Tote erzählen aus einem Friedhof im südlichen Lappland - Page 2

Bild zeigt Willi Grigor
von Willi Grigor

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Samstagabend, wenn er den Branntwein trinkt, den er vom Systembolaget bestellt hat. (Anders Henriksson).

Damit wiederholt er das Jesuswunder, indem er auf dem Wasser geht - nur umgekehrt?
- Genau, er geht von der Badebucht bis zu Pihls Landzunge unter dem Wasser auf dem Seeboden. Auf dem Wasser zu gehen hat ja schon jemand getan. Aber dann kommt der Nüchternheitsausschuss und stopft das Loch, und da stirbt er Knall und Fall.

Aber abgesehen von einigen lustigen Gedichten strahlen die meisten einen großen Ernst aus, nur wenige nehmen das Dasein leicht, oder?
- Ja und nein meine ich. Die Toten in "Ein Friedhof im südlichen Lappland" haben oft ein hartes Leben gehabt, sowohl physisch als auch gefühlsmäßig. Sie haben gelernt, die kleinen Freuden des Lebens zu genießen. Gleichzeitig zeigen sich bei vielen natürlich auch ziemlich dunkle Seiten. Es gibt Gotteszweifler und Lebenszweifler, aber auch Lebensgenießer und solche, die offensichtlich gelernt haben, die Herausforderungen des Lebens zu meistern.

© Helena Håkanson 2020

(Systembolaget - staatliche Alkoholgeschäfte)

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Auf einem Friedhof im südlichen Lappland

Hier sind wir, wir, die Toten,
hier singen wir, im Friedhof,
wo die weiße Holzkirche steht.

Kein Priester kommt mehr zu uns
außer zu Weihnachten,
und kein Chor übt mehr
am Mittwochabend.

Åsa starb bei der Estonia-Katastrophe,
Gertrud erhängte sich vor langer Zeit,
es ist still geworden auf der Empore
und der Orgelmotor läuft nicht mehr.

Hier sind wir, wir, die Toten,
wir Toten, die aus den Gräbern singen,
jeder von uns singt
sein eigenes Lied
und dennoch einen großen Gesang.

Wir singen so,
wie die Sensen einst sangen,
wie die Landmaschinen sangen,
wie die Pferde sangen,
wie die Kühe sangen,
an Nächten, da Wesen schlichen umher
außerhalb des Stalles.

Wir singen, während Borkenteile
von den gewaltigen, ständig
vorbeifahrenden Holztransportern
auf die Landstraße 360 wirbeln.

Wir singen für die Winde, für die
Tannennadeln, für das kleine Kind,
das nie hinein ins Leben durfte.

Kleine, liebe Lisette.

Wir singen für alle,
die ständig arbeiteten,
damit wir eines Tages hier
geboren, wohnen, sterben werden.

Wir singen so, wie einst
das Sägeblatt des kleinen Sägewerks
hier in der Nähe sang.

Hier singen wir,
wir Toten, deren Gräber gepflegt,
oder nicht gepflegt werden,
hier singen wir
unter Lapplands gewaltigen Himmel,
wo Rentiere umherstreifen
und manchmal zu uns kommen,
und mit ihren Hufen
auf unsere Gräber klopfen.

Wir singen Geschichten,
wir singen für den Tod,
Wir singen für das Leben.

Wir singen für unsere Schicksale
in dem großen Mysterium,
das man Existenz nennt.

Wir singen
weil wir nicht viel anderes zu tun haben.

Wir singen für alle,
wir singen für niemanden.

Doch meist
singen wir für uns selbst,
für unser eigenes Rätsel,
für unseren eigenen, kurzen Augenblick
der Ewigkeit.

**
Tote erzählen:

Roland Eriksson

Ich war einer von denen,
die die großen Dämme bauten.

Wir ertränkten ganze Orte,
und als wir fertig waren,
nahmen wir das Boot und ruderten hinaus
und schauten hinunter in die Tiefe.

Wir sahen einen überdachten Hauseingang.
In ihm lag ein vergessener Gummistiefel,
um den der erste Hecht zirkulierte.

Wir sahen die Landstraße,
wo wir noch Spuren von Fahrradreifen
und Decktieren erahnten.

Unter uns lag ein ganzer Ort,
der sterben musste.
Und ein Heupfahl, eingekeilt in einer
Stallwand, war der Zeiger
einer abgestellten Uhr.

Wir sagten, dass wir es
dem Fortschritt zuliebe,
dem Strompreis zuliebe,
der Industrie zuliebe taten.
Aber schweigend ruderten wir
heim über das Wasser.

Und nun liege ich hier auf dem Friedhof,
und am Allerheiligenabend
brennt ein Licht auf meinem Grab,
und die Flamme ist klein
und die Flamme ist schwach -
aber mehr Licht brauche ich nicht.

Mary Lindberg

Denk dir, man warf mein Melkdiplom
in den Container mitten im Ort!

Es waren Verwandte aus dem Süden,
sie kamen her
und verkauften alles, was ich hatte
an den Schrotthändler.

Aber das Diplom wollte er nicht haben.

Sie schmissen es
in den Container, das Glas zersplitterte
und der Rahmen zerbrach.

Denk, wie stolz ich war an dem Tag,
als ich mit dem Diplom in der Hand
von der Post nach Hause ging!

Rosa, meine beste Milchkuh,
spiegelte sich im Glas des Diploms
und muhte aus vollem Hals!

Ja, ich war eine Königin damals,
eine Königin, glaubt mir!

Aber nun liege ich hier
und man geht an meinem Grabstein vorbei,
ohne zu schauen, und niemand versteht,
welch ein Mensch ich war.

Denk, wenn ich bloß das Diplom
mit in das Grab bekommen hätte,
als Beweis für mein Leben!

Es liegt im Container,
im oberen Container,
der in Richtung von Hällstens Haus.

Åke Karlsson

Ein kleines, graues Haus auf einem kleinen Hügel
mit einem kleinen Auto,
einer kleinen Sägemaschine
und einer kleinen Garage.

Dort saß ich und trank in Einsamkeit
und ging hinaus
und warf Kaminholz
auf die Nachbarn.
Redete schlecht hinter
dem Rücken der Menschen
und warf ihnen Spitznamen
direkt ins Gesicht.

Aber ich ließ die Kinder
in meinem Keller Pingpong spielen,
ja, das tat ich.
Doch die Masonitscheibe war schief
und die Bälle flogen an die Wand!

Dann starb ich an einem
Nachmittag. Der Wetterbericht
warnte vor Nebel hinter Hoburg,
und das Haus wurde an einen Jüngling verkauft,
er fuhr Lastwagen.

Der Jüngling war ein Fremder im Ort,
aber er hatte ein kleines Auto,
eine kleine Sägemaschine
und ein paar Gummistiefel
im Vorbau der Haustür.

Und nach einer Zeit
begann der Jüngling in Einsamkeit zu trinken
und ging hinaus
und warf Gummistiefel
auf die Nachbarn.

Für den Pingpongtisch im Keller
hatte er keine Verwendung,
und Spitznamen konnte er sich nicht ausdenken,
dafür trank er zuviel.

Aber Gummistiefel
hatte er reichlich.

Ebba Lidberg

Was ich mit dem Mann anfangen sollte,
war mehr als ich verstand!

Er kam hierher, um seine
Kusinen zu besuchen,
und dann blieb er bei mir.
Es gab keine
erotischen Gründe -
so alt wie wir waren.

Auch gesprächsmäßig hatten wir
keine Gemeinsamkeiten.
Das einzige, worüber er sprach,
war die Straßenverkehrsverordnung von 1932.

Er sprach von Verbindungswegen hier
und Verbindungswegen dort,
und Straßenbelägen
und Eisenbrücken
und Stundenlöhnen 1932.

Man wurde fast verrückt!

Er schwieg nur, wenn ich mit
frischgebackenen Waffeln, Sahne
und Moltebeerenmarmelade kam.
Dann ging es wieder los!

Mehr als einmal
dachte ich daran,
ihn rauszuschmeißen,
aber ließ ihn dann
dennoch bleiben.

Gott weiß warum!
Ich nicht.

Henry Olsson

Ich verlor mich selbst
auf dem Weg nach Siksjöhöjden.

Es war ein Birkhuhn, das ich sah,
es war kurz nachdem ich
Bengt Jonssons Wald kaufte
und abholzen wollte.

Das Birkhuhn stand und sah auf mich,
als befände sich etwas in mir,
abgesehen von Geld und Plänen.

Es war nur ein kurzer Augenblick,
ich sah es kaum durch die Windschutzscheibe.
Und seit dieser Begegnung bin ich
verschwunden von mir selbst, grübelnd
wie ein kreiselnder Stein in einem
Kessel in der Stromschnelle.

Jeden Tag fahre ich dorthin zurück,
aber ich sehe das Birkhuhn nie.

Innen in seinem Auge stand eine Tanne,
tiefgrün und funkelnd.

Siksjöhöjden - ein Ort im südlichen Lappland, Schweden

Eva Stina Wahlström

Niemand verstand, dass ich Amelia Earhart, das
Fliegerass war, als ich mit der Milchkanne vom
Stall zu meinem schimpfenden Mann ging.

Niemand begriff, dass ich
auf einer Tour über die Arabische Wüste war,
mit Treibstoffproblem
und stotterndem Motor,
als ich zum Geschäft radelte.

Die hinter den Fenstern sagten:
Da fährt Eva Stina, die Arme,
sie hat es nicht so leicht.

Nein, wirklich nicht!
Notlandung im Kaspischen Meer
und Probleme mit den Eingeborenen,
genau dann, als Kalle Eriksson
hinter dem Ladentisch stand und sagte:
Was darf es sein?

Am

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© Willi Grigor, 2020
Übersetzung des Buches von 2020 "På kyrkogården i södra Lappland" des schwedischen Dichters Börje Lindström. Mit freundlicher Genehmigung des Autors.

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