Kino 2014: Eine Top Twenty - Page 3

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eines Kinostils wie bei „Der Clou“, „Der Pate“, „All The President’s Man“, „Bullitt“ und „Is‘ was Doc?“ außer wunderbarem Look, wunderbarer Musik und herrlichen Komödianten sogar noch eine brisante Story und Lachen ohne Ende brächte. Eine Besetzung wie Christian Bale - Bradley Cooper - Amy Adams - Jeremy Renner - Jennifer Lawrence ist allerdings momentan schlicht nicht mehr zu toppen! Dieser Film muss Klassiker werden! Zuhälterjacken und Nuttenschick-Klamotten der siebziger Jahre waren in Wirklichkeit lange nicht so großartig wie hier.

The Wolf of Wall Street (Martin Scorsese)

Martin Scorseses bester Film seit „Casino“ (1995). Und: Größenwahn bleibt Lieblingsthema des kleinen New Yorkers. Dass wir begriffen hätten, wie man Investoren mit spottbilligen Papieren linkt, würden wir nicht zu schreiben wagen. Immerhin wissen wir mittlerweile, wie man jemanden einen Kugelschreiber verkauft, welche Drogen man fürs Treppenklettern nimmt, wie eine tropfende Kerze in Leos Hintern aussieht und dass „Schauspieler“ im Falle von Jonah Hill nicht nur beim Finanzamt neben dem Namen stehen sollte.

Wild Tales (Damián Sifrón)

In Koproduktion mit den Brüdern Almodóvar schrieb, drehte und montierte der Argentinier Sifrón, vom Fernsehen kommender Vierziger, das Nächste am Luis-Buñuel-Kino, was wir seit langem sahen. Erst mal glauben wir zwar, es mit einem Episodenfilm aus launigem Komödienstoff zu tun zu haben. Passagiere, die man zu einem Flugzeugabsturz geladen hat. Rattengift im Schnellimbiss, ein fieser Businesshai soll das Zeitliche segnen, sein unerwartet aufkreuzender Sohn gerettet werden. Dann ein Mann, der sich an der Stadt Buenos Aires mittels Sprengstoff für deren Falschparker-Abschlepptricks rächt. Ein Duell auf leerer Wüstenstraße zwischen zwei Fahrern, die sich in Weißglut beleidigt haben. Eine eigenartig Hollywood-ferne Mischung aus Esprit, Ernst, Komik und Gewalt. Nicht Quentin Tarantino, sondern der alte Michael Kohlhaas stand Pate. Es geht, wie gegen Ende immer deutlicher wird, um Geschädigte, die sich anmaßen, Gerechtigkeit auf eigene Faust üben zu können.

X-Men: Zukunft ist Vergangenheit (Bryan Singer)

Ich hatte nie ein Herz für Comics. Man musste mir damals nichts verbieten. Aus ebendiesem Grund wird hier nicht der von jüngeren Menschen für den tollsten Film des Jahres 2014 betrachtete „Guardians of the Galaxy“ besprochen, wo mir einfach zu viel Müll durchs Weltall schoss, zu viele sprechende Baumstämme oder Waschbären um Aufmerksamkeit rangen. Der „First Avenger“ kommt für mich nicht zurück und kämpft gegen Robert Redford. Sogar das überraschend gelungene (für einen Tom-Cruise-Film) „Edge of Tomorrow“ flog raus, als die Plätze auf dieser Liste knapp wurden. Flüge in die Vergangenheit, um irgendwen zu retten, der in der Zukunft in höchste Gefahr gerät - und dann wird diese eine Gefahr abgestellt, sonst soll die Geschichte aber weitergegangen sein, wie schon im Bild gezeigt? Ich mag so was nicht. Doch diese X-Men-Episode fing mich dann doch noch ein. Enterprise-Kapitän Patrick Stewart als väterlicher Rollstuhlweiser, Leidensmann Hugh Jackman ein von Zornanfällen geschüttelter Krieger, diese beiden sich doppelnd in ihren jeweiligen Jugendausgaben aus der Vergangenheit von 1973. Mit dem herrlich doppelbödigen, seit Jahren aber im Formtief steckenden James McAvoy als Professor Xavier, Michael Fassbender als dessen gekränktem, stahlblau starrenden Gegner, der sich mit seinem Gegner aber wird einigen müssen, um den künftigen Mutantenstadel vorm Armageddon zu bewahren. Was für eine faszinierende Theatralik des komplett Zweckfreien versucht das zu ergeben? Schwachsinnig und Shakespeare-artig wie die damalige Wiedergeburt eines virilen James Bond in „Casino Royale“ (2006).

Nymphomaniac (Lars von Trier)

Frechheit siegt. Den Menschen Lars von Trier, wie ich ihn mir denke, mochte ich noch nie. Abgefeimt, die Emotionen des Publikums ständig manipulierend. Wenn die Ruchlosigkeit eines Verführers aber so perfekt aufgeht wie hier, will ich nichts gesagt haben. Kino, falls nicht das Medium, dem Tod bei seiner Arbeit zuzuschauen, ist die Kunst, schöne Frauen schöne Dinge tun zu lassen. Manchmal auch anrüchige. Bildungsbürger-Publikum führt sich - unterm Siegel, das sei ja Arthouse - Versatzstücke gängiger Porno-Kinematografie zu Gemüte, die es sonst allemal widerlich und voyeuristisch und verdinglichend zu nennen hätte. Ihrem lammfrommen „Retter“ erzählt die „sündige“ Frau (Charlotte Gainsbourg plus viel apartere Jugendausgaben) zwei Filme hindurch, was sie wegen ihrer unbezähmbaren Verehrung des Männerschwanzes alles mit sich hat machen lassen. Sie erzählt vom inzestuösen Verlangen nach dem eigenen Vater, ihren Erlebnissen als Prostituierte und hart Gezüchtigte beim SM, streift den Sex mit anonymen, von der Straße heraufgeholten Afrikanern wie auch den mit einer Frau. Stellan Skarsgård als Zuhörer will nach diesem Lebenslauf auch einmal zugreifen dürfen, ist da aber an die Falsche geraten. Das Hohnlachen Lars von Triers, was man Leuten für Schmuddelgeschichten andrehen kann, solange man gewisse Regeln der Pornografie durchkreuzt, dafür Regeln der Kunst einsetzt, ist nicht zu überhören.

Dallas Buyers Club (Jean-Marc Vallée)

Diesen Texaner Matthew McConaughey konnte ich nie sehr leiden. In Filmen wie „The Wedding Planner“ dachte ich, man muss wohl eine Frau sein, um was an dieser Sorte glatten, frechen Schönlings zu finden. Zweifel kamen mir bei „Magic Mike“ (2012), erst recht dann beim Indianergeheul des koksenden Finanzmaklers in „The Wolf of Wall Street“. „Dallas Buyers Club“ ist nicht nur für mich nun der Punkt, ab dem man nicht übersehen kann, dass McConaughey ist ein sehr guter Akteur ist, der sich unerbittlich fordern kann. Zwanzig Jahre nach seinem Karrierebeginn sieht er wie ein Weltkrieg-Soldat aus, der durch die Hölle gegangen ist. Mit „Interstellar“ wurde das dann gleich noch mal genutzt, aber jenem Ich-bin-ja-so-dermaßen-clever-Kino des Christopher Nolan erlaube ich keinen Rang in meiner Zwanziger-Parade.

The Enemy (Denis Villeneuve)

Ein Jahr vorher war Jake Gyllenhaal in Villeneuves US-Krimi „Prisoners“ als Polizist eher noch eine Nebenfigur vom Hugh-Jackman-Film gewesen. Jackman als Vater, der in Selbstjustiz-Exzesse abrutscht, nachdem sein Kind entführt wurde. Das unterschätzte, aber ganz großartige „Prisoners“ stellte für mich eine Art Kehrumpunkt für amerikanisches Unterhaltungskino dar: „Bis hierhin kannst du noch Karten ans Popcornmampfer-Publikum verkaufen, jeder Schritt weiter wird dich zu einem Lehrer-Darling machen.“ Der Franko-Kanadier Villeneuve zeigt Jake Gyllenhaal bei „The Enemy“ in gleich zwei Hauptrollen und dieses Mal ist es ein stilisierter, handlungsarmer, pessimistischer Film aus einem Nicht-Hollywood-Land. „Kafkaesk“ wird so etwas gerne gefunden. Die Romanvorlage war von Nobelpreisträger José Saramago aus Portugal. Im braunstichigen, menschenarmen Hochhaus-Toronto erfährt ein mäßig erfolgreicher Geschichtsdozent von der Existenz eines Doppelgängers. Dieser - offenbar auch nicht mehr wirklich angesagte - Filmstar lebt viel großspuriger als er. Aber nicht nur ähnelt er ihm verblüffend, bis in die Narben der Kindheit hinein und in ihre Träume, die sich im Schlaf überlappen, sondern er ist derselbe Mensch, der ein paralleles, anderes Leben führt. Der Film hat keine Erklärung und kein Erwachen. Das Schauspieler-Ich erpresst das Professor-Ich und ein Austausch ihrer beiden Ehefrauen zeichnet sich ab. Da schleicht sich der Professor (ähnlich wie in Schnitzlers Traumnovelle) in eine geheime, geschlossene Herren-Sex-Runde hinein, wo möglicherweise Nackttänzerinnen für Snuff-Pornos getötet werden. Dieser Film muss durchgestanden werden. Sehr schleichend entwickelt sich alles. Aber man sieht dergleichen Filmkunst sonst auf der ganzen Welt ja nicht mehr.

Pride (Matthew Warchus)

Wenn im Vorspann je was auftaucht von wegen „BBC Films“, kann man fast sicher davon ausgehen, dass es ein behäbiges, politisch korrektes Konversations-Theater-Stück zu irgendeinem gesellschaftlichen Thema geben wird, bei dem früher zwar die Fetzen flogen, mittlerweile nur noch offene Scheunentore eingerannt werden. Wenn mit „Pride“ eine Zeitreise ins Thatcher-England unternommen wird, bei welcher eine Truppe junger Londoner Schwuler und Lesben ins ausgepowerte Wales zieht, um, erst fast gegen deren Willen, den Gewerkschaftlern in den Minenstädtchen beim Kampf gegen die unnachgiebige Marktliberale zu assistieren, überlegt man sich schon einmal, ob man nicht seine Schaumstoff-Halskrause fürs gepflegte Sesselschläfchen hätte mitbringen sollen. Doch jetzt werden diverse Coming-outs als irgendwas bewältigt, vegane Gürkchen-Sandwiches gerichtet, Mütter und Söhne nach Jahren des erbitterten Schweigens wieder ausgesöhnt, Aidskranke nicht vergessen, Drag-Queen-Shows gejauchzt und miesepetrige Puritaner kalt gestellt mit so viel Humor und Herzensgüte, dass auch Bill Nighy und Imelda Staunton mitmachen mussten, in Nebenrollen, aus welchen sie sich nicht hervordrücken, wie jeder Til Schweiger es täte.

Wir sind die Neuen (Ralf Westhoff)

Deutsche Komödien - besonders, wenn sie hinterher im Fernsehen noch laufen wollen, müssen idiotenverständlich sein, Witzfiguren allenthalben, (apropos, Abturnerfilme des Jahres waren: „Buddy“, „Vaterfreuden“, „Miss Sixty“, „Lügen und andere Wahrheiten“, „Schoßgebete“, „Männerhort“, „Bocksprünge“, „Coming In“, „Alles ist Liebe“, „Honig im Kopf“), doofer als die Zuschauer ticken. Fantasielos bebildert und sehr getragen im Tempo. Auch in der Münchner Senioren-Notbehelfs-WG-Komödie mit Rotweintrinkern versus Radfahrer ist dies manchmal so. Vor allem, wenn wir uns in der unteren Etage bei den Swinging-Oldies Gisela Schneeberger, Heiner Lauterbach und Michael Wittenborn aufhalten. Um einiges kälter, schneidender, pathologischer wird es, wenn einer von den geschlamperten Alt-Achtundsechzigern die Treppe zu den Heutigen im Obergeschoss hinaufsteigt. Von Karoline Schuch, Karoline Eisinger und Patrick Güldenberger eins-a gespielt, sind da Sozialdarwinisten und künftige Neurosenwracks damit beschäftigt, sich in ihren vernünftigen, effizienten und nachhaltigen Lebensstil zu verrennen.

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