ZIMMERMANN einer Generation: ›Bob Dylan – (k)ein Phänomen‹

21. Oktober 2016

Wer wollte ernsthaft Literatur auf Romane, Erzählungen, Dramen, Komödien, Gedichte, historische Abhandlungen oder auch Essays (zu welchem Thema auch immer), reduzieren? Hat nicht längst jeder kunstinteressierte Mensch begriffen, was sich über den Begriff selbst leicht erfahren lässt? Die Gesamtheit allen schriftlich Niedergelegten / Aufgezeichneten.

von Alexander Zeram
Bild von Bob Dylan auf Festival Internacional de Benicassim
Bob Dylan performs at Festival Internacional de Benicassim
Christian Bertrand / Shutterstock.com

»And if we never meet again, baby, remember me
How my lone guitar played sweet for you that old-time melody
And the harmonica around my neck, I blew it for you, free
No one else could play that tune, you know it was up to me.«

UP TO ME - Copyright © 1974 by Ram's Horn Music;
renewed 2002 by Ram’s Horn Music

Schrecklich …!

Von den Elaboraten der Boulevard-Presse über Dreigroschen-Romane (3-Cent-Romane?), weiter zu populärwissenschaftlichen Endzeit-Reißern und Gesundwerde-Anleitungen ist also ebenso alles ›LITERATUR‹ wie die Werke des unbestimmbaren Mysterioso mit Namen Homer, des edlen Herrn Geheimrates von Goethe und der letzten Nobelpreisträgerin für eben diese Kunst: Swetlana Alexijewitsch?

Schrecklich!

Und jetzt auch noch ein POP-Barde … Aufrührer … Protestler … der in den 60ies irgendwelche netten Liedchen in den Charts hatte, der vielen (damaligen) Protestlern aus der Seele sprach und … dann doch wieder nicht?
NOBEL … das muss man sich erstmal ehrfurchtsvoll vor-buchstabieren: eN - Oh - Be - Eh - eL (Die für die Menschlichkeit so segensvolle Erfindung des Dynamites sei hier augenblicklich ganz außen vor gelassen, denn deshalb gibt es diesen hochdotierten/weltweit beachteten und ebenso auch weltweit längst angesehen Preis ja schließlich)! Ein Preis, der jenen überreicht/verliehen/zugesprochen wird, die [Quote:] »im verflossenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen geleistet haben«: Wissenschaftler … Politiker … ja und auch LITERATEN! Also jene, die im Bereich des ›schriftlich Aufgezeichneten/Niedergelegten‹ ganz Besonderes geleitet haben, oder, wie es im Kommissionstext heißt: »an denjenigen, der in der Literatur das Herausragendste in idealistischer Richtung produziert hat«.

Sportler (ohnehin meist gedopt) werden hier also ebenso wenig berücksichtigt, wie Schauspieler/Regisseure/Ausstatter/Kameraleute … deren Leistungen über Tausende andere Preise gewürdigt werden, die im cinematografischen Bereich vor allem im US-amerikanischen OSCAR kulminieren, während Musiker/Produzenten, Songschreiber mit Grammys und Echos geadelt werden und … STOPP!
Der diesjährige (2016er) LITERATUR-NOBELPREIS wurde an einen Singer-Songwriter verliehen – einen, der aus dem Rahmen fällt und zugleich … den richtigen Rahmen gezimmert hat! Für seine eigene Wertschätzung … über nunmehr bald 60 Jahre.

BOB DYLAN … gebürtiger Zimmermann einer ganzen Generation!

Robert Allen Zimmerman, Jahrgang 1941 … der als knapp 20-Jähriger auf sich aufmerksam machte und danach eine ganze Generation beeinflusste. Der der Jugend seiner Zeit erklärte, warum der Wind alles verbläst, warum sich die Zeiten ändern, warum er nicht wirklich stolz darauf sein konnte, Gott an seiner Seite zu haben, warum er nicht einverstanden damit war, dass ein Weißer eine Schwarze töten durfte, ohne dafür rechtlich belangt zu werden, und wie sich ein Steinchen auf dem Spiel-Brett der Macher und Lenker fühlt. Er war das Sprachrohr für jene, die genug vom Krieg, von Falschheit und Heuchelei hatten … manchmal vielleicht sogar, ohne die wahren Gründe dafür akzeptieren zu wollen.

Er hat all diese kritischen, zum Teil rebellisch-aufstachelnden Gedankengänge in prägnante, sehr greifbare und –vor allem– erinnerungswürdige Worte gepackt … in Texte, die dort ansetzten, wo der Tages-Journalismus endet, kurz vor der Schwelle zur unverständlichen Hochgeistigkeit … dort, wo Literatur auch noch für den Normalbürger erfassbar, erlebbar und nachvollziehbar bleibt. Inklusive tief-empfundener Liebeslyrik, die bei ihm immer spontan klingt und die grundsätzlich in seinem Werk vorherrschende Metaphorik weiter ausbaut, inklusive auch humoristisch-dadaistischer Szenarien, die ihn als Erbe surrealistischer Meister auszeichnen und dabei immer auch seine ganz persönliche Handschrift tragen. Selbstverständlich erschwert eine Sprachbarriere die absolute Wertschätzung dieser Poems, Balladen, Einfälle, Sketche, Kurzabrisse von Erlebnissen, Geschichten … Songs. Wer derart virtuos und gar neuschöpferisch mit seiner Muttersprache umgeht, schließt andere, die dieser Sprache nicht mächtig sind, in vielen Fällen ein klein wenig aus. Der gesellschaftskritische Roman ist da über seine Handlung eher selbsterklärend als ein dreißigzeiliges Memorandum zu einer Tagesnachricht … wenn diese dreißig Zeilen in Querverweisen und aufgesplitterten Eindrücken, die dem Leser/Zuhörer wie Fetzen um die Ohren/Augen geworfen werden, einen gedanklichen Bogen spannen, der andere Literaten ohne Zweifel zu einem umfangreichen Oeuvre inspiriert hätte.

LEBEN!

ER-LEBEN!

NACH-DENKEN!

Für viele erschöpft sich hochgeistige, so-genannt ›wertvolle‹ Literatur in Büchern, die man mehr oder weniger unverstanden, oft sogar ungelesen im Regal, auf Festplatte der auch nur im Hinterkopf hat. Das, was früher einem Bildungsbürger als ›Weltliteratur‹ hoch und heilig gewesen ist, erfährt zunehmend mehr Beachtung in medienwirksamer Umsetzung … durch Verfilmungen vor allem. Selbst ein Tolstoj dürfte all jenen, die den einen oder anderen Roman von ihm kennen, zu einem gewichtigen Prozentsatz eher als Lieferant für einen tollen, epischen Filmstoff bekannt sein denn als wahrhafter Literat. Dass R. A. Zimmerman, alias Bob Dylan, nicht wirklich in der Tradition eines Shakespeare, Racine oder Schiller und ebenfalls nicht in der eines Dickens, Hemingway oder auch Böll arbeitet, dürfte hierbei außer Frage stehen. Rimbaud, Baudelaire, Robbe-Grillet, Poe, Brecht, Ringelnatz … solche Namen fallen mir da eher als Basis ein. Das, was hier gewürdigt werden muss, ist sprachliche Finesse, virtuose Gedankenarbeit und einprägsames Aufzeichnen über Ausdrucksmittel, die in unserer Geschwindigkeits-hörigen Zeit des immer-mehr-immer-größer-immer-weiter-immer-besser genau dort ansetzen, wo der zu erreichende Kunstinteressierte am besten zu fangen ist: im audio-visuellen Bereich … auch im Vorbeigehen!

Mit mobilen Geräten, ebenso wie daheim in den eigenen vier Wänden, Bob Dylans Reflexionen fügen sich problemlos in diese abstruse Medienlandschaft ein … vielleicht auch deshalb, weil sie mit daran gezimmert haben, was unsere Gegenwart ausmacht. Von Kaufhaus-Nebenher-Gedudel bis hin zum aufmerksam-meditativen Zuhören … ein Song von Bob Dylan ist nicht an eine bestimmte Vorgabe gekoppelt. Was dem einen ›Blowinʼ in the wind‹ bedeutet, kann dem nächsten ›I want you‹ sein, und beide finden sich vereint in ›Knockinʼ on heavenʼs door‹. Dass sich die Fangemeinde über die Jahrzehnte mit einigen kontroversen Facetten ihres Helden auseinandersetzen musste, passt in dieses multifunktonale Bild. ›When He returns‹ oder ›You gotta serve somebody‹ stehen Frank Sinatra-Coverversionen, Country-Schnulzen und Lebkuchenduft-geschwängerte Christmas-Songs gegenüber. Doch diese Eskapaden schmälern keinesfalls seine literarischen Leistungen. Der Literatur-Nobelpreis wird weder für Stimme, instrumentale Virtuosität noch Chart-Platzierungen ganz allgemein vergeben. Wer Dylans berühmt-berüchtigte, nasale Quäkstimme nicht mag, wer seine forcierten Schöngesänge ebenso nicht schätzt, kann sich ja getrost darauf konzentrieren, worum es hier tatsächlich geht: die Texte! Fast ein jeder davon … ein gezimmertes Meisterwerk! Dass eine Unzahl von Menschen auch die Musik dieses Multitalentes in ihr Herz geschlossen haben, zeigen nicht nur die Tonträger-Verkaufszahlen, sondern auch die Zuschauermengen, die nach wie vor zu den Konzerten seiner ›Never-Ending-Tour‹ strömen! Sie erwarten dort keine Dichterlesung … sie wollen Musik hören. Von Bob Dylan … und das ist –in diesem speziellen Fall– eben auch: gesungene Literatur!

Dies soll und kann nicht als Plädoyer für populäre Kunstformen verstanden werden. Viele von mir persönlich hoch-geschätzte Namen würden sich hier als Liste lesen, Genre-übergreifend von Chanson über Hard-Rock bis hin zur sogenannten Welt-Musik … aber keiner von ihnen würde meine Zustimmung im Rahmen des Nobelpreises erhalten. Meine tiefe Befriedigung darüber, dass die Schwedische Akademie mit der diesjährigen Wahl einen Künstler gewürdigt hat, der nicht nur qualitativ Hervorragendes geleistet, bzw. »Herausragendstes in idealistischer Richtung produziert« hat, sondern dazu auch noch bekannt ist (sozusagen in aller Munde und Ohren!), der auch im nächsten Jahr noch seinen Bekanntheitsgrad wenn nicht ausbauen, so doch weiterhin auf höchstem Niveau bewahren wird, so wie er schon vor Jahrzenten ein Medienstar war, kann ich nur noch einmal –abschließend doppelt– unterstreichen.

 Bob Dylan kam als Sprachrohr und Zimmermann der Weltanschauung einer ganz Generation daher, hielt dieses Image für viele Jahre, und lebt auch heute noch ein wenig davon. Doch inzwischen ist er mehr als nur die musikalisch-literarische Identifikation für eine Generation rund um die 68er. Der große alte Mann, der –wie es heißt– nie wirklich jung, eher immer schon alt und weise war, ist inzwischen eine lebende Legende … ein Phänomen, dessen Vielseitigkeit (man erinnere sich an seine Episoden als Schauspieler, seine zahllosen Grafiken und Gemälde …) nicht mehr und nicht weniger dazu gut ist, als Gesamtkunstwerk inmitten unserer Zeit zu stehen: gewachsen und unverrückbar.

Seine Bedeutung als Meilenstein in der Musik-Geschichte soll an dieser Stelle nicht weiter beschrieben werden. Dass er über seine kontroversen Aktionen sowohl den schlichten Folksong mit dem elektrifizierten Rock-Pop und diesen wiederum mit Country, Blues und Gospel verbunden hat, ist bekannt und wurde hinreichend gewürdigt. Seine literarischen Arbeiten sind ebenfalls bereits mehrfach ausgezeichnet worden (Pulitzer-Preis, Doktorwürden!) Doch seit dem 13. Oktober 2016 (Verleihung am 10. Dezember) zählt dieses Multitalent nun auch zur illustren Gesellschaft jener, die sich um die Sprache verdient gemacht haben … um das, was den Menschen tatsächlich zum Menschen macht: Kommunikation über das WORT!

Im Anfang war das Wort! Und das Wort war im Menschen. Gut, immer wieder mal daran erinnert zu werden, dass unsere Sprache Möglichkeiten geschaffen hat, die zu solch beeindruckenden Texten wie die eines Bob Dylan geführt haben … zu [Quote:] »poetischen Neuschöpfungen in der großen amerikanischen Song-Tradition«.

Danke Bob!