Lebenskünstler H - Alibi-Alex - Page 3

Bild von Klaus Mattes
Bibliothek

Seiten

Wenn Alex wieder freundlicher wird, sagt er. „Ralf, du gehörst zu den Lebenskünstlern von Reuenthal.“

Beide haben wir andere Leute kennen gelernt. Ich sitze neben dem Knut auf der Bank. Knut ist ein Gedrungener mit einem Schnäuzer, Jeans-Typ mit einer schwarzen Lederjacke, breitbeinig, breitschultrig. Drollig ist Knut, manchmal, sagt Alex. Doch das ewige Gerede vom Alex kann Knut nicht aushalten. Alex ist einer von denen, die müssen im Mittelpunkt stehen. Wenn der Alex mit den Verben ankommt, schneidet Knut sein Wort ab: „Aus! Hier interessieren Männer, sonst interessiert hier nix.“

Alex will rauskriegen, was Knut sexuell besonders liegt. Außer, dass er seinen Riesenschwanz hat, um den er allgemein beneidet wird, lässt Knut aber nichts raus. Hin und wieder lässt er Alex tasten von außen. Wie der Alex beim Sex wäre? Etwas Speck hat er ja und auch Haare. Und wie alt ist Alex denn mittlerweile wohl?

Knut hat schon auch was, aber dann ist er wieder so kindisch, findet Alex. Das hört sich an, als wäre er enttäuscht, dass es nichts wird mit ihnen. In Wirklichkeit hat Knut von Alex nie was gewollt, denke ich. Ich kenne Knut und der schäkert nur so, wenn er von Leuten nichts kriegen will. Sonst ist er verspannter.

Knut steht ja markant auf sehr Junge und es macht den Alex rabiat. Er mache, sagt Alex, sich zu einem Tier. Das wäre nur die Projektion aus seiner verknacksten Kindheit. Knut lacht. Wie kann einer, der mit Fünfzigjährigen geht, wenn sie Glatze, Bauch haben, einen kritisieren, wenn ihm die Fünfzehnjährigen nicht etwa nur gut gefallen, sondern er sie auch kriegt, wenn er so einen haben will. Fotos könnte er uns zeigen, oh Mann!

Alex, das ist der Oberschlaue, der seiner Lebtag keinen Streich getan hat. Knut hat dreiundzwanzig Jahre für die eine Firma geschafft. Am Ende haben sie ihn nicht gehen lassen mögen. Neuerdings ist Knut ohne seine Arbeit und er unternimmt, etwas daran zu ändern, etwa so wenig wie der Ralf. Knut und Ralf werden hier vor die Hunde gehen, Alex wird nicht mehr hier sein.

„Was hast denn du schon gearbeitet!“, bellt Knut. „Was Arbeit ist, da hat einer wie du keine Ahnung! Abiturienten! Studenten! Von Klein auf ist dir alles reingesteckt worden! Du liegst dem Steuerzahler, dem kleinen Mann liegst du auf der Tasch! Später bist du ein Herr Doktor. Leut, die wissen, was Arbeit ist, lässt du springen für dich. Weißt du, du musst Politiker werden! Schwätzer brauchen sie immer.“

Übel wird es, als Alex sich mit Mimmo anfreundet, obwohl vom Sugar-Daddy und Geistesmensch dieser Mimmo nichts an sich hat. Sondern ein Sizilianer mit sehr großer Klappe ist, der als Lagerhelfer Geld verdient, sich dazu aber auch als Künstler versteht, Schauspieler nämlich.

Mimmo ist etwas älter, Mitte, Ende zwanzig. Geistiges Potenzial hat Alex erkannt, dem Naturtalent nachhelfen will er. Mimmo ist praktisch Analphabet, bitte nicht tratschen, er spricht, obwohl unmäßig und unablässig, ein Deutsch zum Davonlaufen.

Über einen von den Schauspielern hat Alex Mimmo kennen gelernt. Einen Schauspieler, der macht mit Strichern. Mimmo lebt bei seinen Eltern. Man weiß, wie Süditaliener bei so Sachen sind. Groß Hetero raushängen muss der Mimmo, obwohl er empfindsamer ist, wie man meint. Er spielt Rollen, steht im Theater, sagt Sätze mit seinem Akzent, ist ein Cameriere.

Na ja, Geld verdient er nicht viel. Als Bisexueller, der vorm Schwulen den Horror hat, kommt es ihm dann gelegen, wenn er was dazu verdient, weil er einen grabschen lässt, wie diesen Schauspieler. Der Schauspieler hat es auch gesagt.

Mit Leuten wie Mimmo und dem Schauspieler macht Alex nie was; die sind mental primitiv. Unter seiner Ungebildetheit hat Mimmo aber auch noch ein phänomenales Sprachentalent. Deshalb gibt Alex ihm Deutschunterricht, kostenlos macht er es. Es macht ihm Spaß, es stresst, denn der Mimmo, obwohl so sprachbegabt, ist natürlich schon auch durch und durch vulgär und letztlich ungeistig.

Mimmo, der zu Knut gesagt hat, wenn Knut will, darf (darf!) er ihm seinen Schwanz lutschen. Knut wollte nicht, auf mafiöse Zwerge ist geschissen, gehen ihnen vorn ihre Haare schon aus, dann erst recht. Das hat er dem Großmaul beibringen wollen, aber wie die Mafiosi sind, ist Mimmo ausgeflippt, hat ihm gedroht, Knuts Knie werde er brechen. Hat er nicht, aber sie sprechen nicht mehr seither.

Wenn unser Kreis in diesem Park eine Uhr wäre, sitzen Knut und Ralf auf zwölf, Alex und Mimmo auf zehn Uhr. Mimmo kommt vorbei, ausspuckend. Bald geht Alex auch vorbei, zum Tor raus. Knut macht sich über seinen Aufzug lustig, frisch aus dem Sammlungssack. Extra laut, damit Alex es auch hört.

Spät in der Nacht, Knut ist nicht mehr hier, kommt mir vor, als stünde Mimmo auf einer Bank, Alex stehe vor dieser Bank und Mimmos Schwanz stecke im Mund. Ich halte mich etwas in der Reserve. Als die, welche miteinander verkehrt haben, später gehen, sind es Alex und Mimmo.

Alex kommt nach einer Runde zurück. Ich frage ihn, ob er mit dem Italiener was gehabt hat.
„Nein! Mit dem Mimmo doch nicht! Und du? Hattest du was mit ihm? Auf was steht der so?“

Aber ich habe nie was gehabt. Anfangs, als ich Mimmo nicht gekannt habe, bin ich geschlappt, hat nichts gegeben. Rückblickend: zum Glück. Ich finde nicht gut, wie er stricht. Ich mag nicht, wie er angibt. Außerdem kommt er mir vor wie einer, der sich immer bedienen lässt. Die anderen sind für ihn alle Tucken, die sollen ihn bedienen.

„Genau“, sagt Alex. Von ihm hat Mimmo so was schon verlangt. Der Mimmo hat aber einen ziemlich Großen, das geht hier so rum. Aber mit dieser Nachhilfe, das ist jetzt gelaufen. Mimmo ist so dumm, der lernt es nie. Das Itakerdeutsch kriegt der nie weg.

Nach Monaten ist Mimmo schon wieder Geschichte und Alex ist mit Knut und mir wieder öfter zusammen. Abwechselnd macht er uns heiß. Also, ein bisschen vielleicht.
„Der ist ja nicht schön. Und bescheuert“, sagt Knut hinterher.

Wenn wir allein sind, macht Alex mich unverhohlen an. Ich bleibe in der Reserve. Zum Schluss lässt er mich doch abblitzen. Einmal sagt er, er muss dann also weg und sein Sperma auf die Autos abspritzen auf dem Weg. Ob mich schockt, wenn er so was mag.

Er tätschelt mir den Bauch und findet, ich wäre dicker geworden. Ihn würde mal interessieren, wie Knut das mit seinen Jungen treibt. So groß ist sein Schwanz natürlich nicht, wie er angibt, aber bumsen wird er sie wollen oder?

Im Dezember fragt Knut, was ich für Weihnachten und Silvester plane. Weihnachten und Silvester sind die schlimmsten Tage im Leben der Schwulen, sagt Knut. Letztlich sind Schwule ewig alleine. Einsamer wie Weihnachten und Silvester ist man nie. Bei meinen Eltern bin ich an Weihnachten, Silvester bleibe ich in meiner Wohnung, sage ich.

Knut will lieber ins „Bossa“. Zusammen wird das lustig. Erst druckse ich rum, dann sage ich, ich komme nicht mit. Knut will zur Sicherheit noch anrufen. Ich lasse es klingeln. Mit Maschinen spricht Knut nicht.

Um zwölf mache ich die Flasche Sekt auf und um zwanzig vor zwei habe ich sie leer. Ich will zum Park. Im Park sind genau zwei Personen und sie feiern. Es ist der Alex samt einer gewissen Renate.

Renate studiert in Tübingen Theologie. Ihrem Vater gehört eine Fabrik. Die dürfen es nicht erfahren, dass sie Lesbe ist. Ihr Vater ist was bei der CDU, christlich alles. Renate ist recht dick und klein. Sie hat mich in ihr Herz geschlossen. Diese Sorte Frau ist immer nett.

Die zwei haben Pikkolos leer und eine Rotweinflasche kreist. Wir sollten rüber zu Alex, meint Renate. Aber Alex will nicht und man merkt, hier wird gemacht, was er will.

Renate klagt. Es geht ihr nicht so. Sie sieht aus, wie sie aussieht und drum will keine von den Lesben sie abkriegen. Außerdem kann sie mit Lesben auch nicht. Immer das Feministische und Männerverachtende!

Wir lachen.
„Ihr zwei, tut euch keinen Zwang an! Kummer bin ich gewöhnt.“
Alex sagt, wir kennen uns so lang, nie ist was gewesen.
„Ralf ist nicht mein Typ. Und auch sehr zurückhaltend.“
„Ach“, sagt Renate.

Alex schlingt einen Arm um meinen Nacken.
„Na du, Ralf, was sagst du jetzt dazu?“
Ich sage nichts.

Wir sitzen auf der Lehne und Renate schaut uns zu und will mehr sehen.
„Als Paar, wie wirken wir so auf dich?“, fragt Alex.
„Super! Ihr passt zusammen.“

„Oh, diese Nacht ist toll!“
Alex steckt seine Finger unter meine Jacke und wühlt, bis er Haut findet.
„So kennst du mich noch nicht, Ralf. Macht es dich an?“

Renate findet alles wunderbar.
„Ein wenig wohl.“
Vorsichtshalber mache ich die Jacke auf und streichle ihm die Brust. Renate schmeißt die Weinflasche ins Gras hinüber.

„Du hast Haare da!“, kreischt Alex. „So endgeil! Ich find Haare auf dem Bauch toll! Hast am Hintern auch noch?“
„Das weißt du schon alles.“

„Was? Wie soll ich das denn wissen? Hast du? Ich hab Haare an meiner Brust und am Hintern noch mehr.“
„Zeig doch!“
Ich schiebe meine Hand in sein Hemd. Dort ist es zu haarig, aber heute ist natürlich Silvester.
„Ihr zwei Turteltäubchen!“, lacht Renate.
Die Finger von Alex arbeiten sich vom Gürtel her vorwärts.
„Gut bestückt bist du auch.“
Der umgebogene, eingeklemmte Schwanz könnte sich durch Stoff so anfühlen.

„Ach Ralf“, säuselt er.
Renate ist still.
Ich ziehe ihn an mich und küsse.
Alex hat es bis an den Schwanz geschafft. Der Mund geht auf und ein klein wenig auch seiner. Ich schiebe meine Zungenspitze vor. Er nimmt die Hand aus der Hose.
„Mensch, Renate! Was ist das für eine Nacht! Ab jetzt feiern wir jedes Jahr Silvester hier im Park.“

Hoch steht er auf der Bank und Alex springt zur Renate runter. Bald findet er, es wäre schon saukalt geworden und nichts zu trinken übrig. Renate findet alles toll. Und es geschieht nur, was Alex will.
„Renate, dich schlepp ich dann wieder hierher. So geil war’s noch nie.“

Irgendwann hört man, er wäre nach Berlin gezogen, habe das mit der Kunstgeschichte sein lassen. Noch später, er studiere in Mannheim was, man wisse nicht, was

Mimmo ist im Land. Mimmo tut, als hätte er nie das geringste Problem gehabt mit uns. Er stricht auch mit den Alten nicht mehr. Er geht nicht in den Park, weil nur die Alten da verkehren und er braucht die jungen, saftigen Fickmäuler. Er hat seinen Großen, die kriegen da gut was ab.
„Diese Italiener“, lacht Knut, „was die ja alle haben, ist ihre große Klappe.“
Mimmo holt ihn raus.
„Ist das ein Kleiner? Ist das ein Kleiner?“
Nein, sicher, das ist ein Großer.

Er kommt öfter durch und man redet. Mimmo in perfektem Deutsch, akzentfreies Hochdeutsch.

„Der Alex, das war doch ein Spinner! Er hat gut labern können. Immer Scheiße. Wisst ihr, er wollte, dass ich auf Lateinisch spreche mit ihm. Er hat so viel gelernt, sein Kopf war voll mit alles, aber drin alles nur Matsch.“

Ob Mimmo ihn jemals gefickt hätte, will Knut mal hören.
„Ich den Alex? Gefickt hab ich ihn. Gefickt, sag ich euch! Wie ich den Alex gefickt! Ihr wisst es beide, dass ich Ficken nicht bevorzuge, aber für den Alex musste das sein. Zweimal gefickt hab ich ihn, weil er es haben musste. Das war schon auch spaßig. Weil dieser Alex ist nämlich überall wie in seinem Kopf. Eine matschige Melone, ihr wisst, wie ich’s meine. Typen gibt das! Der komplette Matsch.“

„Und, Ralf?“, fragt Knut. „Mit dem hast du auch poussiert.“
„Ich? Ach nee, doch nie wirklich!“, sage ich.

Seiten