sie einst besessen hat.“
„Ich erinnere mich, dass sie gar nützlich gewesen war, als wir einst in dieses Tal gezogen sind. Doch nun taugt sie nicht mehr für irgendetwas.“
„Ich sehe, du erkennt ihr wahres Wesen. Du bist jung und stark und es scheint mir das beste zur Verfügung stehende Mittel zu sein, sie wieder aufzubauen, dass sie wieder das wird, was sie ist.“
„Aber Meister, dafür brauche ich fast eine Woche.“
„Was ist schon Zeit, mein lieber Yi, auf dem Weg zur Vollkommenheit?“
Meister Wu lächelte sanft zu seinem Schüler hinunter und Yi besann sich einen Augenblick. Dann erhob er sich demütig von seinem Sitz und schritt über die frisch geschnittene Wiese hinüber zur Baracke.
„Meister, auch wenn ich weiß, dass dies der Meditation dient, so scheint sie mir doch als Strafarbeit“, sagte Sao leise.
Meister Wu strich sich eine Weile durch seinen dünnen, weißen Bart und lächelte dann den Eleven sanft an.
„Mein lieber Sao, ich sehe, dass du die Lektion verstanden hast. Die Achtsamkeit hilft den Menschen die Wahrheit zu verstehen. So eile und hilf Yi, dass ihr euch gemeinsam erhöht.“
Meister Wu aber versank höchst zufrieden in den Tiefen seiner Meditation.

Die Weisheit der Entschlossenheit

An einem kühlen Frühlingsmorgen saß Meister Wu im Meditationsraum und dachte über den Sinn des Daseins nach. Es war kühl im Saal und er hatte sich eine Decke über die Schultern gezogen. Mit geschlossenen Lidern verharrte er in dieser Stellung und seine Wimpern zuckten nur einen kurzen Augenblick, als er ein leises Geräusch vernahm.
Ping und Yi waren voll lehrbegieriger Demut in den Raum getreten und hatten sich neben ihren Meister gesetzt. Yi kreuzte die Beine und breitete die Hände aus, während er ebenfalls die Augen schloss. Ping aber fühlte eine Unruhe, dass er es

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Kommentare

15. Mai 2016

Ein guter Text, der lohnt -
Weil Weisheit in ihm wohnt ...

LG Axel

16. Mai 2016

Oh Weiser dieser Seiten, wie viele Wege zur Erleuchtung hast du uns hier aufgezeigt ...

16. Mai 2016

Vielen Dank, dass er Euch gefällt. Wie ihr seht, kenne ich den Weg nicht, ansonsten müsste ich nicht so viel darüber schreiben :-) LG Magnus

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