Lebenskünstler F: Begegnung im Hallenbad

Bild von Klaus Mattes
Bibliothek

Seiten

Ich ziehe meine Bahnen im Becken. Vor den Fenstern hat Dämmerung eingesetzt. Ist nicht viel los, man kann Bahnen ziehen. Ich muss immer aufpassen, ob ein gut gewachsener Jüngling ins Gesichtsfeld kommt. In dieser Hinsicht ist der Abend ebenfalls eher trübe.

Wie ein Delfin zieht aber da ein gut gebauter Bursche vorbei. Regelmäßiges Schwimmen fördert, meiner Ansicht nach, die Schönheit. Jedenfalls bis hinein in jene kritischen Jahre um den dreißigsten Geburtstag.
Ich kann nichts dafür, aber als der Schöne sich fertig macht zum Gehen, stehe ich im Duschraum ihm schräg gegenüber. Wie um ein kurzes Hochgefühl über die Widrigkeiten meiner Existenz triumphieren zu lassen, stehe ich ihm sogar mehr oder weniger ganz alleine vis-à-vis. Von den klebrigen Duschraum-Schwuchteln sind keine mehr da.

Der Schöne misst zwei Meter, hat ein makelloses Gesicht und stramme Muskeln. Unverhohlen spanne ich, kaum zu übersehen, schwer zu vergeben. Soll er eben merken, dass ich geiere. Ich tue ihm nichts. Er kann ja gehen.

Er bleibt stehen, manchmal sieht er her zu mir. Schwer zu sagen, wie er dann guckt. Erregt nicht, auch nicht genervt, nicht einmal verwundert, was mich aber schon wundert. Wenn er immer noch nicht gemerkt hat, dass er mich aufgeilt, ist er wirklich ein Holzkopf.

Irgendwann, nachdem er, um mit mir quasi exklusiv zu duschen, sich viel Zeit gelassen hat, geht er ohne ein Kopfnicken. Ich warte, einen Rest Anstand wahrend, dann hinterdrein. Zu lange gezaudert! Ich sehe ihn nicht.

Ich mache mich fertig; ich föhne mein Haar. Als ich den Gang zur Kasse gehe, steht da wieder er, föhnend. Versteckt ist er gewesen im Vorraum eines abgesperrten Ganges, den nur Vereine benutzen. Ich angezogen, Tasche in der Hand, das Haar vollständig trocken. Mich unter einen der Föhns zu postieren, traue ich mich nicht.

Außerdem, der Wahrheit die Ehre: Manche Menschen sehen angezogen interessanter aus als in ihrem Adamskostüm, andere verblassen, wenn sie sich ihre Trainingshosen und Schlüsselanhänger umtun.

Ich ordere einen würzigen Rib. Prolopappis bunkern pralle Tüten, Musik dudelt. Plärrende Kinder und kleine, zerbrechliche dunkle Männer mit grimmigen Schnauzbärten setzen Plastikschaufeln, die sie an langen Stielen durch die zerdrückten Pappmonumente tragen, zum Sammeln unsichtbarer Mikroben ein. Mein Blick wischt die tausend Mal gewischten Tische wieder und nun saugt er sich fest an einem jungen Typ, der auf der anderen Seite des Ganges mampft.

Ich fasse das jetzt aber nicht! Exakt die gleiche Art von offenbar angezüchtetem Jungbulligen, wie ich ihn vom Hallenbad ganz frisch in Erinnerung habe.
So einer mit Sporttasche auch, so einer um die Zwanzig. Ein sehr Trainierter, ein Stiller im Lande, direkt ja doof nicht, aber doch wohl ohne Graduiertenstipendium.
Sollte es am Ende derselbe? Na, das nun nicht, aber so eine Ähnlichkeit! Immer Zufälle, die mir was sagen wollen. Ich versteh sie nie.

Er sieht, wie ich ihn anschaue. Schnell gucke ich weg. Als ich wieder hinsehe, guckt er noch - oder auch schon wieder. Unter angezogenen Bürgern fühlt der Angezogene sich unangenehm nackt, falls man ihn ertappt beim Stieren auf solche Jungbullen.
So aufdringlich schaue ich primär aber nicht wegen dem vielen gut drapierten Fleisch, sondern nur, weil ich verstört bin durch diesen Gleichklang zweier innert kürzester Zeit erspähter, ganz ähnlicher Weltgesellen. Dieser da kann das aber nicht wissen.

Mit einem Mal hat er etwas gesagt, über den Gang hinüber gerufen, quer durch die Musike, hin zu mir. Au weia.

„Äh, wie bitte?“
„Sieht man sich also wieder?“
„Ähm, wir kennen uns?“
„Entschuldigung, Sie sind doch ... Sie waren im Hallenbad, heut Abend, vorhin, nicht? Sie waren das?“
„Ach so, ja klar. Stimmt. War ich.“

Das ist der. Das ist der Ein und der Selbe. Der Duschengott. Und er ist also wirklich ein Holzkopf, der meint, ich hätte geglotzt, weil es mich gereizt hat, ehrlich seine Bekanntschaft zu machen. Das rechte Wort zur rechten Zeit bloß nicht gefunden.
Er räumt den Müll auf sein Tablett, steht im Gang und schwadroniert Gemeinplätze. Ja, ja, das Schwimmen, wie gut für Geist und Körper es sei.

„Ich hab Sie oft gesehen im Hallenbad.“
Na du, Bursche, jetzt redest du Stiefel. Einen wie dich, so einen kann ich schon mal übersehen, so einen wie dich immer wieder sehen und nie wirklich wahrnehmen, ist ein Ding der Unmöglichkeit.
„Ach, ich kann doch nicht mal kraulen“, sage ich lässig.

Und da er mich immer weiter begeistert anlächelt, sollte ich so Geistreiches noch mehr auf meiner Palette haben.
Dem schönen Schwimmer scheint im Augenblick irgendwie langweilig in seinem schönen Leben zu sein. Eine ganz alltägliche Situation. Man sucht dann das Gespräch mit gesetzteren Männern, die eine menschliche Anteilnahme abstrahlen.

Was ich mache, fragt er, Referendar sei ich, Geschichte, sage ich, und Französisch. Und sage mir still: Das war’s also dann.
„Ah ja“, sagt er und wartet auf was.

Vielleicht darauf, dass ich sein Tablett trage.

Zum Fastfood geht er sonst nicht, heute hat er aber Hunger gekriegt.
„Wie ich beim Duschen“, würde ich mich hier gern sagen hören, sage jedoch zweideutig schleimend: „Wie Sie sich verausgabt haben!“
Bevor er es nehmen kann, falle ich ins Wort: „Die ganze Zeit verfolgt habe ich Sie, die ganze Zeit verfolgt, im Hallenbad, ich, äh, meine, beim Schwimmen.“

Das musste jetzt raus. Manchmal bin ich richtig frivol. Er lächelt still, bescheiden, aufmerksam, wie viele Holzköpfe, wenn man sie gern haben soll. Übrigens ist er derweil etwas jünger geworden. Er ist ja noch nicht mal zwanzig! Das war die Riesenhaftigkeit, was ihn mir wie vierundzwanzig erscheinen ließ.

Er hat, sagt er, diesen speziellen Italiener, in Beckingen. Vielleicht kenne ich den Beckinger Italiener? Ich kenne den Beckinger Italiener aber nicht. Der Beckinger Italiener, sagt der Naive, kocht Pasta wie Gott. Kein Italiener in der Stadt kann sich messen mit dem Beckinger. Unbedingt probieren muss ich die italienische Pasta in Beckingen drüben.
Gesetzt den Fall, ich hätte die Zeit, könnten wir beide schnell noch auf einen Sprung zum Pasta-Gott von Beckingen.
„Aber wir haben ja jetzt was gegessen“, sage ich lahm.
„Ach, die Ribs und diese Buns machen einen ja nicht satt“, sagt der Schwimmer. „Da müsste man sich zwanzig bestellen.“
„Na jaa“, mache ich und denke: Hoppla!

„Dann gehen wir“, sagt der Nixerich.
Er fährt mich rüber und der legendäre Italiener ist in einer dürftigen Betonlaube aus den frühen Sechzigern, die ich keines Blickes gewürdigt hätte. Pasta sind bloß Nudeln,

Seiten

Interne Verweise

Kommentare

Seiten