Der freie Wille - Page 7

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es ja auch keine greifbare Alternative. Nur die Körperpflege hatte zu leiden, womit Minea jedoch besser zurechtkam als Seyma. Über Nunzios hygienischem Zustand dachten die beiden in diesem Moment gar nicht erst nach.
Zuerst führte der Weg zurück ins Landesinnere. Dort bedienten sie sich an einem Vorratslager für Nahrungsmittel. Hier sollte sich vor allem die Unsichtbarkeit der Jugendlichen als hilfreich erweisen. Bepackt mit einem üppig gefüllten Rucksack stand das Trio nach wenigen Stunden vor der bereits gut bekannten Felswand. Nunzio tastete den Berg ab und drückte schließlich die rechte Hand in eine dort vorhandene Kerbe. Es ratterte im Hintergrund und wenig später öffnete sich eine steinerne Tür. Im Inneren durchschritten sie einen steilen Gang, beleuchtet dank einer Art Quarz, das aus sich selbst heraus Energie in Form von Licht freisetzte.
„Ob unser Nachrichtensprecher hier wohl auch entlanggegangen wäre?“
Seyma schmunzelte und konnte heute Minea deutlich besser ertragen als gestern Abend am Lagerfeuer.
Der Weg endete in einer Höhle, die wie ein Würfel geformt war und wohl durch Menschenhand angelegt worden zu sein schien. In der Mitte befand sich eine Vitrine. Nunzio verschwand derweil, was die beiden Jugendlichen nicht mitbekamen, denn deren uneingeschränkte Aufmerksamkeit galt dem Modell im Inneren des Glaskastens.
„Ist das etwa …?“
Sie waren wohl tatsächlich auf einer Insel bzw. Halbinsel gestrandet. Das Gebirge erstreckte sich quer über das gesamte Land und fungierte somit als natürliche Grenze. Allerdings verlief diese Kette aus Gesteinsriesen nicht durchgehend gerade, sondern wies ziemlich genau in der Mitte eine starke Wölbung nach außen hin auf. Genau an deren Scheitelpunkt mussten sich Minea und Seyma jetzt befinden. Der Abstand zum Meer war hier deutlich kürzer als an den anderen Stellen des Landes. Auch wurde ihnen in diesem Moment bewusst, wie viel Platz die zwölf Staaten insgesamt zur Verfügung hatten. Hinter dem Gebirge endete das Modell und ließ die Frage offen, ob man vollständig vom Meer umgeben war oder nicht.
„Seyma, wo ist eigentlich Nunzio?“
Die Antwort kam in Form eines breiten Lichtkegels, der allerdings Ludo als 3D-Projektion beinhaltete. Minea wollte ihn sofort wörtlich am Kragen packen, doch ihre Hand glitt ohne einen Widerstand zu spüren hindurch.
„Schön, dass wir dir wenigstens als Lichtgestalt begegnen dürfen … Was läuft hier eigentlich für ein Spiel?! Na los, Seyma und ich wollen endlich Antworten hören!“
In diesem Moment wirkte der Jugendliche nicht gerade glücklich auf die beiden Frauen.
„Der Nachrichtensprecher hat gesagt, dass es sich um ein Experiment handeln würde und ich als einziger würdig sei es durchzuführen … Das Ganze war am Anfang wie ein begehbares Computerspiel. Ich durfte mir diese Welt nach meinen Vorstellungen erschaffen, Lebewesen kreieren … Alles lief perfekt und entwickelte sich bestens, bis dieser Nachrichtensprecher dann persönlich eingegriffen hat, mit den entsprechenden Folgen … Versteht doch, dies ist kein Spiel mehr und das Experiment hat sich völlig verselbstständigt … Nunzio ist schon der siebte Bote, den ich zu den Herrschen dieser zwölf Staaten entsendet habe …“
Sichtlich erbost fiel ihm Minea ins Wort.
„Ich hätte diesen alten Mann auch nicht ernst genommen. Erzählt den Leuten irgendwas von einem angeblichen Schöpfer, der jetzt leider nicht mehr in der Lage ist mit seinen eigenen Kreaturen persönlich in Kontakt zu treten … Jetzt komm endlich raus und versteck dich nicht länger feige hinter dieser Projektion!“
Seyma hingegen bekam Mitleid mit Ludo.
„Hör sofort auf damit!“
Minea kehrte ihr den Rücken zu und stapfte wütend in Richtung Gang, durch den sie zuvor in diese Höhle gelangt waren.
„Ludo!!!“
Der Jugendliche betrat den Raum und wurde kurz darauf von einer herbei stürmenden Seyma herzlich umarmt.
„Jetzt bin ich wohl gerade selbst Teil meiner eigenen Schöpfung geworden …“
Minea sprang über ihren Schatten und legt ihm kurz die Hand auf die Schulter, vielleicht auch nur um zu spüren, ob es sich wirklich um einen real existierenden Menschen handelte.
„Immerhin sind wir jetzt wieder vereint ...“

Auf dem Weg zurück in die Zivilisation begegneten ihnen vereinzelt Menschen, die allerdings nur Ludo wahrnahmen. Beide Frauen schienen also nach wie vor unsichtbar zu sein.
„Wie ist das möglich? Seyma und ich unterscheiden uns doch jetzt biologisch gesehen wirklich nicht mehr von dir. Mit Ausnahme der Tatsache, dass du ein Mann bist.“
„Keine Ahnung. Ihr seid halt nicht von mir erschaffen worden, sondern anderweitig in diese Welt hineingekommen … Diese Menschen dagegen sind im erweiterten Sinne ein Teil von mir und können mich somit wahrnehmen …“
Seyma fand die Diskussion am Vorabend schon anstrengend genug, weshalb sie schnell abschaltete und lieber vor sich hin träumte.
„Vielleicht sind diese Menschen in ihrem tiefsten Inneren mit dir emotional verbunden, obwohl sie ja nur die Nachfahren jener Wesen sind, mit denen du damals in Kontakt standest.“
Ludo fühlte sich in diesem Moment Seyma besonders nah und erst jetzt fiel ihm der kahlgeschorene Kopf auf.
„Schon möglich …“

Zwei Kinder prügelten sich am Wegesrand. Als Ludo ihnen seine Aufmerksamkeit schenkte, stellten sie überraschend schnell die Feindseligkeiten ein.
„Hey Jungs, warum seid ich denn aufeinander losgegangen?“
„Er hat mir mein Spielzeug weggenommen!“
„Aber es gehört dir doch gar nicht, sondern meinem Bruder!“
Der erste Junge hatte wohl die Wahrheit gesagt, denn sein Gegenüber händigte das hölzerne Miniaturabbild eines muskelbepackten Mannes umgehend aus und entschuldigte sich. Beide schlossen Frieden und zogen freundschaftlich von dannen. Seyma spürte, dass die Kinder ihr aggressives Verhalten auch wegen Ludos bloßer Anwesenheit eingestellt hatten.
Ein Bettler bat im weiteren Verlauf des Weges um etwas zu Essen. Hinter den Jugendlichen zog jemand eine Karre mit Backwaren und ignorierte den hungrigen Mann. Dann passierte etwas Seltsames. Der Händler hielt an, nahm ein Brot und verschenkte es. Anschließend ging er gut gelaunt weiter.
In einem kleinen Dorf begaben sie sich zum Marktplatz. Dort standen mehrere Menschen zusammen und führten untereinander Gespräche. Eine schwangere Frau stürzte und verletzte sich dabei den Kopf. Völlig unbeeindruckt ließ man sie einfach am Boden liegen und tat so, als ob nichts geschehen wäre. Ludo eilte herbei und half ihr wieder auf die Beine. Plötzlich schien eine Art Wettkampf zwischen den Dorfbewohnern entbrannt zu sein, wer sich am schnellsten nützlich machen konnte. Jemand organisierte eine Sitzgelegenheit, andere versorgten die Wunde oder spendeten Trost. Dann stand Ludo im Fokus der Aufmerksamkeit und hatte das spontane Bedürfnis ein paar Worte an die Menschen zu

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