Fortsetzung und Beendigung von Franz Kafkas Romanfragment "Amerika" - Page 3

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auf der Suche nach ein wenig Glück und Ruhe. Wie glücklich doch der Augenblick, da ich von Ihnen in die große Gemeinschaft der Mitarbeiter des Natur-Theaters, und ich darf sagen, überaus freundlich aufgenommen worden bin!“

„Nun, dann darf ich Ihnen zu Ihrem späten Mute durchaus gratulieren. Hätten Sie diese Courage nicht aufgebracht, so wären Sie binnen dreier Tage, in Oklahoma City, von der dortigen Intendanz wieder entlassen worden. Und die Zugreise nach Clayton hätte man Ihnen sicherlich nicht bezahlt.“

Karl war blass geworden bei dieser Rede. Schon zu oft war er Versäumnissen aller Art wegen entlassen worden in seinem doch noch so jungen, aber an Erlebnissen so reichen Leben. Sein Onkel, der schwerreiche Senator Edward Jakob, hatte ihn in unbekannte und unheilvoll dräuende, völlig ungewisse Zeiten entlassen. Und das nur, weil er eine Einladung angenommen hatte, bei der er eine Englischstunde, bei seinem Professor, hätte ausfallen lassen müssen. Dann die Entlassung im Occidental, als er nicht zum Dienst am Fahrstuhl erschienen war. Schließlich der Rauswurf bei jener gewichtigen Sängerin Brunelda, der er es hatte niemals recht machen können. Sie bekam ja bei jedem Fehler gleich Galle, wie einst auch der direkte Vorgesetzte aller Liftjungen im Hotel Occidental, Oberkellner Isbary, ein wahrlich cholerischer Mensch schlimmster Güte. Es sind schreckliche zwei Dienstjahre bei dieser dicken Brunelda gewesen. Zu dem grenzenlosen Geiz gesellten sich überdies ein noch gnadenloserer Sadismus und die Lust, den Niederen auf mannigfaltige Art und Weise zu quälen. All die Anschuldigungen: „Du hast mein Parfümfläschchen versteckt... Du hast Besteck und Tafelsilber gestohlen und heimlich verkauft. Du bist ein Nichtsnutz und ein fauler, elendig fauler Strolch. Geh mir aus den Augen, Faulpelz!“ Sie ist launisch, närrisch und über alle Maßen missgünstig gewesen, diese Brunelda. Aber im tiefsten Herzen auch eine arme, geplagte Seele. Sie gab nur weiter, was ihr selbst angetan worden war. Ein Opfer, das sich Opfer suchte.

Karl hatte das alles nur ausgehalten, weil Brunelda gut zu zahlen pflegte. Als Diener, nachdem die vorherigen entlassen worden waren, der Ire Robinson und der Franzose Delamarche, diese beiden gescheiterten Maschinenschlosser und Tagediebe, konnte er sich täglich eines halben Dollars erfreuen. Da er nicht dem Trunk ergeben war, nur sporadisch eine Pfeife zu rauchen pflegte, keinerlei Laster innewohnen hatte, wuchs sein Erspartes ganz ordentlich an. Dieses Geld sandte er, im Quartals-Turnus, an die gute Johanna Brummer, 20 Jahre älter als er selbst, einstige Dienstmagd im Hause Roßmann, mit der er einen Sohn, Jakob, hatte, jetzt 6 Jahre alt. Diese vom Vater lustlos „Vorfall“ benannte Geschichte hatte ja überhaupt erst die Umsiedlung nach Amerika begründet. Nur weg, so die Devise damals. Mag er beim Onkel, dem großen Senator weit überm Teich, einen Neuanfang wagen. Dort wird er es gut haben und eine exquisite Ausbildung genießen, im Kontor, bei den vielfältigen Geschäften des immens reichen Onkels Edward Jakob, dem wohl reichsten Speditionskaufmann in New York seit Entstehung dieser gewaltigen Stadt, 1609 von Holländern gegründet.

Seither sandte Karl das Geld an Johanna. Der tägliche Barber Half Dollar wurde ihm wöchentlich ausgezahlt. Kost und Logis hatte er frei, also konnte er im Quartal rund, zog man das Wenige für Tabak und die eine oder andere Süßspeise ab, etwa 40 $ in die alte deutsche Heimat schicken, nach Prag. Sein Sohn Jakob hatte mittlerweile den Geburtsnamen der Mutter angenommen, Bendelmayer. Dies schien, für seine Eltern, die bestmögliche Absicherung, rein rechtlich, für Johanna Brummer zu sein. Und die war´s zufrieden. Mit dem übersandten Geld konnte sie alle Auslagen für sich und ihr Kind decken, zudem blieb etwas übrig für die persönlichen Belange. Karl war so stark in die Vergangenheit abgetaucht, dass er vom Personalchef ermahnt werden musste: „Junger Mann, hören Sie. Ich sagte: Man hätte Sie entlassen müssen. Aber durch Ihren Mut, den Fehler zu beichten, werde ich mich für Sie einsetzen. Mein Rat ist, auch der Intendanz in OK City gegenüber so offen und ehrlich zu sein. Vielleicht vergibt man Ihnen die Unbedachtheit. Sagen Sie einfach, Sie wären enorm nervös gewesen. Dies war schon Grund für allerlei Unregelmäßig- und Unstimmigkeitkeiten. Sie waren schlicht nervös und etwas verwirrt. Das sollten Sie sagen. Aber mitteilen, doch, junger Mann, mitteilen muss ich diesen Vorgang der Intendanz selbstredend.“

Karl bedankte sich überschwänglich, schritt freien Herzens zurück zum Sitzplatz - und musste dort erkennen, dass Giacomo, sein alter Liftboy-Kollege, nicht vor Ort war. Beunruhigt sah Karl sich um. Dieser Springinsfeld. Kaum zu bändigen, wie ein Irrwisch, immer in Bewegung. Einst einer der besten Liftjungen, neben Renell, Beß und Roßmann selbst. Aber eben auch ein Unruheherd und hyperaktiver Bursche, sogar jetzt noch, mit fast 21 Jahren.

Karl fand ihn schließlich. Giacomo hatte lediglich die Toilette aufgesucht. Beruhigt brachte er seinen Freund zum Sitzplatz zurück und erzählte ihm dort alles über den mysteriösen Mr. Negro und wie ihm diese Lüge beinahe die Zukunft verhagelt hätte. Sein Freund bewunderte seinen Mut. „Das ist enorm, finde ich, einfach so, aus dem Hut gezaubert, einen neuen Namen für sich zu erfinden. Gerade dann, wenn einer der Offiziellen ihn zu hören wünscht. Ganz erstaunlich, Roßmann. Doch doch, damit wächst du sogar noch in meiner Achtung. Früge man mich, so wüsste ich mit ‘Herr Hagestolz’ zu antworten. Jawoll, so möchte ich heißen: Giacomo Rabo Hagestolz“.

Karl schmunzelte. Wie leicht Giacomo doch zu beeindrucken schien. Er sah wieder aus dem Fenster. Der Mark Twain National Forest barg so viel an Wunderherrlichem, dass er seinen Blick kaum abzuwenden in der Lage war. Auch Giacomo kam jetzt zur Ruhe und blickte lange aus dem Fenster. Erhabene Natur stellt Schweigen her. Dies wunderbare Land, dachte Karl. Es ist so groß, so unfassbar groß und wunderschön. Eine Träne rann, von ihm unbemerkt, über seine linke Wange. Sollte er denn endlich einmal Glück haben? Ankommen? Eine Aufgabe haben, der er gewachsen schien? Was hat das zu bedeuten? Technischer Arbeiter. Er war eingestellt worden für die kleineren  technischen Wartungen im Natur-Theater von Oklahoma, das ja, den wunderbaren farbigen Prospekten gemäß, riesig ausgelegt sein musste. 1,50 ha Fläche. Das musste man sich einmal vorstellen. Karl konnte es nicht. Er musste so etwas sehen, um es begreifen lernen zu können. So, wie er diesen wunderschönen

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