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Es herrschte überall eine andächtige Atmosphäre.
Zwischen den beiden Flügeln liegt die Aircraft Hall (Flugzeughalle), in der Flugzeuge des Zweiten Weltkriegs ausgestellt sind. In dieser mächtigen Halle wurde, inmitten von den ausgestellten Jagd- und Bomberflugzeugen, ein Film auf Großleinwand gezeigt, in dem man einen Bombenangriff auf Berlin mitverfolgen konnte. Bilder des Einsatzes sowie die Stimmen der Kommandozentrale beim Start der Flugzeuge in England, der Piloten während des Fluges und der Flugabwehr in Berlin waren alles Originalaufnahmen. Es waren 500 Flugzeuge, die in Richtung Berlin flogen. 450 kamen wieder zurück nach England. Synchron mit dem Film wurden die jeweiligen Ausstellungsflugzeuge so angestrahlt, dass man das gruselige Gefühl hatte, man wäre ein Zeitzeuge der Luftschlacht. Die ganze Halle zitterte im Lärm der Flugzeugmotoren. Diese realistische Vorstellung hat uns sehr beeindruckt.
Wir verließen das National War Memorial mit dem Gefühl, dass wir jetzt die große Anteilnahme der Australier am ANZAC Day (ihrem Nationalfeiertag am 25. April) besser verstehen können.
Dieser Tag war für uns der ereignisreichste Tag in Canberra. Dies hatten wir einzig der freundlichen Initiative unseres Nachbarn Jerzy zu verdanken. Wir beschlossen, ihn und seine Frau Olivia zum Abendessen einzuladen, wenn diese am Freitag von ihrer Arbeit in Melbourne zurück ist.
Der nächste Tag (Mittwoch 10. Februar) war ein ziemlich warmer Frei-Tag, aber Gullan hatte Waschtag. Am Sonntag ging es ja weiter zur nächsten Station: Auckland, der größten Stadt in Neuseeland. Ich las in der Branson-Biographie als es an der Haustür klingelte. Es war die Tochter Dill von Hausherrin Kate Norgate. Sie kam um ein spezielles Bügelbrett ihrer Mutter auszuleihen. Wir hatten gemerkt, dass sich das Wasser im Pool, trotz Jerzys Maßnahmen, weiter grünlich verfärbt hatte. Wir sagten es ihr aber sie war nicht sonderlich überrascht: "Das passiert jedes Mal wenn meine Eltern verreisen." Kein gutes Zeugnis für unseren Freund Jerzy. Sie ging über die Straße, kam mit Jerzy zurück und schaute sich mit ihm die Suppe im Pool an. Jerzy meinte "das werden wir schon hinkriegen".
Am Nachmittag kam Jerzy wieder, Hund Jake wie immer mit dabei. Er goß irgendeine Chemikalie in den Pool und ließ Wasser einlaufen. Er zeigte mir, bei welchem Wasserstand ich den Hahn zudrehen sollte. Dann kam er mit einem Vorschlag, dass wir ihn bei einem kleinen Trip an eine schöne Stelle am See in der Stadt zu begleiten. Dort steht seit über einem Jahr eine Imbissstand, der sehr beliebt ist, weil der Betreiber Produkte mit außerordentlicher Qualität anbietet. Nun hat die zuständige Stadtbehörde angekündigt, dass dem Betreiber die Genehmigung nicht verlängert werden soll. Die Stammgäste, darunter Jerzy, protestieren dagegen, indem sie vermehrt den Imbissstand aufsuchen und neue Gäste mitbringen. Wir waren sofort einverstanden. So eine Demonstration fehlte noch in unserem Erlebniskatalog.
Die Abfahrt erfolgte unmittelbar, die leichte Sommerkleidung, die man jeden Tag trägt, taugt für alle Gelegenheiten. Jerzy und ich sahen aus wie immer: wie die vom RTL-Dschungelcamp.
Die Imbissbude entpuppte sich als ein umgebauter Wohnwagen, der wirklich gut platziert in einem Park unmittelbar am See stand. Jerzy stellte sich in die Schlange um Hamburger mit Pommes frites zu bestellen. Im Park saßen Leute und aßen ihren Imbiss und im Wasser schwammen schwarze Schwäne, wie wir sie vorher in dieser Anzahl noch nicht gesehen haben.
Fakten: Der Trauerschwan (Cygnus atratus) oder Schwarzschwan ist eine monotypische Vogelart aus der Gattung der Schwäne (Cygnus) und der Familie der Entenvögel (Anatidae). Er ist der einzige fast völlig schwarze Schwan und hat außerdem den längsten Hals aller Schwäne.
Das natürliche Verbreitungsgebiet des Trauerschwans ist Australien und Tasmanien. In Europa kommen ausschließlich ausgesetzte und verwilderte Trauerschwäne vor. (Quelle: Wikipedia)
Wir dachten, wir würden unsere Hamburger gleich hier verzehren, aber Jerzy wollte in den Skulpturengarten der National Gallery of Australia, wo wir kurz nach unserer Ankunft in Canberra schon waren. Ich dachte, dass dieser Platz hier besser zum einfachen Hamburger-mit-Pommes-Picknick passte als die kulturelle Stätte im Regierungsviertel. Aber so denkt ein Australier nicht. So machten wir die kurz Tour durch die Innenstadt zum Skulpturengarten und setzten uns auf eine strategische Bank. Jerzy rollte eine Decke aus und holte zu unserem Erstaunen Rotwein und Bier aus einer Kühltasche. Die Pommes frites waren wirklich aller erste Klasse.
Ich musste an Nievenheim (nicht weit von Düsseldorf) denken, wo ich mit Freund Günter "Peppo" Kohnen in den 1960er Jahren öfter hinfuhr, um die damals aufkommenden "Pommfritz" zusammen mit Wurst und scharfer Soße zu essen. Damals lernte ich auch, wie man testen kann, ob die Pommes frites frisch hergestellt sind: Wenn man versucht sie zu biegen, müssen sie brechen. Diese hier brachen, obwohl wir sie nicht direkt nach dem Kauf verzehrten.
Es war supergemütlich obwohl unser Outfit und die Pommes auf der Decke so gar nicht hierher passten. Der Zufall wollte es, dass im Gartenrestaurant gleich neben uns eine Hochzeitsparty beginnen sollte. Es gingen festlich gekleideten Damen und Herren an unserer Bank vorbei und lächelten uns an als wir ihnen zuprosteten.
Es fing an zu dämmern als Jerzy sagte, dass wir gleich ein interessantes Schauspiel erleben werden, das Teil eines Kunstwerkes in diesem Garten ist. Wir hörten ein leichtes Zischen und sahen dann Nebelschwaden aus dem hohen Gras zwischen den Bäumen aufsteigen. Es war ein wirklich unwirkliches Erlebnis, wenn man dies so unerwartet erlebt. Wir gingen durch die Schwaden, die sich angenehm frisch anfühlten, und sahen dann noch andere Installationen mit Lichteffekten. Jerzy hatte sich das alles gut ausgedacht, seine Überraschung war gelungen. Bei der Heimfahrt hatte er aber noch eine Überraschung parat. Er machte einen Halt auf dem hoch gelegenen Aussichtsplatz "Red Hill". Hier herrschte vollkommenes Dunkel und man sah die beleuchtete Hauptstadt von oben. Es sah aus wie ein riesiges Spotlight, da ja außerhalb der relativ kleinen Stadt kein Mensch lebt. Wir waren ganz allein, da dieser Aussichtsplatz eigentlich nur tagsüber besucht wird. Auch dieses Erlebnis hätten wir ohne die Initiative unseres freundlichen Nachbarn nicht gehabt.
Donnerstag, 11. Februar, noch drei Tage bis zur Abreise nach Neuseeland. Ich machte wieder einen Spaziergang entlang den riesigen Regenablaufrinnen aus Beton zum Shoppingzentrum um Frühstückskuchen zu kaufen und Dollar in neuseeländische umzutauschen. Daraus wurde aber nichts. Die Post hatte kein neuseeländisches Geld auf Lager, es musste bestellt werden. Um das machen zu können wollte die etwas unfreundliche Dame, die mich bediente, meinen Pass sehen, den ich natürlich nicht dabei hatte. Nach einem kurzen Gespräch mit dem Boss des Ladens bekam die Dame die Sondererlaubnis, das Geld für mich zu bestellen. Morgen um diese Zeit können Sie es abholen, aber nicht den Pass vergessen!
Der nächste Tag war der vorletzte vor unserer Abreise. Ich machte meinen Morgenspaziergang und holte das bestellte neuseeländische Geld. Frühstück auf der Terrasse. Jerzy kam und sah nach dem Wasser im Pool. Immer noch moosgrün aber "das wird schon". Für uns war das kein Nachteil, im Gegenteil. Es war eine Garantie, dass keine Nachbarn kamen, die die Erlaubnis hatten, unangemeldet im Pool zu schwimmen.
Für den Abend waren Jerzy und seine Frau Olivia zum Abschiedsabendessen eingeladen. Am Nachmittag gingen wir zu unserem Einkaufszentrum um im Lebensmittelladen "Cooles" Wein und Salat einzukaufen. Bei unserem Italiener werden wir "Penne Delissio" holen, ein Pastagericht von dem wir wissen, dass es schmeckt.
Kurz vor dem Laden trafen wir Jerzy, der Mann war überall. Er war auf dem Weg zum Wettladen. Er wollte noch schnell ein paar Sportwetten machen und seine Frau, die in ein paar Stunden aus Melbourne wieder nach Hause kommt, mit einem Gewinn überraschen. Er spielt gerne aber "nur mit kleinen Einsätzen". Wir waren neugierig und folgten mit. In dem Lokal waren eine Menge Bildschirme mit Originalübertragungen verschiedener Wett-Sportarten. Auf anderen Schirmen konnte man alle möglichen Informationen bekommen, die nützlich sein können, Geld zu gewinnen oder zu verlieren. Bis ganz kurz vor dem Start konnte man seine Wette abgeben. In bequemen Kinosesseln nahm man Platz, Tee bekam man gratis. Vielleicht zehn Männer waren hier. Einige kommen nur um Tee zu trinken, sagte Jerzy.
Wir wollten auch eine Wette abgeben und kamen mit Jerzys Hilfe zu dem Entschluss, 10 Dollar auf Pferd Nr. 12 im Melbourne Race zu setzen. In 20 Minuten ist der Start. Wir gingen Einkaufen und waren pünktlich zum Start zurück. Unser Pferd ging als zweites durchs Ziel und wir bekamen den Einsatz zurück. Wir gaben es Jerzy, der so dann doch noch was gewann.
Um 18 Uhr sollten Jerzy und Olivia kommen. Eine halbe Stunde vorher machte ich den zehnminütigen Spaziergang zum italienischen Restaurant Delissio. Während ich auf das Pastagericht wartete, genoss ich ein kaltes Bier an einem Tisch im Freien. Durch die warme Luft bildet sich im Nu eine freundliche Kondenswasserschicht auf dem Glas. Genau so muss es sein. Allein deswegen lohnt sich eine Reise nach Australien.
Kurz nach sechs Uhr war ich zurück aber unsere Gäste waren noch nicht da. Bald danach klingelt Jerzy an der Tür, entschuldigt sich und erzählte, dass er und Olivia im Kino waren und der Film länger dauerte als sie dachten. Sie kommen in einigen Minuten. Kein Problem, wir sitzen bequem hier auf der Terrasse.
Als sie kamen hatten sie, für uns überraschend, verschiedene Weinsorten, Champagner, passende Gläser und Pralinen mit.
Wir lernten nun auch seine Frau kennen. Sie ist etwas jünger als er, arbeitet als Angestellte für die Regierung. Jerzy tat dies auch aber er hat die Möglichkeit genutzt, frühzeitig in Pension zu gehen. Mit verschiedenen Vergünstigungen lockt der Staat Leute in die abgeschiedene und unattraktive Hauptstadt. Der 10-jährige Hund Jake war wie immer mit dabei. Gullan hat ihn sehr ins Herz geschlossen. Er saß nach dem Essen fast ständig auf ihrem Schoß. Wir sprachen über alles mögliche und wir betonten, dass es sehr interessant für uns war, hier in Canberra zwei Wochen zu wohnen. Nicht zuletzt Dank der freundlichen und hilfsbereiten Art von Jerzy. Dieser winkte ab und meinte, das waren ja alles Selbstverständlichkeiten und er hatte Zeit und Spaß daran, uns herumzufahren. Und natürlich gab es keinen Zweifel daran, dass sie uns übermorgen zum Flughafen bringen werden.
Der nächste Tag, unser letzter hier, war gleichzeitig der einzige richtige Regentag. Der letzte Tag an jedem Ort ist immer ein Putztag, damit alles wieder so aussieht wie bei der Ankunft. Der Arbeitsablauf ist mittlerweile Routine, wir sind eingespielt. Zu meiner Verantwortung gehören Außenbereich sowie Badezimmer und Toiletten. Gullan wäscht, bügelt, putzt und staubsaugt.
Ich fand den Regen sehr passend, da ich gerne den Ablauf des Regenwassers in den Regenwasserablaufrinnen sehen wollte. Ich konnte konstatieren, dass sich nach ein paar Stunden nicht allzu heftigen Regens in der Rinne ein kleiner Bach gebildet hat. Ich kann mir vorstellen, dass bei einem längeren Platzregen, die hier durchaus vorkommen, das Wasser reißend und gefährlich wird, wenn Kinder dort hineinfallen. Deshalb auch die Warnschilder. Man hatte uns erzählt, dass jedes Jahr Unglücke dieser Art passieren, auch Todesfälle waren zu beklagen.
Fortsetzung: AU 2010 04 Aboriginal Tent Embassy in Canberra
© Willi Grigor, 2010 (Rev. 2016)
Gedichte und Prosa:
https://www.literatpro.de/willi-grigor