Henry - Page 5

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Augen wieder aufschlug, stand die Sonne bereits hoch, brannte mit unbarmherziger Kraft auf mich herab und zwang mich dazu, aufzustehen. Ich drückte mich mit ausgestreckten Armen vom Boden hoch, alleine um dann sofort wieder zusammenzubrechen. Meine Schultern wollten schier zerspringen. Als ich meine Füße anzog, ließ mich ein unerwarteter Schmerz in der linken Seite aufbrüllen. Ich erholte mich lange nicht von diesem grausamen Leid, welches mich so unvorbereitet überrollt hatte.

Lange blieb ich schwer atmend in der Sonne liegen und versuchte Kräfte zu sammeln.

Endlich hob ich den Oberkörper etwas an und besah mir mein linkes Bein. Die Wade war nicht dicker angeschwollen als am Vorabend, aber die Wunde begann bereits zu eitern – zumindest bildete ich mir das aufgrund der Verfärbung ein.

Die Schulter entblößte ich mit einiger Mühe und versuchte herauszufinden, warum sie so stark schmerzte. Ich hielt dabei den Taschenspiegel Helens so, dass ich mich nicht allzu sehr verrenken brauchte. Die klaffende Risswunde zwischen den Schulterblättern sah ebenfalls stark eitrig aus, wie ich jetzt feststellte. Ich hatte sie ja nicht auswaschen können und sicherlich war allmöglicher Dreck hineingekommen. Bis gut über Mittag blieb ich schwitzend in der prahlen Sonne liegen und fühlte, wie meine letzten Kräfte nach und nach schwanden.

Ich durfte nicht aufgeben - ich musste mich aufraffen und weiterschleppen. Hier lag ich auf glühendem Sand und dort drüben begann das schattige Wäldchen mit Grasboden. Vielleicht würde ich dort auch ein Rinnsal ausfindig machen und meinen quälenden Durst stillen, meine Wunden auswaschen können. Ich musste also dorthin.

Unter größter Anstrengung schleppte ich mich schließlich nach mehreren Versuchen unter den ersten Strauch und sank völlig entkräftet nieder.

Augenblicklich verlor ich die Besinnung. Erst gegen Abend kam ich wieder zu mir und stellte gleichgültig fest, dass meine Armbanduhr nicht mehr funktionierte. Das Uhrglas war zersprungen und der Sekundenzeiger fehlte. Die anderen beiden Zeiger wiesen halb vier Uhr an - und obwohl die Uhr noch tickte, wusste ich gleich, dass ich jetzt zeitlos geworden war.

Ich hatte nicht mehr viel - ein wenig Leben und viel Lebenswille steckten zwar noch in mir, aber zu meiner Rettung konnte dies wohl kaum genügen. Immerhin hatte ich mein nächstes Ziel unter Qualen erreicht, und das war mir vorläufig Trost genug. Ich war am Rand des Wäldchens und alles andere verlor an Bedeutung. Ein hoher Strauch spendete mir seit meiner Gewaltaktion Schatten und umso dunkler es um mich herum wurde, desto mehr kühlte sich die Luft ab.

Mehr wachend als Kräfte sammelnd, schlafend durchstand ich die Nacht. Meine Wunden brannten zwar unaufhörlich, verschonten mich aber dafür mit ihrem heftigen Stechen und Pochen, welches mich den halben Tag über ausgelaugt hatte. Auch mein Kopf ließ mich in Ruhe.

Als der Himmel von Osten her heller zu werden begann, fühlte ich mich zwar schwach - aber besser als am Vortag.

4. Kapitel:  E r l e b e n

Hier sitze ich nun am Rand meines Wäldchens und lehne an einem Baumstamm.

Ich verspüre keine übermäßigen Schmerzen mehr, fühle mich aber sonst elend, weil ich mir in meiner Lage nicht zu helfen weiß und zwischen der Rückkehr zum Wrack und der Fortsetzung einer Suche nach Hilfe schwanke.

Als Erstes aber habe ich unvorstellbaren Hunger. Vielleicht ist das kein schlechtes Zeichen. Ich erinnere mich daran, dass mein Vater einmal verlauten hat lassen: "Wer Hunger hat, ist halb so elend beisammen, wie er glaubt!"

Aber diese Weisheit hilft mir eigentlich wenig weiter, denn nicht alleine besteht wenig Hoffnung, darauf, dass ich in nächster Zeit etwas zu essen bekomme, sondern ... sondern ... ja, das war's wohl, was ich sagen wollte.

Meine Lage ist ernst - ernster als je zuvor in meinem Leben. Immerhin habe ich in Vietnam die Bomben gehört und einen heftigen Fieberanfall im Dschungel überlebt. Ich weiß recht wohl, was es bedeutet, in Gefahr zu schweben, nur weiß ich nicht, was man dagegen tun könnte. Im Krieg musste man seine MG festhalten, den Blick auf irgendein Gebüsch oder eine Lichtung heften, die Ohren spitzen und auf den Befehl der Vorgesetzten warten. Eigene Entscheidungen habe ich damals nicht treffen müssen - zum Glück blieb ich auch von Nahkampf Situationen verschont.

Es würde mir jetzt allerdings auch kaum etwas nützen, wenn ich wüsste, wie man sich im Nahkampf verhält ... wenn ich es aus eigener Erfahrung wüsste. Hier brauche ich mich wohl keines Angreifers in zwei Meter Entfernung zu entledigen. Man hätte mir damals lieber verraten sollen, wie man sich etwas Essbares aneignet und ... natürlich ... wie man Wasser herbeizaubert ... wenn man sich schwach und ausgelaugt fühlt und kaum fähig ist, mehr als zehn Schritte zu tun. Wie verhält man sich denn, wenn man in einem schattigen Wäldchen liegt, welches von brennender Wüste umgeben ist? - Ich gäbe vieles darum, könnte mir das jetzt einer dieser Weisen verraten! - Wie an Essbares, wie an Wasser kommen? - Ich weiß noch nicht einmal, was wichtiger wäre - zu essen oder zu trinken. Wurzeln ... kann man Wurzeln nicht essen? - Kann man sie denn nicht aussaugen? - In der mexikanischen Wüste soll es Kakteen geben, die in ihrem Innern recht schmackhaftes Fruchtfleisch, in jedem Fall aber trinkbares Wasser bergen. - Ob es in dieser Gegend ähnliche Kakteen gibt? - Wo habe ich nur das mit den Wurzeln gelesen, die man aussaugen soll?

Aber einmal ganz abgesehen davon, dass ich noch nicht einmal wüsste, welche Wurzeln denn für den Menschen genießbar wären - ich bin bereits im Zweifel darüber, wie ich diese Wurzeln überhaupt finden und dann tief im Erdreich freilegen sollte. Ich halte mich für viel zu geschwächt, um auch nur einen Spaten zu halten.

...- Spaten? ... haha! ... mit den Händen müsste ich ja graben!

Dabei bleibt es gleich, ob mit den Händen oder mir einem funkel-nagelneuen Spaten aus Leichtmetall - denn ich besitze keinen Spaten ... noch nicht einmal zu Hause. Meine Konstitution lässt es jetzt jedenfalls auch nicht zu, eine solche Tätigkeit auszuüben - Spaten hin oder her. Da oben flimmert die Sonne. Da ist überall die Hitze und grelles, gleißendes Licht!

Gibt es hier neben Sandsteinen, Sonne und Licht, stickig warmer Luft und diesem verdammten Wäldchen, das zu nichts nutze ist,

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