Läuterung 008 : Schriftsteller ohne Anerkennung

Bild von Klaus Mattes
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Schriftsteller ist ein Beruf. Man kommt nicht zufällig rein in den Beruf, sondern man muss es organisieren. Wie es genau geht, weiß ich bis heute nicht. Im Schriftstellerberuf sein, heißt, weder davon leben zu können, noch reich zu werden, irgendwann, nach dem Tod vielleicht, von den Neben- und Weltrechten, weil doch noch, irgendwann, man durchgesetzt ist.

Kürzlich kaufte ich einen Band aus der Werkausgabe des Bodensee-Autors Heinrich Krohmer. Ein Schützling Camenzind-Hesses (war auch als Maler bekannt). Den Namen kannte man seinerzeit, schon lange kennt und liest ihn keine Sau mehr. (Ich war darauf gekommen, weil der Alemannien-Herausgeber Manfred Bosch sein Herausgeber geworden war.) Oder nehmen wir jene zwei Lyriker-Spezies Tadeus Pfeifer und Frank Geerk des etwas berühmteren Baslers Rainer Brambach. Mehrere Bücher von ihnen antiquarisch weiter erhältlich. Im Internet kommen sie fast nicht vor, geschweige bei Wikipedia. (Okay, Frank Geerk doch, aber kurz.) Ich studierte einen Führer durch die Basler Literaturgeschichte. Jakob Schaffner, Guido Bachmann, Wolfgang Borchert, Rainer Brambach, Lore Berger, Francisca Stoecklin, Rudolf Graber, Dieter Fringeli, Elisabeth Gerter, Martin R. Dean, Siegfried Lang, Birgit Kempker, Adelheid Duvanel, Urs Widmer, Jürg Laederach, Dieter Forte. Aber kein Pfeifer, kein Geerk.

Oder nehmen wir Herrn Walle Sayer, Poet, der in einem Dorf bei Horb, Nähe Freudenstadt, lebt und sich „Freier Schriftsteller“ (Wikipedia) nennen lässt. Ein Ex-Bankkaufmann. Der war bereits in den 80-ern in Manfred Boschs „Allmende“-Zeitschrift abgedruckt. Später Hölderlinfördergabe der Stadt Bad Homburg vor der Höhe, Hermann-Lenz-Stipendium etc.

Was dessen Statur von Internetlyrikern unterscheidet: dass sie vom Betrieb als Schriftsteller zur Notiz genommen und anerkannt wird. Weder erschreiben sie sich diese Leute einen Lebensunterhalt (denken wir uns als Lebenspartner oder onkelhaften Erblasser einen Schwarzwälder Mittelstandsunternehmer), noch werden sie literaturgeschichtlich auf lange Sicht „überleben“, noch „berühmt“ werden. Aber sie sind als Schriftsteller eben amtlich geeicht. Die offiziell anerkannten Künstler unter den Autoren sind niemals in den Internetforen anzutreffen. Sie haben wesentlich Lohnenderes - für ihr jeweiliges einziges Leben - zu schaffen. In den Foren pädagogische Kleingärtner und deutsche Wipfelmützen. Die Mittelalterverkörperung der Stadt Bretten. In Form von Literatur.

Wenn Helmut Krausser im Tagebuch von dem Klagenfurter Treffen erzählt, damals war er knapp 30, klönt man dort Abende weg beim Bier und tratscht übers Business. Die allermeisten kennen sich gar nicht, haben nie was vom andern gelesen, es auch gar nicht vor. Doch eine Grundlage ist vorhanden. Unser Beruf ist eins. (Vergleichbar des Abends die Außendienstler an der Bar vom ibis-Hotel Märkischer Sand.) Er spricht über „Schriftsteller, die noch kein eigenes Buch gebracht haben“. Aber dennoch sind sie dabei!

Lokalhistoriker, Sonettbürger, Blumenpinsler, Batikerinnen, Kochchefs, Nachkriegs-Angelikarrieristen sind in allen unseren Kleinstädten anzutreffen. Ein Joyce aus Mottschieß, Arno Schmidt von Gifhorn, Theo Storm von Pulheim. Und solche sehen sich dann in den Schreiberforen im Netz wieder und eine Krähe hackt der andern kein Auge weg.

Ich werde in den Beruf Schriftsteller in meinem Leben nicht mehr reinkommen. The Ballad of Lucy Jordan.

In den Foren geht das so: Entgegne ich auf Boreas' gönnerhaftes Heidenau-Geschwätz (der flüchtlingsfeindliche Mob in einer Stadt bei Dresden, heute passiert jeden Tag so viel, dass man es schlicht nicht mehr weiß), kontert Boreas: „Dass sowohl du wie ich nachmittags (unter der Woche) Zeit haben, solche Textmengen zu schreiben, bezeugt doch wohl, dass wir in einem Land leben, das seine Bürger gut erhält.“ Ich mokiere mich über die Schreibe Boingos. Und Boingo: „Ja klar, ich habe halt nicht so viele Jahre von Hartz IV gelebt und mir so viel anlesen können. Ich habe auch mal arbeiten müssen.“ (Ich habe gearbeitet und bin berechtigter Rentner, du warst Arbeitsloser.) Sie enthüllen ganz offen, dass sie die Kollegen keine einzige Sekunde für Schriftsteller erachten, wie die von Krausser in Klagenfurt Beschriebenen noch taten. Die aber in Klagenfurt, wir im Internet, gratis, wo jeder hin darf.

Doch ehrlich gesagt, erkenne ich die Vorteile an, die darin liegen, es nie zu schaffen. Alle Lesungen vor Zahnarzt-Alzheimern und deren pflegenden Gattinnen im Flieder. Servile Befragungen von Schwätzern des Heidenheimer Tagblatts. Meine rosenfingrigen Provence-Radtour-Aufzeichnungen, welche der Agent zuerst dem Wolfgang Rihm für mehrere Singstimmen und anschließend deutschsprachigen Rundfunkanstalten andiente. (Seit Sven Wohmann, Hubert Fichte und Hanns Dieter Hüsch also tot sind.) (O ihre Jugendbildnisse, mein englischlehrinnenhaftes Schönheitsideal!) Gesammelte Grußworte, die 80th-Birthday-Anthologie für unseren verehrten Kollegen Patrick Schmidli. Drei Wochen Sommerstipendium in der Akademie Loccum, für die man sich mit knappem Lebenslauf zu interessieren hat.

Marcel Reich-Ranickis Gnomencharakterknüppelschule. Vielleicht ein Hubert Winkels? Der Erste, der mich im Spiegel zitiert. [Wikipedia: „Seit 2010 ist Hubert Winkels Juror beim Ingeborg-Bachmann-Preis, seit 2015 als Vorsitzender. Er ist Mitglied im PEN-Zentrum Deutschland.“] Martin Walser: „Er schreibt über mich, also bin ich.“ Helmut Krausser erinnert in einem seiner Tagebücher aus den Neunzigern an den Nestor-Germaniae-Satz und meint, nun ja, demnächst hätte dieses sich dann auch.

Nebenbei erwähnt: Helmut Krausser kürzt in den Tagebüchern jeden Namen (und auch die Vornamen, wenn nur sie erscheinen) mit einem einzigen Großbuchstaben ab. Man merkt bei etlichen, dass es sich um bekannte Leute handelt. Er erzählt, einem seiner Bekannten, der in einer etwas unguten Episode vorgekommen sei, wären mehrere Exemplare des Krausser-Buches mit jeweils Anstreichungen dieser betreffenden Stelle anonym zugeschickt worden. Der Mann habe sich verbeten, je wieder in einem Krausser-Text erwähnt zu werden. Der Autor hierzu: „Schon um ihn für die Ewigkeit zu strafen, gewähre ich diese Bitte.“