„Scheißverdammt, Bullen“, röhrte mein Partner und spurtete los. Ich schnell hinterher.
„Auf den Boden!“, rief er.
Über dem Englischen Garten hatten die Lichtfinger sich gereckt. Der Typ und ich lagen auf dem nass rasierten Gras. Freiwillig drückten wir Fressen ins Feuchte. Als könnte uns keiner sehen, solange nicht auch wir ihn sahen.
„A jedes Mal krieg ich dich“, ätzte ein betagter Bayer neben und über uns. „Ausschmieren kannst du mich lang no net.“
„Nein, Babba“, heulte der Junge, mit dem ich es gemacht hatte. „Diesmal ist anderst. Ich hab nix gmacht. Wir sind ab zwegn den Bullen.“
Beim Babba handelte es sich um einen mediokren Fleischklops. Ich hatte ihn vorher auch schon mal bemerkt gehabt. Lange hatte er sich um den lieblichen Knaben herumgetrieben. Inzwischen kniete der Kleine im Gras, von Weinkrämpfen geschüttelt.
Vorher, an der sandigen Kuhle, war mir der Widerliche als wohnsitzlose Trinkergestalt vorgekommen, als Spanner. Jetzt fühlte ich die Gefahr, die von ihm ausging. Mit feister Gemütlichkeit zog er einen stählernen Teleskopstab auseinander. Für den Schöngewachsenen sah es nicht gut aus. Mir wurde klar, dass, was ich für seine Fetisch-Klamotten gehalten hatte, die Uniform von einer privaten Security-Mannschaft war. Auch die Stahlkappen an den Schuhen fielen mir auf.
Tränen liefen über das Gesicht des Jungen. Seine Hemdbrust hing noch immer aufgeknöpft und zeigte den schlanken Körperbau. Er wippte vor und zurück. Als Beschuldigter war ihm nicht erlaubt, sich zu erheben.
„Was soll der Scheiß?“, entfuhr es mir.
Aus den Augenwinkeln konnte ich die grellen Polizeilampen sehen. Instinktiv hatten meine Hände damit begonnen, Grasschnipsel von den Handinnenseiten zu entfernen, die Handinnenseiten zu reiben.
Der Kauernde krümmte sich unter Hieben.
„Sind da Küsse passiert, Flori?“, schnarrte dieser Graue.
„Nein, Babba!“ Die Stimme überschlug sich vor Entsetzen. „Ich kenn den überhaupts nicht. Nach Feuer gefragt hat er. Wir ham bissel gredt. Wie ma’s so macht.“
Seine fordernden Küsse hatten mich ziemlich erregt gehabt. Kopflos war ich vorangestürmt, bis die Störung eintrat. Der Freak musste in unserer Nähe gelauert haben. Einige Schritte weg. Das war hinten beim Sand gewesen.
Wir waren dann aber schnell weggerannt. Aber er war hier auch schon gewesen und sein Atem ging jetzt ruhig. Möglicherweise war er nicht mehr lange dort geblieben und hatte nicht mitgekriegt, wo Zungen und Finger in der Zwischenzeit gewesen waren. Das Geheul des Jungen ging mir an die Nerven. Glaubhaft war es nicht. Befand ich mich in einer abgekarteten Sache? Erst die Anmache, die Unterbrechung unserer Gier, das Anfachen meiner Panik. Unsere Opferrolle, die wir mit dem Davonlaufen akzeptiert hatten.
Hier der Unmensch mit seiner stählernen Rute. Sohn und Vater waren sie wahrlich nicht. Zwanzig Jahre konnte der Junge noch kaum alt sein, wenn auch knapp vielleicht. Das Monster war klar über die Sechzig raus. Für Vater und Sohn eine zu weite Differenz. Süffelig sah der aus, fettleibig, ungesund. Der Knabe wirkte viel zu erlesen für so einen Hamster. Fabrikantensöhnchen oder besserer Escort, hatte ich vermutet. Beides hatte mich angemacht.
„Flori, du darfst das nicht machen. Mein Eigen bist und bleibst du. Einen Eid hast du gegeben. Du weißt, was ich mit dir machen muss, Flori.“
„Aber da ist nix vorgefallen! Ich hab ihm nur Feuer geben. Diesmal schwindel ich dich nicht an. Ich schwör’s bei der Seligkeit, Babba. Er hat mich nicht angfasst. Gredt ham mer.“
„Hast du meinen Buben angfasst, Schwuchtel?“
Er pflanzte sich auf und ließ sein Stäbchen zwitschern. Ich hätte es ihm aus den Fingern reißen und übers Gesicht dreschen sollen, aber mein Tempo war zu gering. Wenn man Gewalttätigkeit nicht gewöhnt ist, zögert man, weil man den eigenen Schlüssen nicht traut, dass sie richtig sind.
„Lassen Sie dieses Schmierentheater!“, wies ich ihn zurecht. „Noch eine Drohung und ich zeige Sie an. Die Polizei ist noch dort.“
„Nein! Bitte tu‘s nicht!“, flennte der Junge. „Nicht die Bullen! Zu denen g‘hört er auch. Die decken sich alle.“
„Flori, was hast du da für einen Freund? Schon lasst er di hängen. Flori! Warum sucht sich der Bub diese Imbodenden raus fürs Bimbern?“
„Polizei!“, gellte ich.
Ich schwang meine Fäuste. Die Daumen hatte ich angelegt, nicht eingeklemmt. Ich würde mehrere Male zuschlagen. Wenn er dem Jungen oder mir etwas antat, würde ich den Kiefer zerschmettern. Er verdiente das.
„Oooaaahwooahk!“
Der Junge schrie wie am Spieß. Der Babba stand zwischen ihm und mir, mit dem Rücken zu mir, als würde ich nicht zählen. Die Rute hatte Floris Schenkel getroffen. Das würde Hämatome geben für Wochen.
„Jetzt kein Mucks! Wenn der Anstand fehlt, werd ich a weng brutal. Des kennst scho. Immer musst du’s übertreiben.“
„Hören Sie auf, Sie Schwein!“
Ich trat noch entschlossener auf, visierte ihn über die Fäuste an. Meine Mordgier war vollends erwacht. Das Stück Scheiße sollte nie wieder einem wehtun können.
„Sonst? Was?“, höhnte der Alte. „Geht dich Depp des was an? Schleich dich, Arsch! Du merkst doch, dass es eine Sach zwischen Vater und Buben ist! Seit er fünfzehn gwesen ist. So ein Imbodender wie du wird das nicht mehr ändern. Er hat gschworn, dass mir uns lieben. Ob ich mir des ausdenk? Vielleicht wirst vom Flori gleich noch hörn, dass es seine Masche ist. Dass er sich von denen, die wo er haben könnt, den Widerlichsten raussucht und sich mit dem erwischen lässt, damit ich seh, er liebt mich, er liefert sie mir ja immer aus. Aber das stimmt nicht. Der Flori, der ist schwach. Er will sich wegwerfen. Er will mir untreu sein. Er muss seine Lektion weiter lernen. Saug ich mir’s aus den Fingern, Bub?“
„Ja, Babba, des stimmt, wie du‘s sagst. Deswegen hab ich nix g‘habt mit dem. Ich schwör. Nur gredt is worn.“
Dieser Flori log natürlich.
Wenn der Junge seine Lügen dermaßen glaubhaft vorbringen konnte, hieß das nicht, dass alles gelogen sein konnte?
„Aber in die Hose brunzt, weil deine Straf hast kommen sehen.“
„Das Gras ist nass.“
„Flori, lass es sein! Warum machst des, wenn du weißt, dass’d nie damit durchkommst? Guck dir die Hose von deinem Herrn Galan an! Der ist genauso dag’legen.“
„Jetzt! Grad erst, bevor du’s gsehn hast, ist es mir passiert. Ich hab’s nicht ausghalten, wie du mich durchschaust. Aber ich bereu es, Babba. Ich flehe um die erzieherische Maßnahme.“
Was tat ich noch immer hier?
München ist eine große Stadt. Dort konnten einem die so Veranlagten immer mal über den Weg laufen. Mich selbst machten solche derben Spiele nicht an. Es widerte mich an. Zur Seite hin versuchte ich meinen Abgang. Die Zwei standen im Weg, wenn ich in Richtung vom Zentrum wollte. Ich behalf mich, ins Dunkel zurückzuweichen. Ich vernahm neues Jaulen vom Jungen. Großer Schmerz sprach aus ihm.
Es war nicht nett, was ich tat, aber es stimmt doch wohl: Ich war ausgewählt worden, weil ich derjenige gewesen war, der nicht schnell genug aus ihrer Nummer ausgestiegen war.
„Polizei! Hilfe! Überfall!“
Das war jetzt aber der Graue, der so plärrte.
„Komm zurück! Du glaubst nicht, dass du gehn darfst! Noch paar Hilfe Polizei und mir haben sie wieder ums Eck. Polizei! Polizei! Hilfe! Hilfe! O Gott! Hilft mir denn keiner?“
„Bitte, Herr!“, sekundierte Flori. „Gehen Sie jetzt nur nicht weg! Der wird kein Halten mehr kennen, wenn Sie ihm nicht zuschauen.“
Auch dieses war vermutlich vorgespielt.
Mein Handy lag im Hotel.
Zu viele Male hatte ich es bei dergleichen Aktivitäten nicht abgeschaltet gehabt und leider oft rangehen müssen, wohl oder übel.
„Du lieber Sankt Florian, verschon mein Haus, zünd andere an!“, wieherte der Kotzbrocken.
„Worauf er aus ist, ist, dass du ihm seine Prügel abnimmst. Es gibt Leute, die kriegt er rum. Die opfern sich für ihn auf. Er ist schon auch schön, mein Flori. Flori, du bist so ein Schöner!“
„Ich hab gar nix g‘sagt.“
„Jetzt halt dei Maul, du blöder Stricher.“
Tatsächlich konnte ich noch immer abhauen. Ich war weit genug weg von den beiden. Der Alte würde mich nicht einholen und sein Kleiner würde mich nicht umhauen.
„Der Flori hat sich wirklich nicht angeboten. Ich hab ihn auch nicht angefasst. Wir haben nur so gesprochen. Er ist auch nicht mein Typ. Der ist mir zu feminin.“
„Saudumme Verarsche! Meinst, ich weiß noch nicht alles? Der Flori, der bleibt meiner. Gell?“
„Ja, Babba. Immer bleib ich dir.“
„Bist willens, die Schuld zu laden von ihm auf dich? Oder kannst dastehn und zuschaun, wie ich ihm die Schelln verpass.“
„Aufhören!“, winselte Florian. Der Alte hatte Hände um seine Gurgel gelegt und zugedrückt.
„Komm du herzu und sprich ihn frei, wenn du ihn gern magst! Da gehst her, kniest hin und sagst, du warst das, der ihn hat verführn wolln. Du warst geil aufs Ficken. Aber Flori, er hat nicht wollen. Mir wissen, dass es nicht wahr ist. Aber du kannst seine Schuld dennoch auf dich nehmen.“
„Quatsch!“, röhrte ich. „Die Scheiße hier widert mich an.“
Ich dachte an einen Colt und wie ich ihm beim Ausbluten zusehen würde.
Warum ich noch mal zurückging, weiß ich bis heute nicht.
„Der tut Ihnen nichts“, hechelte der Junge. „Den Männern tut er ja nie was. Es geht ihm um die Lektion, die er mir gibt. Er demütigt sie nur immer, die ich mir raussuchen tu. Er muss immer der Meister sein.“
„Flori, genau da hast es zugeben. Ich hab‘s gwusst.“
Krank natürlich. Nämlich alle beide.
Mit dem Stab hätte er mir meine Nase brechen können, die Eier zerschlagen. Ich überlegte, wie groß sein Zeitfenster eigentlich noch war. Das hier war München. Entweder kam die Polizei zurück, weil ich geschrien hatte oder weil irgendwer mit Handy sie alarmiert hatte. Oder es blieb alles ruhig. Dann würde es von Nachtschwärmern bald wimmeln.
In der Ferne flirrte ein Scheinwerfer auf. Ich sah die Bayern im Schattenriss. Babba riss seinen Buben an sich und richtete das Gesicht zu mir her aus. Konnten das dort hinten seine Kollegen sein?
„Sag den Spruch!“
„Babba, es tut mir leid. Babba, du bist der einzigste Mensch, den ich liebe. Es gibt nur dich. Babba. Ich bin ein Stricher, wenn ich dir so was antu. Jetzt ist mir auch klar, dass es dumm war und der Typ doch nur wieder so ein Scheißhaufen. Ich danke dir, dass du aufbasst.“
„Flori, dein Leben ist süß, weil du deinen Babba hast.“
„Genau“, stimmte der feige Sohn zu.
„Und du, von woher bist du denn? Man kennt dich hier sonst gar nicht.“
„Aus Frankfurt bin ich, du Fotze!“
Für diesen letzten Rest von Aufrichtigkeit wäre ich auch noch gestorben.
„Flori, tu ihm die Handschellen um! Es geht noch ein Zug nach Frankfurt. So Gsindel schicken mir wieder zruck. Das duldn mir in unsrer schönen Stadt nicht.“
Sie fuhren einen Passat. Während ich bei der Rezeption mit meiner Karte zahlte, Babba immer ganz dicht an meiner Seite, holte Flori das Zeug runter. Im Passat kamen die Fesseln wieder drum. In den folgenden Wochen brachte ich in Erfahrung, dass es einen schwulen Sportverein gab, der Selbstverteidigung im Angebot hat.