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Goldschatz mitbringen.
„Du kannst mich mal und wag es nicht noch einmal bei mir anzurufen!!!“
Hastig deaktivierte Seyma ihren ständigen technischen Begleiter und legte sich wieder hin. Doch nach wenigen Augenblicken stand sie bereits erneut auf und ging ins Badezimmer, denn noch immer bedeckte eine dezente Make-up-Schicht das leicht braunfarbene Gesicht.
Kühl waren die Nächte, was nicht verwunderte, denn immerhin befand man sich bereits im Monat September. Ludo hatte Minea eine Jacke leihen müssen, aber dies schien ihr wenig auszumachen, da sie Kleidung als pragmatische Notwendigkeit ansah und eben nicht zum Dekorieren des eigenen Körpers verwendete. Exakt um 23:45 Uhr erreichten sie den verschlossenen Haupteingang des Zentralfriedhofs.
„Dumm nur, dass wir nicht den genauen Ort kennen, aber irgendwie muss die Person ja dort hineinkommen und am einfachsten geht dies bekanntlich genau hier.“
In unmittelbarer Nähe befand sich ein dicht gewachsener Busch, ideal zum Verstecken.
„Warten wir etwa wirklich auf eine Frau?“
„Sei bitte leise Ludo.“
Recht figurbetont war die enge Lederjacke, passend zur dunklen Hose. Bei den Turnschuhen hätte sie eine unauffälligere Farbe wählen sollen, was aber wiederum im Schein der Laterne unbedeutend war. Lange schwarze Haare bis zur Taille als natürliche Tarnung vervollständigten das Ganze.
„Aua!“
Die Kastanie prallte direkt gegen ihren Hinterkopf. Wütend drehte sich Seyma um und sah, wie eine ausgestreckte Hand hinter einem Busch hervorkam und winkte.
„Wow, selbst die Nacht kann deiner grenzenlosen Schönheit nichts anhaben … Tragt ihr eure Tücher eigentlich nur tagsüber?“
„Minea, du kannst froh sein, dass ich dir jetzt nicht den Kopf abreiße ...“
Abrupt endete die angeregte Unterhaltung, denn eine Art Blitz schlug bei sternenklarem Himmel in das Haupttor zum Friedhof ein und öffnete es wie von Geisterhand. Niemand war zu sehen, obwohl die Kirchenglocke in der Ferne exakt zwölfmal läutete. Vorsichtig verließen die drei Jugendlichen ihr Versteck und betraten den Gottesacker.
„Da drüben leuchtet etwas.“
Ludo deutete in Richtung einer Familiengruft, die sich auf einem kleinen Hügel befand. Langsamen Schrittes wurde die kurze Distanz überwunden. Das bereits von weitem gesichtete Licht kam aus dem Inneren der kleinen Grabanlage.
„Normalerweise müsste doch ein Gitter den Eingang versperren.“
Minea traute sich schließlich zuerst rein und verschwand.
„Sei bitte vorsichtig.“
Seyma schaute Ludo verständnislos an.
„Wir lassen sie jetzt auf gar keinen Fall dort allein hineingehen. Außerdem hast DU doch hier angeblich eine Verabredung und nicht wir!“
Kraftvoll schob Seyma ihn vor sich her. Im Inneren führten mehrere Stufen hinab in einen kleinen Vorraum, an dessen hinterem Ende sich eine verschlossene Eisentür befand.
„Minea?! Bist du da drin?! Hallo?!“
Statt erhoffter Antworten, tauchte ein glühender Punkt im mittleren Bereich der Tür auf und zeichnete kurz darauf einen feurigen Rahmen. Die Innenfläche des Rechtecks verwandelte sich unmittelbar in eine Art Monitor, auf dem der Ludo bereits gut bekannte Nachrichtensprecher erschien.
„Sorry, wir mussten heute Nachmittag unseren ursprünglichen Plan leider ändern, aber es hat ja trotzdem funktioniert … Leg den Ring jetzt vor diese Tür.“
Ludo schaute seine Begleiterin an und beide wären am liebsten sofort weggelaufen, doch sie standen da wie gelähmt. Es vergingen zähe Sekunden bis Seyma wieder halbwegs zu sich kam. Mechanisch wurde das Schmuckstück abgestreift und wie gewünscht positioniert.
„Gratuliere Ludo, du hast die Prüfung bestanden und bist eines Experimentes würdig, das seinesgleichen auf dieser Welt suchen wird.“
Kaum hatte der Nachrichtensprecher geendet, verschwand die Projektion. Zeitgleich verflüssigte sich der Ring, bevor er zu einem Gas mutierte. Das Gas wiederum stieg auf und verdichtete sich zu einer Wolke, die jetzt unmittelbar über Ludos Kopf abregnete.
„Na endlich! Ich dachte schon, ihr holt mich hier nie wieder raus, denn die Gesellschaft in diesem Raum ist mir ehrlich gesagt ein wenig zu schweigsam.“
Scheinbar von selbst öffnete sich zuvor die Eisentür.
„Habt ihr denn wirklich gar nichts mitbekommen?!“
Seyma senkte den Kopf, war aber gedanklich noch immer bei dem eigenen Erlebten.
„Ich habe die ganze Zeit mit den Fäusten gegen dieses Monstrum geschlagen und um Hilfe gerufen ...“
Völlig zerstreut berichtete ihr Seyma von dem Ereignis im Vorraum der Familiengruft.
„Abgefahrene Story, aber ich muss mich trotzdem erst einmal selbst sortieren … Kommt, wir verschwinden von hier!“
Minea bestellte ein Taxi und um kritische Fragen zu vermeiden, gab sie als Adresse das Gebäude mit der Nummer zweiundzwanzig in einer nahe gelegenen Sackgasse an.
Zuerst wurde Seyma vor der Haustür ihrer entfernten Nachbarn abgesetzt. Ähnlich trug es sich bei Ludo zu, nur mit dem feinen Unterschied, dass Minea ihn bis in sein Zimmer eskortierte. Schließlich ließ sie sich von dem wartenden Fahrer selbst nach Hause bringen und beglich die Rechnung.
Gott sei Dank war Samstag und somit schulfrei. Erst gegen 10:00 Uhr öffneten sich langsam die beiden smaragdfarbenen Augen. Minea schlurfte zur Tür und überbrückte zeitlupenreif eine Etage in dem geräumigen Treppenhaus. Unten angekommen, suchte sie in der Küche nach etwas Essbarem. Ihr Vater befand sich mal wieder auf einer längeren Geschäftsreise und da sich der andere Elternteil im angemieteten Atelier austobte, war das Einzelkind der Familie Schaffolinger wie so häufig allein. Selbst die Haushälterin hatte heute keinen Dienst, aber glücklicherweise bereits am Freitag vorgekocht.
Mineas Smartphone vibrierte auf der Anrichte und beendete abrupt ihren Schlafmodus.
„Hallo?! Hey Seyma! Kein Problem ... Du bist mir also nicht mehr böse wegen Handynummer hacken und so? Ich habe mich auf jeden Fall an deine Drohung gehalten und nicht zuerst angerufen ...“
Seyma brauchte sie dringend zum Reden und Minea bestellte ihr daraufhin trotz starker Widerstände ein Taxi.
„Diese Location passt einfach nicht zu dir.“
„Komm erst mal rein, ich bezahle in der Zeit das Taxi.“
„Schon passiert, denn schließlich lasse ich mich nicht kaufen.“
Mit wenigen Handgriffen riss sich Seyma das Kopftuch herunter und stopfte es in ihre Handtasche.
„Das musst du mir aber jetzt erst einmal etwas genauer erklären.“
„Wir sind koptische Christen und haben daher mit dem Islam eigentlich nichts zu tun. Meine Großeltern väterlicherseits stammen ursprünglich aus Ägypten … Irgendwann ging es mir tierisch auf den Wecker, ständig von Männern angegafft zu werden … Seitdem laufe ich draußen nur noch mit Kopftuch herum.“
„Außer nachts natürlich.“
Seymas Gesichtsausdruck verfinsterte sich für wenige Augenblicke.
„Sorry, ich wollte mich wirklich nicht darüber lustig machen.“
Anscheinend hatten sich da am Vortag drei Jugendliche gefunden, von denen wirklich jeder auf seine Weise speziell zu sein schien.
„Bist du dir eigentlich sicher, heute Nacht auf dem Friedhof auch wirklich bei dir gewesen zu sein? Ich meine, erst