Eine Ausschweifung - Page 2

Bild von Lou Andreas-Salomé
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Vater am meisten glich, so liebte sie mich am hingebendsten grade in dem, worin ich ihr am fremdesten war, und hieß alles gut. Ich aber ging inzwischen umher und diente glückselig jedem leisesten Wink dieser Eltern, deren Liebe in mir zusammenlief, und alles nach ihrem Willen aus mir hätte formen können wie aus erwärmtem Wachs, das dem zartesten Druck nachgiebt.

In meinem siebzehnten Jahre wurden wir von der galizischen Grenze nach Brieg in Schlesien versetzt, und bezogen dort die schöne Obristenwohnung im Villenviertel unten am Fluß. Von Brieg aus sollte ich noch weiter fort, ich sollte nun endlich unter der Leitung eines tüchtigen Lehrers der ersehnten Kunst zugeführt werden. Von diesem Plan träumten mein Vater und ich auf das ernstlichste, doch kam es ganz anders, weil er zu kränkeln anfing, so daßkeine Rede davon sein konnte, ihn zu verlassen. Ich aber, — ich verliebte mich über Hals und Kopf in meinen Vetter Benno Frensdorff.

Von Benno hatte ich seit meiner Kindheit viel im Hause sprechen hören, und immer im Tone außergewöhnlicher Achtung. Er war, früh verwaist, mit Hilfe meiner Eltern erzogen worden, und fiel schon als Knabe durch den unheimlichen Fleiß auf, womit er, immer um bezahlte Nachhilfestunden bemüht, das Gymnasium absolvierte. Dann studierte er Medizin, und befand sich jetzt als Hilfsarzt in der Kreisirrenanstalt von Brieg, wo ich ihn zum erstenmal kennen lernte.

Die vorzüglichen Eigenschaften, die man an ihm rühmte, hatten mir nur einen ganz vagen Eindruck gemacht. Aber eine andre seiner Eigenschaften that es mir augenblicklich an: Benno war schön. Schöne Menschen sind immer mein ganzes Entzücken gewesen, und wenn auch mein künstlerischer Geschmack heute etwas andres darunter versteht als damals, so mußich doch Benno auch heute noch zugeben, daß er in seiner jungen Männlichkeit, mit dem ernsten blonden Kopf und dem hohen Jünglingswuchs, wie man ihn nicht oft findet, ganz auffallend gut aussah. Wenigstens stach er genugsam von den geschniegelten Referendaren und Lieutenants ab, die auf der Eisbahn und in den Kaffeekränzchen uns jungen Mädchen den Hof machten, und es gab ihm schon etwas Apartes, daß er durchaus keine Zeit fand, mit uns Schlittschuh zu laufen und Kaffeekränzchen zu besuchen, sondern schweigsam beiseite stand und durch seine Brillengläser jeden daraufhin zu beobachten schien, ob er nicht auch in sein Narrenhaus gehöre.

An Benno bin ich in einem erotischen und ästhetischen Rausch zum Weibe erwacht; meine Neigung zu ihm war so zutraulich und leidenschaftlich zugleich, daß in mir, die ja auch nur Liebe gekannt hatte, nie der geringste Zweifel an seiner Gegenneigung entstand, obgleich Benno mich nicht stark beachtete. Er hat mir später gesagt, eine Werbung um mich sei ihm bei seinen geringen Zukunftsaussichten und bei seiner scheuen Dankbarkeit gegen meine Eltern stets ganz toll und undenkbar erschienen. So kam es denn, daß im Grunde ich um ihn warb; mit berauschter Zuversichtlichkeit ging ich ihm entgegen, näher, immer näher, und in kurzem war ich seine Braut.

Sich so zu verlieben, hätte wohl auch einer andern passieren können, selbst mit anderm Temperament als meines. Daß diese Liebe erwidert wurde und zur Verlobung führte, ist ein unglücklicher Zufall; hätten wir uns nun rasch heiraten können, so wäre wohl für mich die Enttäuschung auf dem Fuße gefolgt, oder aber es würde die Mutterschaft mich vielleicht in meinem ganzen Wesen stark verwandelt haben. Von alledem trat nichts ein, wir konnten noch nicht bald heiraten, und unter den gefährlichen Liebkosungen des Brautstandes steigerte sich mein junger Liebesrausch zu einer Sehnsucht und Gemütsspannung, die das ganze übrige Leben förmlich entfärbte.

Um diese Zeit starb mein Vater, indem er mit tiefem Vertrauen meiner Mutter und mir Benno zum Hüter und Berater bestellte. Monate voll schwerer Trauer folgten; meine Mutter und ich, die beiden unselbständigen, verwöhnten Frauen, warfen alle unsre Hoffnung auf Benno allein.

Zunächst wurde die Wohnung im Villenviertel geräumt und ein Haus bezogen, das neben der Irrenanstalt stand, wo Benno sein Dienstzimmer hatte. Es war ein altmodisch gebautes Haus, in dessen Erdgeschoß außer uns einer der angestellten Aerzte wohnte, über uns aber der Rendant der Irrenanstalt mit seiner Frau und zwei Töchtern. Als wir dorthin umzogen, kam es mir vor wie eine Uebersiedlung nach einem ganz fremden Ort, obwohl dieses Brieger Viertel gar nicht weit vom ältesten Mittelpunkt der Stadt, vom Rathaus und von den Gartenanlagen auf dem ehemaligen Wallgraben, entfernt ist, und ich oft genug den mächtigsten Gebäudekomplex, den Brieg besitzt, zum Himmel hatte aufragen sehen: die Kreisirrenanstalt und das Zuchthaus. Aber erst jetzt sah ich sie wirklich: das erste auf zwei Seiten von schönem Park umgeben, das andre von einer haushohen Mauer umschlossen, die einen Kranz spitziger Eisenstacheln trug, und an deren Fuß Haufen schneidender Glasscherben lagen. Trotz dieser Verschiedenheit aber glichen sie einander im düstern Gesamteindruck, den sie machten, beides Gefängnisse leidender Menschheit, von denen die ganze Straße einen eigentümlich schwermütigen Anstrich erhielt.

Unsre Vorderfenster sahen gradezu auf das hohe Mauerwerk mit den Eisenstacheln, durch die Seitenfenster des Wohnzimmers aber erblickte man, über den parkumstandenen Hof des Irrenhauses hinweg, die vergitterten Scheiben der Abteilung für Tobsüchtige.

Am Abend nach unserm Einzug, während die alten zierlichen Barockmöbel mit ihren Goldleisten und geschweiften Beinen noch ziemlich ratlos umherstanden und nicht recht wußten, wo in diesen langen, niedrigen Stuben unterzukommen, erfaßte mich ein Ausbruch wilder Verzweiflung. Meine arme Mutter war so erschrocken, daß sie am liebsten gleich wieder fortgezogen wäre. Sie erwog in aller Geschwindigkeit ganz im Ernst schon einen solchen Plan.

»Denn wir müssen ja nicht notwendig hier wohnen, — nicht wahr, Benno? wir können es ja schließlich auch in einer andern Straße,« meinte sie.

Benno hatte sich kurz nach ihr umgewandt, er antwortete aber nichts, sondern ging nervös im Zimmer auf und ab. Erst als meine Mutter hinausgegangen war, um für das Abendbrot zu sorgen, hielt er inne, kam auf mich zu und umfaßte mich rasch und heftig.

»Adine!« flüsterte er heiß an meinem Ohr, »— wenn ich nun hier, grade hier mit allen meinen Zukunftsaussichten Fuß fasse —? Und ich erhoffe das für uns! Wirst du mich dann auch allein hier am Irrenhause wohnen lassen?«

Ich sah ihn zaghaft an. »—Könnte das sein? wird es — wird’s so sein?« Er nickte nur leise.

Ich

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