Gefährlicher Sommer (Teil 21; Text 2) - Page 2

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sehr altes Gemüse, das bereits die Griechen zu schätzen wussten,“ steuerte Onkel Ludwig zum Gespräch bei.
„Dein Spargel schmeckt wirklich fabelhaft, Anita, kein bisschen holzig“, lobte Tante Sarah Omas Kochkünste, die das Kompliment mit einem huldvollen Lächeln entgegennahm.
„Wisst ihr denn eigentlich auch, was man unter einem ,Spargelhähnchen' versteht“, fragte Onkel Ludwig mit einem verschmitzten Lächeln und sah uns der Reihe nach an.
„Etwa ein Hähnchen mit Spargelfüllung? Habe ich jedenfalls noch nie gegessen“, meldete sich Mutti zu Wort.
„Irrtum, liebe Martha“, grinste Onkel Ludwig.
„Vielleicht ein abgemagertes Hähnchen?“, warf Opa ein.
„Falsch, Edmund. Ein ,Spargelhähnchen' ist ein Blattkäfer, zirka fünf bis sieben Millimeter lang, ein Schädling, der die Blätter und Wurzeln des Spar­gels frisst.“
„Ja, ja, die Schädlinge“, nahm Opa das Thema dankbar auf. „Mit der chemischen Schädlingsbekämpfung werden leider auch die nützlichen Bodentiere wie Milben und Regenwürmer vernichtet. Und was für verheerende Folgen diese Atem- und Nervengifte für uns Menschen und unsere Umwelt haben, daran mag ich gar nicht denken.“ Er seufzte leise.

„Zigarre gefällig, Edmund?“, wandte sich Onkel Ludwig an Opa, nachdem wir den gesamten Nachtisch (Eis mit frischen Erdbeeren) ver­speist hatten.
„Noch so ein scheußliches Gift!“, schimpfte Oma. „Entfernt euch bitte aus der Wohnung, wenn ihr unbedingt paffen müsst! Raus! Ab in die Laube mit euch!“
„Ganz schön rabiat, deine bessere Hälfte, Edmund“, grinste Onkel Ludwig. Opa schwieg wie immer mit weiser Miene, aber Oma warf Onkel Ludwig einen ihrer vernichtenden Blicke zu. Wo die hinfallen, wächst so schnell kein Bart mehr.
Ich hätte Onkel Ludwig noch so einiges mehr über Opas „bessere Hälfte“ berichten können und dies ganz gewiss auch getan, solche Wut auf Oma hatte sich mittlerweile in mir aufgestaut, liebe Christine, aber mir fiel mit einem Mal ein, dass Tante Selma an diesem Nachmittag nach Hause kommen sollte.
„Tante Selma wird heute aus dem Krankenhaus entlassen. Ich muss zu Kora und Konny. Wir wollen das Haus schmücken. Tschüüüsss!“, rief ich und lief durch den Saal zur Tür, damit Oma mir keine nervigen Fragen stellen konnte.
„Grüß schön“, rief Mutti mir nach. Ich stand bereits mit einem Fuß im Herrenzimmer, als mich ihre Botschaft erreichte, und zog schnell die Tür zu, ohne darauf zu erwidern. Als ich über die Veranda hechten wollte, hielt mich eine vertraute, sehr tiefe Stimme auf: Hannes' Vater! Er saß stirnrunzelnd über den großen Eichentisch gebeugt; vor ihm lag ein überaus stattliches Buchführungsjournal.
„Wo soll es denn hingehen, so in Eile, Katja?“, fragte er.
„Ach“, stammelte ich. „Ihre Schwester wird doch heute aus dem Krankenhaus entlassen. Wir wollen das Haus schmücken, um ihr einen schönen Empfang zu bereiten, nach allem, was die Ärmste durchgestanden hat ...“ Wegen Hannes und mir, war ich kurz davor hinzuzufügen, konnte mich zum Glück jedoch gerade noch bremsen, liebe Christine. Kröger sah mich einen Moment lang prüfend an, und ich stand vor ihm wie vorm jüngsten Gericht und verlagerte nervös mein geringes Gewicht ab­wechselnd von einem Bein auf das andere.
„Du hast übrigens Post“, sagte er endlich, nachdem er mich eine Weile betrachtet hatte, während ich vor lauter Verlegen­heit nicht wusste, wo ich hinschauen sollte. Seine Hand streckte mir einen Brief entgegen. Ich warf einen kurzen Blick auf den Absender; er war von Harry.
„Ein Verehrer?“, fragte Herr Kröger lächelnd. ,Verehrer'!, dachte ich. Eigentlich gibt es dieses Wort in meinem Sprachgebrauch gar nicht. Ich hatte den Ausdruck zwar schon des Öfteren gelesen, aber ihn noch niemals jemanden aussprechen hören: ,Verehrer'! Ziemlich altmodisch, Herr Gutsverwalter.
„Nö“, sagte ich leichthin und verleugnete den armen Harry wie damals Petrus unseren Herrn, Jesus Christus. „Nur ein Klassenkamerad von mir.“ Ich nahm den Brief entgegen, steckte ihn nachlässig in die hintere Gesäßtasche meiner Shorts, nickte Kröger zu und rannte mit garantiert karminrot glühenden Wangen, über deren hundsgemeines, verräterisches Aufkommen ich mich maßlos ärgerte, durch den Park, um schneller bei der Clique zu sein. Zu meiner Überraschung tauchte dort, wo sich die letzten Tannen den Wolken entgegenstrecken, ein ziemlich hoher Zaun auf, den zu überwinden jedoch, wie du dir sicherlich denken kannst, liebe Christine, kein Hindernis für mich war.

Hannes war gerade dabei, eine Girlande über der Eingangstür zu befestigen, als ich atemlos vor Tante Selmas Haus stand.
„Hilf mir bitte mal und halte das Ende fest“, bat er. „Dieser total unfähige Hund schnappt ständig nach dem Grünzeug und will damit abhauen!“ Tom sah zu Hannes empor und knurrte ihn an. Er klang ausgesprochen beleidigt.
„Wann rechnet ihr mit Tante Selma?“, wollte ich wissen.
„In etwa zwei Stunden“, gab Hannes gereizt Auskunft. An der Hauswand lehnte ein ovales Pappschild. Jemand hatte Silberpapier darübergeklebt und mit schwar­zer Tusche in altdeutscher, herrlich verschnörkelter Schrift „Herzlich Willkommen“ draufgepinselt.
„So, das wäre geschafft!“, seufzte Hannes und betrachtete zufrieden sein Werk.
„Nett von dir, dass du meinem Vater Bescheid gesagt hast, Katja. Er hat vor einer Minute angerufen und sich zum Kaffeetrinken eingeladen.“
„Hm“, machte ich.
„Das klingt ja nicht gerade begeistert. Ich habe ganz stark angenommen, du freust dich darüber, dass sich mein alter Herr zu uns gesellt“, brummte Hannes.
„Hast du eigentlich gar kein schlechtes Gewissen wegen Tante Selma?“, wollte ich wissen. „Schließlich sind wir nicht ganz unschuldig an dem Über­fall.“
„Halt bitte darüber den Mund, Katja!“, fauchte Hannes. Er deutete auf Tom, der vor mir auf dem Rasen lag und uns beobacht­ete.
„Feind hört mit!“, sagte er. „Wer weiß, womit Helge ihn bestochen hat, damit er Tante Selma nicht verteidigt. Tom, du alter Verräter!“
„Lass den armen Hund zufri­eden“, sagte ich empört und strich dem unschuldigen Tier, das Tante Selma in einem weitaus größeren Maße zu vermissen schien, als Konny, Kora und Hannes zusammen den Ein­druck erweckten, über das in der Sonne glänzende, weiß-braune Fell.
„Wer hat meine Mutter nicht verteidigt?“, rief Konny uns zu. Er saß oben auf dem Treppen­geländer und rutschte in den Hausflur hinunter.
„Das erzähle ich Tante Selma!“, grinste Hannes. „Du weißt ganz genau, dass solche Geländerfahrten im Haus streng verboten sind.“
„Wieso?“, tat Konny erstaunt. „Du verlässt doch ständig das Obergeschoss auf diese Art und Weise. Seit du in unserem Hause nächtigst, habe ich dich noch kein einziges Mal wie ein normaler Mensch

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Kommentare

03. Nov 2017

Da läuft ein Film, der Leser bleibt -
Gern dabei, wenn man so schreibt!
(Auch Krause fühlt sich STARK "unterdrückt" -
Drum war sie von jenen Passagen entzückt ...)

LG Axel

03. Nov 2017

Dank, lieber Axel, dir, für deinen Kommentar.
Dank - ebenfalls - an Berthken - für ihr Entzücken.
Schon bald wird die Geschichte weniger harmlos sein.
Das dürfte deine Krause fast noch mehr beglücken.

LG Annelie

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