Weihnachtsfest mit Satansbraten/ Ein Weihnachtskrimi - Page 4

Bild von Annelie Kelch
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Fragen stellte, die man einem Kleinkind nur stellen konnte. Er wäre am liebsten zu ihm geeilt, hatte sich vorgestellt, wie er mit dem Gartenstuhl, in dem Larissa an sonnigen Wochenenden stundenlang eingemummt auf der Terrasse hockte, das Fensterglas zerschmettert und Tommy von dort fortgebracht hätte. Wer weiß, was für einen Schwachsinn die meinem Kind erzählen, hatte er jedes Mal gedacht, Quatsch mit Soße, gequirlte Scheiße ... nein, er wollte jetzt nicht ordinär werden –, diesen Part überließ er großzügig Larissa, deren offenkundiger Hang zur Schamlosigkeit erst nach der Scheidung ans Licht gerückt war.
Jeden Abend hatte er gebetet, Hänschen möge sich nicht vorzeitig erdreisten, das Zeitliche zu segnen, denn dann hätte er niemanden gewusst, der die brisanten Aufgaben übernehmen würde, die das „Unternehmen Tommy“ ohne menschliche Verluste überhaupt erst ermöglichten. Er hoffte von ganzem Herzen, dass sein treuherziger Coup, den er, verglichen mit den täglichen Schreckensmeldungen in den Medien, für ausgesprochen harmlos hielt, glatt über die Bühne ginge.
Er erhob sich umständlich von seinem bequemen Diwan, auf dem es sich verdammt herrlich träumen ließ – vorzugsweise von einem Weihnachtsfest, das Larissa zwar unvergesslich, indes keineswegs in guter Erinnerung bleiben sollte.

Bevor er sein Projekt in Angriff nahm, das in einem Maße dafür geschaffen war, seinem öden Leben die entscheidende Wende und einen prickelnden Kick zu geben, und ihm schossen jedes Mal Tränen in die Augen, wenn er daran dachte, dass die Gunst der Stunde unaufhaltsam im Anmarsch war, wollte er sich stärken – mit zwei saftigen Rindersteaks, leckeren Bratkartoffeln und Rotkohl. Bevor er in die Küche ging, legte er die CD mit den Weihnachtsliedern in den Rekorder. Er griente verschmitzt und drehte den Ton auf, als aus den unverbrauchten Kehlen eines gemischten Kinderchors das bekannte Lied: „Morgen, Kinder, wird’s was geben, morgen werden wir uns freun“, jubiliert wurde, und dachte frohgemut: „Heute, mein lieber Tommy, heute schon wird’s was geben, dass dich erfreut und deiner Mutter Hören und Sehen vergehen lässt.“ Und während er eifrig seine Steaks beklopfte, summte er munter die flotte Melodie mit.

Knecht Ruprecht, der bei Larissa Punkt sieben Uhr, exakt eine halbe Stunde nach dem abendlichen Genuss von Würstchen und Kartoffelsalat, auf der Matte zu stehen hatte, war pünktlich in die Einbahnstraße gestapft, auf der er früher mit seinen Freunden Fußball gespielt hatte. Der Abend war klirrend kalt, und lediglich der in heiligblasses Licht getauchte Mond, wenigstens der wusste, was sich an diesem Tag gehörte, und ein paar neugierige, pubertäre Sternchen beleuchteten den unauffälligen Parkplatz neben dem Stadtwäldchen, den er für sein kleines Sportcoupé ausgewählt hatte, nur wenige Häuser von Larissas Domizil entfernt. Als er aus seinem Wagen stieg, registrierte sein Unterbewusstsein die Festbeleuchtung in den vorderen Räumen des gegenüber liegenden Bungalows der Kramps, eine kinderreiche Familie, die, wenn er sich recht erinnerte, sehr früh am Nachmittag mit der Bescherung ihrer Rangen zu beginnen pflegte, damit man nicht allzu spät am Esstisch zu sitzen käme, weil anderenfalls zu befürchten wäre, dass die aus dem Winterschilf des hiesigen Dorfweihers entführte und niedergemetzelte Weihnachtsgans sich rächen und wenige Stunden später die Mägen der Genießer in einem Maße beschweren könne, das ihnen die heilige Nacht sauer aufstoßen ließe.
Nachdem er den dick vermummten Weihnachtsmann sanft aber nachdrücklich mit einem Hockeyschläger zu Fall und ins Reich der banalen Träume gebracht und mitsamt dem Sack voller guter Gaben über seine Schulter geworfen hatte – ein Kraftakt, für den er lange trainieren musste und der sich leichter bewerkstelligen ließ, als er gedacht hatte, tat er vorsichtshalber so, als sei der Mann betrunken und redete beruhigend auf den Benommenen ein, wie man mit uneinsichtigen Betrunkenen redet, wenn man sie zur Vernunft bringen will. Er hatte Glück: die Straße war und blieb menschenleer, solange er sich auf dem Weg zu Hänschens Laube befand, und zu seiner großen Erleichterung war der Bürgersteig weder glatt noch schneite es, und fast schien es ihm, als sei der Sack mit den Geschenken, die Larissa in der Regel einen Tag vor Heilig Abend in die kleine Agentur kutschierte, schwerer als der Weihnachtsmann selber; er erinnerte sich daran, dass er im Jahr zuvor infolge eines unguten Gefühls, das sich seiner bemächtigte, gezittert hatte, die Angestellten könnten im Weihnachtsstress die sich wie ein Ei dem anderen ähnelnden Säcke vertauschen und seinem kleinen Tommy eine herbe Enttäuschung bereiten.

Kaum dass er die kleine Eingangstür aufgesperrt hatte, stach ihm schon von weitem der adventliche Lichtersegen ins Auge, den Larissa im Haus verbreitet hatte. Auf der Rückfront seines Elternhauses gab es keine einzige Fensterbank mehr, auf der nicht irgendwelche Kerzen oder andere Kinkerlitzchen herumstanden. Er bettete den immer noch sprachlosen Weihnachtsmann, bei dem es sich, dem geringen Gewicht nach zu urteilen, so glaubte er, „nur“ um einen bettelarmen Kunst- oder Musikstudenten handelte, behutsam auf die Wolldecken, die er auf dem rissigen Linoleum ausgebreitet hatte. Hänschen hatte ihm seinen Heizstrahler aufgeschwatzt – vor lauter Angst, der Weihnachtsmann könne während ihrer verwegenen Aktion erfrieren, und er war froh darüber, dass er seinem Vorschlag zugestimmt hatte, obwohl er den elektrischen Leitungen in der im Laufe der Jahre verwahrlosten Holzlaube misstraute. Er zog dem Burschen, der ausgesprochen kleine Füße hatte, die Stiefel aus, die ihm verdächtig zierlich dünkten. - Wenn das keine Damenschuhe waren ... Tommys Weihnachtsmann trug weiße Sportsocken, drei Paar übereinander, wie er sich vergewisserte. Nun ja, dachte er, es ist kalt zur Stunde, bitterkalt sogar, und wenn der gute Gesell gar noch „von drauß’ vom Walde herkäme“ wie der Weihnachtsmann aus dem Stormschen Gedicht, das er vor jeder Bescherung seinen Eltern unterm Weihnachtsbaum hatte hersagen müssen, gab es keinen besseren Schutz gegen eiskalte Füße.
Die Pluderhose, die aus dickem roten Tuch gewebt war, ließ sich leicht von dem fremden Körper abstreifen, und er stellte entgeistert fest, dass Knecht Ruprecht himmelblaue lange Unterhosen aus Angora trug. Ach nee, dachte er, auf nette Art belustigt, wen haben wir denn da?, einen schnuckeligen Gay oder Transvestiten, der bei meinem Tommy heuer den Wunschzettel abarbeiten will? Weshalb auch nicht, flüsterte er, denn er war frei von Vorurteilen und fühlte sich in seiner Einstellung von einem bekannten Autor bestätigt, der in einer Fachzeitschrift

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Kommentare

09. Nov 2016

Starke Story, die sich lohnt:
Witzig Spannung in ihr wohnt!

LG Axel

09. Nov 2016

Danke sehr, die Story ist, das geb' ich zu, ein wenig überzogen;
doch so muss es sein, sonst wäre es gelogen (das Leben schreibt oft unbegreifliche Wahrheiten).

LG Annelie

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