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ist. (Auch die Besuche im alten und neuen Parlamentsgebäude sind im Bericht AU 2010 04 beschrieben.)
Wenn man sich umdreht, sieht man die Parade-Straße ANZAC Parade, die zum Kriegerdenkmal führt, und hinter dem den Berg Mount Ainslie, von dem aus wir vorgestern die Aussicht über genau diese Szenerie bewunderten. Alles befindet sich auf einer Linie.
Wir saßen auf dem Rasen und warteten auf den Bus zurück nach Hause. Auf der anderen Straßenseite stand ein Mann stark nach vorn gebeugt und wackelte, es ging ihm offenbar nicht gut. Wir überlegten, ob wir zu ihm gehen sollten und fragen ob er Hilfe braucht. Da kam ein Auto ziemlich flott mit einer Dame am Steuer und hielt vor dem Mann an. Wir dachten, dass er seine Frau über Handy um Hilfe gerufen hat. Die Frau stieg aus und setzte sich auf den Beifahrersitz. Der "kranke" Mann setzte sich behändig hinter das Steuer und brauste los. Er wäre wohl beleidigt gewesen, wenn wir ihm mitleidig Hilfe angeboten hätten.
Am Abend sahen wir im Fernsehen Bayern München gegen Werder Bremen. Wir hatten hier Satellitenfernsehen, der aber hauptsächlich auf Sport ausgerichtet war. Immerhin. In Australien darf man keine große Erwartungen hinsichtlich Fernsehprogramm haben.
Jetzt waren wir zwei Tage in unserem neuen Zuhause. Nach diesem Zeitraum haben wir uns üblicherweise eingelebt und kennen die nähere Umgebung. Der "Alltag" beginnt. An den ca. 10 verschiedenen Orten, an denen wir bisher gewohnt haben, haben wir unsere Alltags-Routinen entwickelt, die wir auch hier weiterführten: Wenn wir keinen Ausflug mit Bus oder Bahn geplant haben, mache ich nach dem Aufstehen am Morgen meinen Spaziergang und lerne so fast jede Straße und jeden Park kennen. Dann gehe ich weiter zum Supermarkt und kaufe frisches Brot/Brötchen und Kuchen, der als Frühstücksabschluss unbedingt erforderlich ist. Wenn ich zurückkomme, hat Gullan die Betten gemacht und alles vorbereitet. Jetzt ist es zwischen 10 und 11 Uhr und wir sind hungrig. Das folgende Frühstück mit Nescafé ist dann immer ein Höhepunkt. Danach lassen wir es ruhig angehen. Wir lesen, sitzen/liegen auf der Terrasse im Schatten oder sitzen am Computer. Die Temperaturen in Australien liegen Januar-April meistens so um die 28 Grad aber mitten am Tag brennt die Sonne so stark, dass der Aufenthalt draußen nicht so angenehm ist. Bei Ausflügen lässt sich das nicht vermeiden, aber das gehört dazu und man gewöhnt sich daran. Ich mag die Wärme und fühle mich wohl wenn ich verschwitzt zurück komme. Fast wie nach der Sauna, nur nicht so extrem.
Eines der großen Vorteile mit einem ständig warmen Wetter ist das bequeme Ankleiden vor dem Verlassen der Wohnung: Sandalen an und Schirmmütze sowie Sonnenbrille auf, das ist alles. Kurze Hose und T-shirt hat man ja bereits an. So laufen hier alle ´rum, propere Kleidung tragen nur Angestellte in den großen Städten. Dort ist es dann schon komisch, alle diese dunkelgekleideten Schlipsträger in der Mittagspausenhitze herumlaufen zu sehen.
Ich schreibe das hier in Zuhause in Åmål kurz vor Weihnachten 2010. Seit einem Monat haben wir bis zu 25 Minusgrade, ein sehr früher und kalter Winter. Jedes Mal wenn ich mich vor dem Rausgehen einpacke und den Rutschschutz mit einiger Mühe unter die Schuhe schnalle, denke ich daran wie bequem das Leben in beständiger Wärme ist.
Zurück zu Canberra und unserem normalen Tagesablauf. Nach dieser Siesta machen Gullan und ich unseren gemeinsamen Spaziergang, der ziemlich lang werden kann. Auf dem Rückweg machen wir unsere Einkäufe. Wir müssen nur zusehen, dass wir vor dem schnellen Dunkelwerden wieder zu Hause sind. Manchmal geht man im Hellen in den Supermarkt und ist überrascht, dass es stockdunkel ist wenn man herauskommt. Die Straßen in Australien sind, verglichen mit den Verhältnissen bei uns, fast unbeleuchtet. Bei unserem allerersten Australienbesuch 2006 bekamen wir in so einer Situation in einem Brisbane-Vorort echte Probleme: Wir fanden unser Haus nicht. Aber auch dies fand seine Lösung.
Abends bin ich dann der Koch und wir essen grundsätzlich auf der Terrasse. Dann kommt noch ein bisschen Fernsehen, Computer oder Lesen. Wir gehen früher zu Bett als wir das zu Hause tun. Das ist so ungefähr unser Tagesablauf, wenn keine Tour geplant ist.
Ich will noch einmal betonen, weil mich das immer noch selbst überrascht, dass wir uns in dem jeweils neuen Zuhause innerhalb von einigen Tagen so einleben, dass wir uns nicht als Touristen fühlen sondern so etwas wie Kurzzeit-Einheimische. Wir leben in Wohngebieten wo es keine Touristen gibt. Das ist, zusammen mit den nicht vorhandenen Wohnkosten, der große Vorteil des Wohnungstausches.
Am Nachmittag des dritten Tages fuhren wir mit dem Bus zu dem angrenzenden Stadteil Woden, wo es ein viel größeres Einkaufszentrum gibt als unseres hier. Das wollten wir uns ansehen. Es ist nur ca. zwei Kilometer entfernt aber der Bus braucht fast 15 Minuten, da er möglichst viele Straßen im Zickzack anfährt. Dieses Einkaufszentrum ist wirklich imponierend, es gibt alles und in großer Auswahl. Aber an uns verdienten sie nicht viel: Wir kauften einen leckeren Salat und Toastbrot für das Abendessen. Ich fand schnell heraus, dass es von unserem Haus einen schönen Spazierweg von einer halben Stunde, entlang einer der mächtigen Regenablaufrinnen aus Beton, zu diesem Einkaufszentrum gibt. Fast jeden zweiten Morgen machte ich eine Wanderung dorthin und hatte so mehr Auswahl an Brötchen und Kuchen.
Als wir wieder zu Hause waren und aßen, kam unser Nachbar Jerzy um nach dem Pool zu schauen. Er hatte eine Zigarre im Mund und seinen kleinen, zutraulichen Hund Jake im Schlepptau. Wir unterhielten uns etwas und merkten, dass Jerzy ein netter Mann ist. Er stammt aus Polen. Seine Eltern kamen nach dem Krieg nach Deutschland, wanderten aber bald danach nach Australien aus. Er hat keinen Kontakt mit und auch kein Interesse an Polen oder eventuellen Verwandten dort. Er hat eine Tochter in Kopenhagen. Er fliegt mit seiner Frau einmal im Jahr dort hin "um auf die Kinder aufzupassen", wie er sagte. Wir werden noch einige Male mit diesem jovialen und hilfsbereiten Nachbarn zusammen sein.
Am 3. Februar fuhren wir mit dem Bus zur National Gallery of Australia. Wir hatten erfahren, dass dort die bisher größte Ausstellung außerhalb Frankreichs mit Werken von van Gogh, Gauguin,
© Willi Grigor, 2010 (Rev. 2016)
Gedichte und Prosa:
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