Seiten
Die Intervention
Festnetz-Telefon. Es klingelte. „Huldvoll nehme ich Deine oder Ihre Glückwünsche entgegen“, tönte wohlgelaunt der Hausherr. „Ich habe Geburtstag und möchte, dass heute alle, wirklich alle glücklich sind! Hier spricht Heiner Stallenfeller. Guten Tag...“
„Hier Rödel. Vom Nebenhaus. Tachchen, Herr Stallenfeller. Und natürlich herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag auch. Fröhliche Verwesung. Ach, tschulltschungk, das ist der falsche Text. Nur das erste. Herzlichen Glückwunsch. Ich hatte ja echt keine Ahnung... Geburtstag hat der Mann. Ausgerechnet heute. Davon wusste ich nichts...“
„Und mit Ihnen 99,99 % der Menschheit! Sagen Sie ein Gedicht auf!“ (Übermütig)
„Die Annabell von Karamell, im „Altgesell“ die Kaltmamsell...“ (Wird unterbrochen)
„Nein, nicht so eines. Der Jahreszeit angemessen. Ein Februar-Gedicht. Ich habe im Februar Geburtstag. Um genau zu sein, heute. Sagen Sie ein nettes Winter-Gedicht auf. Rein zu meinem Vergnügen. Wo ich doch Geburtstag habe. Bitte. Ja?“
„Es weißt herab und flockt recht munter...“ (Wird unterbrochen)
„Es weißt?“ (ungläubig)
„Ja doch. Der weiße Schnee. Es weißt herab...“
„Und flockt recht munter?“ (zweifelt immer noch)
„Ja doch. Die Schneeflocken sind gemeint. Was sonst?“
„Aaah. Es weißt herab und flockt recht munter... So... Aha. Ja, und wie weiter?“
„So zapfig kalt, Schnee, kunterbunter...“ (ein wenig schmollig. Zu oft unterbrochen worden. So kann man keinen pathetischen Vortrag zu Gehör bringen)
„Lassen Sie mal, Rödel. Vielen Dank auch. Und? Wie komme ich nun zu der Ehre?“
„Wie jetzt? Welche Ehre? Des Gedichtes? Na, Sie haben doch Geburtstag. Heute. Schon vergessen? 3. Februar 2021. Sie werden heute sicherlich 60, stimmt´s?“
„Ich bin seit heute 53. Nun, Sie haben doch mich angerufen. Was verschafft mir also das Vergnügen, Herr Rödel?“ (Ist etwas verstimmt. Er und 60. Ha! Da ist noch Zeit!)
„Ach so, ja, richtig. Ich hatte Sie angerufen. Es geht nämlich um eine Intervention. Der dringlichen Art. Ich wollte Sie um einen persönlichen Gefallen bitten.“
„Na denn. Am Hochzeitstag meiner Tochter dürfen Sie mich um alles bitten, Sie müssen mich nur Pate nennen. Nein, warten Sie. Das stimmt so nicht. Ich habe lediglich Geburtstag heute. Also, um was geht´s? Ich bin heute sehr spendabel.“
„Ich soll Sie Pate nennen? Wo Sie doch gar keine Tochter haben, Herr Stallenfeller. Also... Mein Anliegen? Das ist heikel und komplex. U-Unter Ihnen wohnt Fräulein Gundel Firkesköppche, so wunderschön wie ein Huflattich...“
„Wie ein Huflattich?“ (Ist ein wenig überrascht)
„Ja, der lateinische Name ist Tussilago farfara.“
„Moment mal. Sagten Sie Tussilago farfara? Ist denn das alles Ihr Ernst, Herr Rödel? Sie sind doch nicht etwa angetrunken? Ist das ein Scherzanruf?“
„Aber nein! Und: Aber ja ist das mein Ernst. Tussilago farfara, der Huflattich. Wunderschön, und das nicht nur anzusehen. Findet als Heilkraut Verwendung, man findet ihn im Salat, es gibt Huflattich-Honig und, nicht zu vergessen, er wird auch Ackerlatsche und, leider, ebenso auch "Kuhfladen" genannt. Nicht zu verwechseln mit Pestwurz... Äußerst gefährlich.“
„So so, Tussilago farfara also. Und Sie vergleichen ihn mit Fräulein Firkesköppche?“
„Nein, nicht doch. Sie Tumbhirn. Ich vergleiche Tussi, äh, Gundel Firkesköppche mit Huflattich. Nur so wird ein Schuh daraus. Nicht Huflattich mit Gundel Firkesköppche.“
„Sie müssen mächtig einen an der Mütze kleben haben, Nachbar Rödel..."
"Jetzt werden Sie aber mal nicht gleich biestig!"
"Ich und biestig? Dann sehen Sie mich also als Biest? Ja? Ist das so?"
"Nun ja, im positiven Sinne natürlich."
"Im Po? Im Po? Im positiven Sinne? Imposant! Na, Sie kommen mir nun wirklich recht gelungen vor, Sie Heini. Und wie könnte ich Ihnen denn nun behilflich sein, am Hochzeitstag mei..... tja, an meinem Geburtstag, Meister Rödel?“
„Intervention!“
„Ich soll intervenieren? Bei Fräulein Firkesköppche? Für Sie bei ihr werben? Haben Sie sich das so in etwa gedacht, Sie Chaot? Warum fragen Sie sie nicht selbst, ob sie Zeit und Lust verspürt, mit Ihnen anzubandeln?“
„Schüchtern.“
„Stimmt, das erschwert in der Regel die Kontaktaufnahme...“
„Bin wirklich extrem schüchtern. Möchte aber nicht ablassen vom Plan.“
„Den, der Gundel den Hof zu machen?“
„Ri-richtig. Davon geh ich nicht ab. Sie brauche ich dazu als Postillon d’Amour. Wo wir uns doch seit dem Nachbarschafts-Grillfest vom vor-vorletzten Sommer kennen.“
„Bei dem Sie mir Ketchup auf mein Beinkleid...“ (deutlich indigniert)
Unterbricht schnell: „Und Senf aufs Revers...“
„Nicht zu vergessen!“ (Schmollt immer noch ein wenig, bereits seit Juli 2018)
„Wenn Sie also so gütig wären, am Hochzei.... an Ihrem Geburtstag, ich meine, wenn Sie so frank und frei wären, der glattwangigen, grazilen Gundel gütigst grundehrliche Grüße von mir zu übermitteln, Herr Stallenfeller. Ginge das? Ich spendiere auch 4 FFP2-Masken...“
„Die es kostenlos in der Apotheke gibt.“ (Trocken)
„Sind oft vergriffen. Ich aber habe wirklich welche. Einen ganzen Karton voll. Mein Arbeitgeber hat ihn mir zur Verfügung gestellt. Dankenswerterweise.“
„Na, dann kann ich ja quasi gar nicht anders als zusagen. Doch müssen Sie auch etwas bieten. Gundel Firkesköppche ist eine Sahneschnitte. Können Sie das gute Mädchen denn auch überzeugen, wenn ich erst einmal freie Bahn und damit eine solide Grundlage geschaffen habe? Für Sie! Können Sie dann auch etwas bieten?“
„Ich spiele wöchentlich für 8,10 Euro Lotto. Hin und wieder ernte ich dabei sogar feine 2,50 Euro an Gewinn. Hin und wieder. Nicht eben oft, aber ab und an doch.“
„Das wird Gundel, die grundgütige, galante, großartige, geniale, gnadenlos gutaussehende Gundel ganz sicher überzeugen. Eine Zukunft mit Ihnen liegt im Bereich eines güldenen Horizonts, dank der unerlässlich aufscheinenden Lotterie-Chance. Das ganz große Glück wartet jede Woche, lauert stetig, kam Sie aber bislang noch nie wirklich besuchen, richtig?“
„Das ist doch nur eine Frage der Zeit. Können Sie mir denn, da Sie doch schon mal über der Holden wohnen, irgendetwas zur reizenden Gundel sagen?“
„Ja schon. Ich weiß eben seit diesem Nachbarschafts-B-B-Q so einiges über diese hübsche Frau. Sie ist 39, geschieden, keine Kinder, hat Betriebswirtschaft studiert, spricht 3 Sprachen fließend, Deutsch ist hier nicht eingerechnet, wohnt jetzt seit 5 Jahren im Haus, seit ihrer Scheidung, übrigens direkt unter mir, lärmt und schmutzt nicht, ist äußerst gesellig und das, was man wohl im englischen Sprachgebrauch „easy-going“ nennt. Evangelisch, keine Kirchgängerin, keine engen Freundschaften hier im Haus. Wir pflegen uns im Treppenhaus stets sehr freundlich zu grüßen, ab und an plaudern wir ein wenig, so sie ihre Treppenwoche hat und ich gerade auf dem Weg nach oben bin.“
„Ja genau. Davon wusste ich ja auch. Sie haben als einziger Bewohner dort einen guten Umgang mit Gundel. Denken Sie denn, die geht mal mit mir aus? Natürlich nach Ihrer
Kommentare
Da hat sich der Meister wirklicher Schreibkunst wieder einmal niedergelassen, um uns GOTTES WORT zu erklären.
Dialoge vom Feinsten !
HG Olaf
Lieber Olaf,
vielen Dank für die mehr als freundlichen Worte. Ich habe
mich mächtig gefreut. Mag Dich die Seuche verschonen,
leb trotz aller Widrigkeiten freuderfüllt vor Dich hin. Meine
besten Grüße erreichen Dich heute,
THX, Gherkin
Liebster Gerd!
Auch dieses so trefflich beschriebene Telefonat gerne mitverfolgt ;-))
Zum Thema Wienermädel erinnerte ich mich spontan an dieses:
Wiener Dialekt
Johannisbeer ist süße Frucht,
Doch süßer klingt: »Ribisel«;
Der Deutsche sagt: "Ein hübsches Gesicht!"
Der Wiener: "A hübsch Gfriesel!"
Die deutschen Jungfraun zieren sich
Spröd-ernsten Wesens, strengens;
Die Wienerin hält sich den Mann vom Leib,
Und lacht und sagt: "Jetzt gengens!"
Und wenn er dringend wird und spricht
Von seinem gebrochen Herzen,
Dann schaut sie ihm ernsthaft ins Gesicht:
"Sonst habens keine Schmerzen?"
Und will er die Pistole gar
Nach Brust und Stirne richten,
Da nimmt sie ihn freundlich bei der Hand:
"Gehns, machens keine Gschichten!"
Von keinem Geringeren als Franz Grillparzer!
Also da besteht ja noch Hoffnung im Prinzip auf etwaige Annäherung!
Schicke ein herzliches "Servus" zu Dir lieber Freund!
Uschi
Seiten