Gefährlicher Sommer (Teil 7) - Page 3

Bild von Annelie Kelch
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zeigten mir völlig unbekannte Per­sonen, die sich vor ver­schiedenen Herrenhäusern gruppiert hatten. Auf eini­gen Fotos erkannte ich Hannes' Vater. Er stand stets in der hinter­sten Reihe und überragte alle an­deren um Haupteslänge.

Die beiden Sachbücher und jene Fotografien sind die einzigen persönlichen Gegenstände, die Axel Kröger dem Jagdzimmer anver­traut hat, liebe Christine. Er verfügt ja auch kaum über Freizeit. Auf dem Hof gibt es immer etwas zu tun. Deine Tante hat mir gestern noch verra­ten, dass Herr Kröger seine freien Sonn­tage meistens in Lübeck verbringt. Dort habe er eine Stadtwohnung gemietet. Hannes besuche ein Lübecker Gymnasium. Die Woche über sorge eine Haus­hälterin für ihn. Seit sein Vater Gutsverwalter auf Lachau ist, verbringt Hannes die Ferien meistens bei seiner Tante im Dorf.
Wenn sein Vater am Wochenen­de auf dem Gut zu tun hat, müssen Kora und Konny ihren kessen Vetter auch samstags und sonntags ertragen. Herrn Krögers Frau kenne Tante Agnes nicht. Weder Hannes noch sein Vater hätten je von ihr gesprochen. Merkwürdig, nicht wahr?

Die Atmosphäre im Jagdzimmer war alles andere als gemütlich. Omas gute Stube hätte mir weitaus mehr behagt – trotz Plüsch und Häkeldeckchen. Eine Vielzahl von Geweihen ragte aus den mit dunkelgrünem Bro­kat bespannten Wänden in das Zimmer hinein, Trophäen über Trophäen. Dazwischen hingen wertvolle Gobelins mit beklem­menden Jagdszenen unter düsteren Himmeln. Eines dieser Motive zeigte einen grün gekleideten Jägersmann in voller Montur, sprich fein­stem Loden und eindeutiger Siegerpose. Auf seinem Kopf thronte ein Hut mit einem Büschel aus borstigen Haaren, die vermutlich vom Nacken eines verendeten Keilers stammten. Auf dem Genick des blutenden Wildschweins, das vor seinen schwarzen Schaftstiefeln im Sterben lag, stak der schimmernde Lauf einer wuchtigen Jagdflinte, als wollte der Waidmann das sterbende Tier am Aufste­hen hindern, was völlig sinnlos war, weil sich das arme Geschöpf schon halb im Himmel befand! Die rechte Hand des Jägers umklammerte krampfhaft den Gewehrlauf. Wie ein Kleinkind, dass seinen Lieblingsteddy vor Übergriffen schützen will, dachte ich. Der Designer hatte die Gesichtszüge des Schützen mit einem trium­phalen Lächeln ausgestattet. Ob Caesar ähnlich dumm gegrinst hat, als er den Rubi­kon überschritt? Jedenfalls fasste ich den Entschluss, mir bei nächster Gele­genheit einschlägige Lektüre zum Thema Jagd auszuleihen. Ich wurde den Verdacht nicht los, dass es mir am nötigen Sachverstand fehlte – schließlich sollte man alle Dinge gründlich hinterfragen, bevor man sich ein Urteil bildet – , andererseits war ich mir durchaus nicht sicher, ob ich für diese Sportart jemals würde Verständnis aufbringen können.

Besonders auffällig waren die Lederknöpfe, die den Lodenrock des Jägers dekorierten. Jedes der fünf Exemplare zeigte das Haupt eines Keilers. Ein Jagd­messer, das dem „Wildhüter" am Gürtel baumelte, war aus dem gleichen ed­len Metall wie das altmodische Jagdhorn, das über seiner rechten Schulter hing, nämlich aus Gold – na ja, zumindest waren beide Teile vergoldet.

Argwöhnisch musterte ich die Trophäen des verstorbenen Gutsherrn. Spie­ßer, Gabler, Sechs-, Acht- und Zehnender, ja, sogar auf Tonköpfe ge­schraubte Rehgehörne schmückten die hohen Wände. Auf den Knochentoupets lagerte Fliegenschmutz, und in den zahlreichen Stangen und Sprossen hatten sich Spinnen und ähnliches Getier eingenistet. Putzte die auf Reinlichkeit be­dachte Leni hier überhaupt nicht mehr? Fürchtete sie sich etwa vor den Skeletten?
Das glaubst du doch wohl selbst nicht, Katja, wisperte es spöttisch im Hörnerwald. Oder hatte sich der neue Gutsinspektor jeglichen Zutritt in seine Gemächer ver­beten? In diesem Fall konnte ich mich auf zusätzlichen Ärger ge­fasst machen.
Andererseits roch es penetrant nach Waffenöl. Dieser Geruch war hier noch um einiges stärker als der leichte Tabakduft, der durch den Raum schwebte und den ich gleich nach unserer Ankunft im ganzen Haus wahrgenommen hatte, vermutlich, weil er so ungewohnt war. Der neue Inspektor schien dem Laster zu huldigen (Knut war konsequenter Nicht­raucher gewesen). Ich fragte mich, wer die alten Gewehre, die dort in den Waffenschränken wie aufgebahrt hingen, eigentlich reinigte? Die Gnädigste hatte gewiss weder die Zeit noch die Nerven dafür. – Und unsere Leni? ... Ob sie sich das überhaupt zutraut?

Ich ließ meine Blicke über die schönen Stuckverzierungen unterhalb der hohen Zimmerdecke schweifen: Haargenau mittig über dem Bett des neuen Guts­inspektors, genauer gesagt, über dem Bilderrahmen mit dem Foto, das vermutlich seine Frau und Hannes porträtierte, thronte das protzige Geweih eines Kapital­hirsches, ein Zwanzigen­der, wie Knut mir letztes Jahr verraten hatte.
In den antiken Glasvi­trinen, sieben an der Zahl, sind die Jagdgewehre unter­gebracht, liebe Christine. Ich zählte nicht weniger als achtzig Waffen: Leichte, handliche Schrotflinten mit spiegelblan­ken Läufen, als wären sie erst kürzlich poliert wor­den; Gewehre mit Zielfern­rohren und Griffen aus Elfenbein und auf­wändigen Gravuren; schwere Büchsen mit gezogenen Läufen und seidenglatten Schäften. – Welche Art von Waffe letztendlich Ver­wendung findet, hinge ganz allein vom Jagdziel ab, hatte Knut, der mit einem Jagdgewehr erschossen wurde, mir erklärt. Sehr makaber, findest du nicht auch, Christine?
Ein einziger Platz gähnte mir leer und geheimnisvoll aus dem Schrank entgegen. Er fiel unge­mein ins Auge. Wer hatte die Waffe von dort entfernt? War sie gestohlen wor­den? Stammte die tödliche Kugel aus diesem Gewehr? Haben die Kripobeam­ten die Jagdwaffen überhaupt untersucht? War ihnen die leere Stelle über­haupt aufge­fallen? – Fragen über Fragen!
Plötzlich schreckte ich hoch. Auf dem Flur fiel eine Tür ins Schloss. Leni! Sie polterte schwerfällig die Treppe ins Erdgeschoss hinunter, stapfte durch die Küche und schloss die Tür zum Vorraum im rückwärtigen Teil des Herrenhauses auf. Von einer Se­kunde auf die ande­re würde er voller Katzen sein. Sie hatten seit Stun­den draußen geses­sen und auf Leni gewartet. Die allmorgent­liche Speisung der Sphinxartigen konnte be­ginnen. Es waren beileibe nicht nur die fetten Stallkatzen vom Gut, die sich auf dem Hinterhof zum Frühstück versammelt hatten, o nein, hauptsäch­lich abgemagerte, halb verhungerte Streuner aus Lachau und den Nachbardör­fern pilgerten jeden Morgen zum Herren­haus. Lenis grenzenlose Güte hatte sich unter den Mietzekatzen herumgesprochen – offenbar bis ins Lübecksche. Braune, schwarze und weiße, gesprenkelte, gestreif­te und gefleckte Kleintiger drängten sich um die Blechschüsseln, die bis zum Rand mit Milch gefüllt waren. Anschließend schleckten sie den Boden sauber. Leni brauchte gar nicht mehr zu feudeln.
Ich musste mich beeilen, wenn ich von der Speisung noch was mitbekommen wollte.
So ganz nebenbei fragte ich mich, wie Axel

Die Armleuchteralgen (Charophyceae oder Charales), die ganz am Schluss dieses Kapitels auftreten, sind eine weltweit verbreitete, phylogenetisch urtümliche Organismengruppe von Wasser„pflanzen“. Armleuchteralgen werden zwar manchmal zu den Grünalgen gezählt, haben mit diesen aber nur die Assimilationspigmente und Reservestoffe gemein. Ihr Habitus ähnelt eher höheren Blütenpflanzen (vor allem dem Hornblatt, Ceratophyllum). Mit ihrem Aufbau und ihren Fortpflanzungsorganen stehen Armleuchteralgen im System der heutigen Lebewesen als eine isolierte Gruppe. Phylogenetisch betrachtet gelten sie als Schwestertaxon der Pflanzen. Der wissenschaftliche Name wurde vom lateinischen chara (= eine bestimmte Knollenfrucht von bitterem Geschmack) abgeleitet. Diesen hat Carl von Linné im Jahr 1763 geprägt. Ihren deutschen Namen verdanken sie der Anordnung der Quirläste und der darauf sitzenden Gametangien; diese erinnert an einen vielarmigen Kerzenleuchter (aus Wikipedia).

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Kommentare

07. Aug 2017

Stets bleibt der Leser voll dabei -
Quasi vom ersten Hahnenschrei!
(Das Schlamm-Bad gefiel Krause gut -
Bei Wasser kriegt sie ständig Wut ...)

LG Axel

07. Aug 2017

Dank, Axel, dir, für deinen Kommentar,
die krause Bertha auch im Schlammbad war?
Das ging ihr wohl gerade nur bis an die Knie.
Versinken im Morast hingegen wird die Krause nie.

LG Annelie

07. Aug 2017

Dieser Hahnengesang!!! ... und auch sonst, vor allem die Collage, du hast Talent und eine blühende Phantasie, Annelie.

Liebe Grüße - Marie

07. Aug 2017

Liebe Marie, ich gebe zu, dass ich mir einiges "aus den Fingern gesogen" habe. Aber Leni darfst du dir genauso vorstellen, wie ich sie geschildert habe - im übrigen auch dieses Jagdzimmer, und die Hosenbeine und Ärmel eines gutverwalterlichen Schlafanzugs haben Christine und ich tatsächlich einmal zugenäht. Allerdings fiel die Rache nicht ganz so fies aus. Danke dir ganz herzlich fürs Lesen.

Liebe Grüße und einen wunderschönen Tag,
dort, wo du gerade weilst,

LG Annelie

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