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zu holen zurück in die verdreckte Brühe.
„Sofort aufhören ihr blöden Penner!“
Theresa schlug ohne nachzudenken mit ihrem Skateboard um sich und verletzte die Peiniger so sehr, dass sie sofort schmerzerfüllt das Weite suchten. Triefend nass setzte sich Jona nach seiner Rettung neben ihr auf den Rand des Brunnens.
„Kann es eigentlich sein, das heute irgendwie nicht dein bester Tag ist?“
„Danke, du hast mir wirklich sehr geholfen, aber sei mir nicht böse, ich …“
Kopfschüttelnd sah sie ihm hinterher, wie er kurz darauf in Richtung Hauptbahnhof eilte.
Seltsam war dieser Kunde schon, aber die Verkäuferin dachte in erster Linie an den Profit. Unterwäsche, mehrere T-Shirts, Hosen und Strümpfe, da schien wohl jemand einen Grundstock an Kleidung anlegen zu wollen. Sichtlich nervös versuchte Jona seine Bankkarte aus dem völlig durchweichten Portemonnaie zu fingern.
„Darf ich mal? Man könnte ja glatt meinen, Sie wären auf der Flucht.“
„So ähnlich … bitte.“
Dank ihrer spitzen manikürten Nägel stellte das Herausziehen der Plastikkarte sie vor keiner größeren Herausforderung.
Mit dem letzten Bargeld wurde direkt nebenan in einem Fast-Food-Restaurant kalorienreiches Abendessen erworben. Jona deckte sich anschließend in dem kleinen Supermarkt mit wenigen Lebensmitteln ein, bevor er dann am Fahrkartenautomaten ein Ticket kaufte. Das Reiseziel befand sich ziemlich genau am gegenüberliegenden Ende des Landes und der Weg dorthin würde mit dem Übernachtzug acht Stunden beanspruchen.
Gegen 22:00 Uhr ging es dann endlich los. Nicht eine Sekunde der langen Wartezeit hatte er es gewagt das Bahnhofsgebäude mit den zahlreichen Geschäften zu verlassen. Bei jedem in Erscheinung tretenden Menschen schwang die Hoffnung mit, nicht als der Mann vom Brunnen wiedererkannt zu werden.
Wie majestätisch diese Berge in Erscheinung traten. Es war kurz nach sechs Uhr morgens als der Schnellzug das Endziel erreichte. Planlos verließ er sofort den kleinen Bahnhof und irrte durch die verträumte Kleinstadt. Verglichen mit seiner Heimat war dieser Ort bestenfalls ein größeres Dorf. Die nächstbeste Bäckerei lud zu „zünftigem Frühstück“ ein.
„Die zwei Brötchen hätten Sie aber auch wirklich bar bezahlen dürfen. Sie können von Glück reden, dass wir seit diesem Jahr unseren Kunden auch Kartenzahlung ermöglichen.“, belehrte ihn die Verkäuferin.
Am Ende der nächsten Etappe stand der wohl weit und breit einzige Geldautomat. Trotz seiner gesundheitlich bedingten Frühverrentung kam Jona mit den bescheidenen monatlichen Überweisungen der entsprechenden Behörde gut zurecht. Die Miete war deutlich unter dem Durchschnitt und für den Alltag benötigte er nur wenige Dinge. Allerdings dezimierten die Ausgaben seit dem vergangenen Abend seine eiserne Geldreserve, ein überschaubares Erbe der verstorbenen Mutter. Warum nur war er Hals über Kopf abgehauen? Die ganze Geschichte entsprang doch lediglich seinem lädierten Gehirn, das die fehlenden Wirkstoffe der Medikamente wohl allem Anschein nach bisher nicht vermisste.
„Haben die hier etwa eine andere Währung eingeführt?“
Statt der erwarteten wenigen tausend Euro zeigte der Bankautomat eine nahezu Verhundertfachung seines Vermögens an.
„Ganz ruhig Jona, du halluzinierst nur, genau so wie du das ohne deine Pillen bisher immer getan hast …“
In der nächsten Seitenstraße bewarb das Familienhotel „Bergeslust“ freie Gästezimmer. Für mehrere Tage im Voraus wurde bezahlt und eine entsprechende Räumlichkeit im obersten der fünf Stockwerke bezogen. Glücklicherweise gab es einen Aufzug, denn Jona hatte keine Lust Treppen zu steigen. Der Ausblick dort oben war atemberaubend und suggerierte ihm die richtige Wahl getroffen zu haben.
In diesem Städtchen konnten die vergangenen Ereignisse schnell verdrängt werden. Guter Dinge erkundete er den Ort, genoss das sommerliche Wetter und füllte seinen Magen mit bester Speise, wie schon seit langem nicht mehr geschehen. So schön diese Zeit auch war, die folgende Nacht rächte sich mit heftigen Albträumen. Auch an den beiden nächsten Tagen sollte sich daran nicht viel ändern.
„Guten Morgen. Wo sind denn die anderen Gäste?“
Erstaunt darüber im Speisesaal der einzige Frühstücker zu sein, wandte sich Jona an den Kellner.
„Haben Sie denn noch gar nichts mitbekommen?“
„Ich bin gerade erst aufgestanden. Was gibt es denn für Neuigkeiten?“
Der Kellner setzte sich zu ihm und brach in Tränen aus.
„Eine Seuche hat uns in der Nacht heimgesucht. In Windeseile breitet sie sich aus und scheint vor niemanden Halt zu machen. Schauen Sie nur, ich habe auch schon die ersten Anzeichen.“
Bei näherem Hinsehen entdeckte Jona einen frischen Ausschlag im Gesicht seines Gegenübers.
„Zuerst wird der gesamte Körper mit diesen Pocken übersät, dann folgen Übelkeit und starke Kopfschmerzen. Einige Betroffene sollen sogar schon ohnmächtig geworden sein. Unser Krankenhaus ist bereits überfüllt, weshalb in Kürze sämtliche öffentliche Gebäude in Notlazarette umgewandelt werden müssen. Es ist doch wohl nur noch eine Frage der Zeit bis uns die Helfer ausgehen ...“
Erstaunlich ruhig blieb der Kellner, was vielleicht eine Kombination aus langer Lebenserfahrung und seiner professionellen Tätigkeit in diesem Familienhotel gewesen sein dürfte.
Jona sprang auf und eilte vor die Tür, um sich ein eigenes Bild zu machen.
„Warum hilft denn hier niemand meinem Sohn?!“
Die junge Frau kniete unmittelbar vor ihm nieder und übergab sich. In der Ferne fuhr ein Polizeiwagen durch die engen Gassen und forderte die Bevölkerung auf in den Häusern zu bleiben.
„Ich muss schleunigst hier weg ...“
Ohne sein Quartier erneut zu betreten, lief Jona zum Bahnhof. Aufgrund der Epidemie fuhr jedoch kein Zug mehr den Ort an.
„Gehen Sie bitte sofort wieder nach Hause! Die Armee wird bald hier sein und alles unter Quarantäne stellen!“
Die Stimme klang befremdlich und gehörte zu einer Person mit auffälliger OP-Maske im Gesicht, die offensichtlich als Atemschutz fungierte.
„ICH bin doch an all dem hier schuld!“
„SIE gehen jetzt sofort nach Hause, verstanden?!“
Jona schaute ihn verzweifelt an.
„Diese Seuche ist nur wegen mir über diese Stadt gekommen! Ich bin der Verursacher!“
Sein Gegenüber richtete daraufhin ohne zu zögern eine Waffe auf ihn.
„Es besteht der Verdacht auf einen terroristischen Anschlag mit biologischen Kampfstoffen … Benötige dringend Unterstützung … Ende!“
Kaum hatte der Mann in das Funkgerät gesprochen, befahl er Jona die Arme hinter seinem Rücken zu positionieren und legte ihm Handschellen an. Wenig später traf die Verstärkung ein. Der mutmaßliche Terrorist wurde in einen Streifenwagen gesetzt und auf die örtliche Polizeiwache gebracht. Zwei Männer mit Mundschutz nahmen ihn dort in Empfang und begannen mit dem Verhör. Nach einer Weile musste einer von ihnen den kargen Raum verlassen, weil ihm plötzlich schwindelig wurde.
„Bitte glauben Sie mir doch endlich, ich bin kein Terrorist … Wenn noch länger gezögert wird, dann sind bald alle Menschen