Reuenthal zz - Ein kleines Nachspiel

Bild von Klaus Mattes
Bibliothek

Ein Mann geht herum in der Nacht. Der Mann kommt an der Krachthalle vorbei und er durchquert dahinter die Grünanlage. Seitdem sie Monate überwacht worden war, um die Drogenleute zu verscheuchen, ist alles leer und friedlich.

Auf seinem Weg zur Aue, die nicht mehr weit ist, passiert der Mann die Scheffelstraße. In letzter Zeit hat diese Kreuzung als Schauplatz eines angeblichen Baby-Strichs das Interesse der Zeitung erregt. In Wahrheit sind die Frauen schon zwanzig und keine Babys.

Ein dürres Mädchen steht gegenüber an der Straßenkante. Sie ist in grellem Schick zurechtgemacht, hohe Stiefel, Minirock, Lederjacke. Etwas oben dran geht ein junger Kerl eben von ihr weg und sie ruft ein paar Worte. Sie schwankt merkwürdig und knickt ein dabei.

Der Typ hält an und antwortet: „Alles klar.“
Jetzt bemerkt er den über die Scheffelstraße kommenden Mann.

Der junge Mann von der Taumeligen stellt sich als eher kleiner Bursche heraus. Keine einssiebzig und helles Haar. Auch er gegen zwanzig, schätzt der aufs Schätzen von dieser Altersgruppe sich verlegt habende Mann. Der Junge kehrt um und kommt ihm über die Fahrbahn entgegen. Er lächelt fett.

„Entschuldigung, hätten Sie vielleicht noch eine Zigarette für mich?“
Ja, antwortet der Mann und angelt seine Camel.
„Das ist der originale Camel-Tabak, aber sind Selbstgestopfte.“
„Kein Problem“, lächelt der Blonde hell.
„Sie fusseln bisschen.“
„Haben Sie Feuer auch?“
„Äh ja“, sagt der Mann. „Irgendwo auch das.“

Beim Suchen in der Hosentasche macht es klick, sein Feuerzeug stößt mit einer Reizgaspatrone zusammen.

Der Jüngling schaut sich den Mann genau an. Erste Hälfte Vierziger, kräftiger Typ, Brille, Schnittlauchhaare, Stirnglatze. Er scheint vor irgendwas Angst zu haben. Er steht mit seinem Feuerzeug so weit abseits, wie nur geht.

Der Junge trägt mehrere übergroße Shirts aufeinander.

„Sie sind öfters so spät noch unterwegs?“
„Na ja, was soll’s. Kommt halt vor. Du bist genauso hier.“
Der Jüngling lächelt. Dieser verhüllt angreifende Ton scheint ihm ganz recht zu sein.
„Och, bei mir ist es Arbeit.“
„So so. Da guck mal her! Na dann.“
Der Mann macht sich auf den Weg in die Aue.

„Sie brauchen vielleicht auch was?“
Der Junge läuft im selben Tempo mit ihm mit.

„War das deine Freundin?“
„Ja, sie ist eine Freundin.“
„Sie scheint Probleme zu haben.“
„Hält sich nicht so gut. Wenig Schlaf.“
Der Junge lächelt pausenlos, gewissermaßen devot, söhnchenhaft von unten.

„Ach und ihr geht anschaffen hier?“
„Gut erkannt, Chef.“
Der Junge schmachtet ihn an.
„Sie suchen doch was.“
„Dein Mädel sagt mir aber nicht zu. Wenn überhaupt, dann eher du.“
„Klar. Lässt sich alles machen.“

Der Jüngling suckelt an der Zigarette, als wäre er geilstens aufgeladen.
„Doch leider geht das nicht. Ich bin die arme Kirchenmaus.“

Er fängt an zu lachen.
„Aber daheim haben Sie noch was. Wir können fahrn.“
Er verrenkt den Hals nach der Wartenden. Vielleicht hat sie ein Auto oder auf jeden Fall sollte sie offenbar mit ihnen mitkommen.

„Nee, ich hab kein Auto. Was nehmt ihr so im Allgemeinen?“
„Ich lauf auch gern mal. Gehört doch dazu.“
Der Kräftige schüttelt verneinend den Kopf.
„Ich muss meiner Freundin Tschüss sagen, damit sie weiß, wo ich bin.“

„Na gut, hübsch aussehen tust du. Aber ich geb keinem fünfzig fürs Runterschrubben, wenn ich’s umsonst haben kann in der Aue drüben.“
„Ich bin auch bi“, verkündet der Jüngling stolz, „aber beim Geschäft bleibt das Hintertürle zu.“
„Auch bi? Hör mal! Wie heißt du?“
„Marco.“
„Marco. Ich erzählt dir, was ich mir denk und du sagst mir deine Meinung, wenn ich fertig bin.“
Marco grinst.

„Also. Im Stehen wird das nix. Ich muss dich überall anfassen und du musst dich komplett ausziehn. Aber vorher tust du dich duschen. Ich hab ein großes Badetuch und du stehst und ich trockne dich ab. Dann kniest du und bläst mir einen. Ich sag’s gleich, dass ich schnell feucht bin. Wenn du willst, kann ich einen Gummi nehmen. Ich mag’s nicht so. Ficken mach ich nicht. Wir gehn ins Bett und ich bekomm deinen Arsch ins Gesicht und darf mich bedienen, du weißt, wie ich’s meine? Mehr nicht. Lang geht das bestimmt nicht. Du kriegst dein Geld, sobald ich gespritzt hab. Volle hundert Mark. Aber nur auf diese Art und nur zu Hause, wenn du trocken gerieben bist.“

Der Junge guckt zuvorkommend.
„Blasen mach ich nicht. Du kannst blasen, wenn du magst und auch, wie lang du willst. Ich kann’s dir vorher zeigen, bevor wir anfangen. Nicht ficken, nicht blasen, keine Küsse! Ich bin bi und hab eine Freundin. Wenn du leckst, muss ich mich hinterher noch duschen. Das geht zu lang und wird kompliziert. Ich muss mich um die Frau kümmern. Das ist gefährlich, wenn sie allein hier steht. Wir gehen da hin und ich mach’s für fünfzig.“

„Hundert und nur bei mir daheim.“
„Aber geht zu lang. Ich geh nicht gern in die fremden Häuser. Du hast’s dabei. Schau mal richtig nach!“
„Zu Haus hab ich einen Hunderter liegen. Und nur diesen einen, damit wir uns richtig vestehn. Hier hab ich nichts. Nicht eine Mark.“

„Dann wird’s nix. Wir könnten aufs Gras hinter die Krachthalle. Ich kann mich bissel ausziehen und auf Sie drauf. Meine Freundin steht vorne und schaut, dass keiner glotzt. Okay, für fünfzig, wenn es gleich ist.“
„Du hast mir nicht zugehört. Ich hab nichts mit. Hast du Angst?“
„Sieht aus, wie wenn Sie Angst haben. Wir tun Ihnen nichts.“

„Okay, vorbei. Sprich mich nie mehr an!“
„Ich wünsch Ihnen dann eine Nacht mit viel Vergnügen.“
„Ich dir dasselbe.“
„Werd ich haben.“

„Weiß nicht, wer’s dir gesagt hat. Du bist schön. Gib Acht auf dich!“
„Klar, wird gemacht, Chef.“

Der Jüngling läuft rüber zu der Gebretzelten. Man hörte sie keifen.
„Marco, was hast du mit dem Wichser die ganze Zeit?“