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Als ich fünfzehn wurde, teilten sich die Leute, die ich kannte, in zwei Gruppen. Die, die jedes Wochenende weggingen, rauchten, tranken und Zeug nahmen und die, die zu Hause blieben. Ich gehörte zur ersten Gruppe. Am Wochenende entweder bei einem Kumpel zu Hause oder eben in der Stadt. Häufig auch beides. Wir waren ständig bei Marvin, er hatte mit 17 schon eine eigene Einzimmerwohnung in der teilweise bis zu zehn Leute übernachteten, irgendwelche problematischen Familienverhältnisse hatten ihn in diese glückliche Situation getrieben.
Ich hatte zu der Zeit schon einige Erfahrungen gemacht, wollte aber noch einige machen; Drogen wollte ich noch ein paar ausprobieren, aber auch unbedingt mein erstes Mal haben. Es wurde meiner Meinung nach langsam wirklich Zeit, ich hatte das Gefühl total hinterherzuhinken, was im Nachhinein betrachtet großer Unsinn ist. In dem Alter tut man auch nur für den Bruchteil der Chance auf sein erstes Mal verdammt viel; man verstellt sich, ist nett, hechelt Frauen hinterher, als wäre es das wichtigste was im Leben je passieren würde.
Ich war auch unter der Woche oft bei Marvin, zu Hause war nichts los, wir spielten Videospiele; ich schrieb manchmal an besonders „tiefsinnigen“ Texten, die aber zum Glück niemanden interessierten.
Wir hatten sogar eine Band gegründet; Marvin, ich und noch zwei andere, Bolko und David, den alle nur „Fettie“ nannten, aber in einem halben Jahr hatte man vielleicht dreimal zusammen geprobt.
Es war ein gutes Leben für einen Fünfzehnjährigen.
Wir saßen gerade bei Marvin und er rief noch bei ein paar Leuten an, um abzuklären, um wie viel Uhr man sich in der Stadt treffen würde, als es plötzlich klingelte. Marvin runzelte die Stirn. „Kommt noch wer?“ „Hast wen eingeladen?“ „Nein, glaub nicht, du?“ „Nein.“
Er ging zum Eingang, sah durch den Türspion, grinste breit und öffnete die Tür. „Pasci, dich hätte ich nicht erwartet. Was machst du hier?“ „Geschäftlich; dacht, ich besuch meinen Cousin mal.“ Marvin hatte von Pascal oder Pasci wie ihn alle nannten, mehrmals erzählt. Er war 20 Jahre alt und leitete mittlerweile ein kleines Unternehmen für irgendwelchen Softwarekram, von dem niemand wirklich etwas verstand. Interessanter für Marvin war allerdings eher, dass er immer versorgt war.
Marvin schloss die Türe hinter Pascal. „Hast was dabei?“ „Lass mich doch erst einmal ankommen“, sagte Pascal lächelnd, zog seinen Mantel aus und warf ihn neben mich auf die Couch. „Ach, Pascal, Michael; Michael, Pascal“, stellte Marvin mich vor und Pascal nickte mir zu. „Gutes Zeug, sag ich dir, ein Kumpel von mir hat angefangen anzubauen und seine erste Ernte ist raus. Krasses Haze. Riech mal“, sagte er, öffnete das Plastiktütchen und hielt es Marvin unter die Nase. „Wenn das Ott so riecht wie es wirkt...“, sagte dieser und beendete den Satz nicht. Pascal nickte.
Er ließ sich neben mich auf die Couch fallen, legte den Beutel Gras auf den Tisch, zog Long-Papes aus seiner Tasche und legte sie ebenfalls dazu. „Wollen wir's nicht in die Bong hauen?“
„Na, nicht mehr; keine Bong. Weißt du noch Kevin?“
„Jau.“
„Lungenflügel umgeklappt. Keine Bong.“
„Kay, ist dein Zeug.“
„Keine Sorge, ich lass euch was für später da.“
Ich hatte erst ein paar Mal Gras geraucht, aber es war bisher immer recht angenehm gewesen.
Das erste Mal hinter einer Mauer, wenige Meter vom Schulhof entfernt. In der Regel reagieren die Leute auf drei Arten, entweder sie übertreiben total oder sie merken gar nichts oder sie kotzen. Ich übertrieb.
Mittlerweile war das normaler geworden.
„Hat wer von euch Tabak?“, fragte Pascal. „Ja, Moment“, sagte ich, zog den E&B-Drehtabak aus meiner Hosentasche.
„Ist mittlerweile ein bisschen trocken“, sagte ich.
„Macht nichts. Noch irgendwas für einen Tip?“
Marvin riss wortlos ein Stück des Umschlags eines Taschenbuchs ab.
„Ist etwas dick, oder?“
„Passt schon. Passt schon.“
Nach kurzer Zeit war der erste Joint gebaut.
„Wer will?“
„Bauer ist Hauer“, sagte Marvin und Pascal holte sein Feuerzeug raus, um ihn anzurauchen.
„Ich sag denen, wir kommen eine halbe Stunde später.“ Martin rief bei den Freunden in der Stadt an.
Das Gras war besser als gedacht und ich spürte nach einer guten Viertelstunde wie sich der süße Schmerz in meinem ganzen Körper ausbreitete. High sein ist schwer zu beschreiben, wenn du es selbst noch nie versucht hast.
Als der Joint sein Ende im Aschenbecher fand, holte Pascal einen kleinen Rasierspiegel heraus und verteilte darauf etwas Pulver.
„Ist das Koks?“, fragte ich.
„Speed. Wollt ihr was?“
„Nein danke, ich bleib beim natürlichen Zeug.“
„Ich würd gern.“
„Hast du schon mal gezogen?“
„Nein, wie wirkt es?“
„Macht dich wach. Klar im Kopf. Hab jede meiner scheiß Prüfungen in der Schule so geschrieben. Lief immer bestens.“
„Muss ich irgendwie aufpassen?“, fragte ich. Ich wollte ausprobieren, aber nicht vollkommen unüberlegt. „Ne, da kann nichts schief gehen – ich mach dir mal ne kleine Line.“ Er zog seine Krankenkassenkarte heraus und schob ein wenig von dem Pulver hin und her bis eine kleine Line übrig blieb.
„Du ziehst es rein und lässt es dann drin. Du willst dir wahrscheinlich ein Taschentuch holen, aber dann isses verschwendet. Erst in fünf Minuten, ok?“
„Ja ok.“
Er machte eine Pause, schob dann den kleinen Spiegel vor mich und wartete. „Womit soll ich ziehen?“ „Geldschein – komm schon.“ Ich zog einen Fünfer aus meinem Portemonee, rollte ihn zusammen und zog die kleine Line vorsichtig vom Spiegel. Ein leichtes brennendes Gefühl breitete sich in meiner Nase aus.
Nach kurzer Zeit bemerkte ich, dass ich tatsächlich wach wurde. Und ich hatte Lust, irgendwas zu machen. „Ich muss los – ich lass euch ein bisschen Gras da“, sagte Pascal und stand wieder auf.
„Jetzt schon?“
„Morgen Kundengespräch.“ Er drückte mir noch ein winziges, metallenes Behältnis in die Hand; so, dass Marvin es nicht sehen konnte; ich war etwas verwirrt, packte es aber einfach in meine Hosentasche.
Wir fuhren eine halbe Stunde später in die Stadt und es war ein unglaubliches Gefühl – total wach sein, alles wirkte viel klarer und intensiver, mein Gehirn schaltete unglaublich schnell.
Die Leute waren längst in der Kneipe – sie hieß „Justus“ – und wir stießen dann hinzu.
Es war eine große Gruppe, sicher zwölf Leute und bis auf Fettie und Bolko kannte ich niemanden, aber das störte mich nicht. Irgendwie hatte ich die ganze Zeit Lust Zigaretten zu rauchen.
Zu der Runde gehörten fünf Mädchen und sieben Jungs, alle

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