Reuenthal z - Noch ein Versuch

Bild von Klaus Mattes
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Dann setzte es die Überraschung.
„Ich hab die Wohnung. Die ist drüben in Warmbrunn, ist Scheiße. Aber die Wohnung ist gut, vierhundertachtzig ist doch nicht so viel, oder? Man muss das Öl in die Heizung tun. Ich glaub, ich nehm sie nicht.“
„Wie?“

Ganz hatte er sie nämlich nicht, sondern erst fast.
Die Vermieterin, Anfang fünfzig, war alleine gewesen, aber es gab noch einen Sohn. Sie arbeitete beim C&A, sie war okay, sie hatte ihn eingeladen zu Tee und Erdbeerkuchen. Timo hatte ihr erzählt, er arbeite Schicht bei einem Autozulieferer, könne sich die Kaution erst Ende nächsten Monats leisten. Auch seine Freundin hatte er erwähnt, die Frau hatte sich nicht dafür interessiert. Er müsse dann fürs Unterschreiben noch mal rüber zu ihr.
„Wie jetzt? Einfach so?“

Nicht so ganz. Mit zwei weiteren Bewerbern wären noch Termine ausgemacht. Auch die Meinung ihres Sohns spiele eine Rolle.
„Du hast mehr Glück wie Verstand! Hast du eine Ahnung, wie lang ich für das hier hab suchen müssen?“

„Ja, ich glaub auch, irgendwas ist da nicht koscher. So eine gibt doch nicht mir die Wohnung. Die hat Absichten, die sie verheimlicht. Sie hat gesagt, es macht nichts, als ich gesagt hab, ich bin Raucher. Du, wie die geguckt hat! Ich rauch doch kein Gras mehr. Normal ist das nicht, wenn eine in den Fünfzigern gleich an so was denkt. Am Schluss hat sie so geschleimt: „Dann auf gute Nachbarschaft!“ Da hätt ich’s merken können.“

„Bitte was?“
„Dass sie falsch spielt.“
„Gibt sie dir ihre Wohnung nicht, ist sie ‘ne dumme Fotz, gibt sie sie dir, spielt sie falsch.“
„Die ruft hier sogar noch an und sagt, dass ich doch kommen soll. Die hat nämlich ihre Absichten.“
„Ficken?“

„Nein, die ist von dem Typ, der zuerst scheißfreundlich tut, damit sie dich dann voll in die Scheiße tunken kann. Vielleicht hängt die mit dem Reiselfinger zusammen.“
„Mann! Genau! Aber sicher doch! Alleinstehende Fünfzigerin vom C&A, klar kennt die den Schwulen da draußen in Reiselfingen. Schlag sie zusammen, wenn sie dir dumm kommt!“
„Der will mich nicht zurückhaben, krepieren sehn will der mich.“

„Was ist mit der Wohnung jetzt?“
„Sie hat deine Adresse bekommen. Vielleicht schreibt sie. Du musst mir dann Bescheid sagen.“
„Schön zu hören, danke dir.“

Bis Montag hatte noch keiner angerufen. Am Dienstag ist der Junge fort. Die Frau hatte gesagt, spätestens Montag gibt sie ihm Bescheid. Am Abend des Dienstags ruft sie an.

„Fischer. Kann ich bitte Herrn Brot sprechen?“
„Der ist momentan nicht hier.“
„Wann kommt er wieder?“
„Soll ich ihm vielleicht was ausrichten?“
„Ach ja. Sagen Sie ihm, dass die Frau Fischer angerufen hat. Es geht um eine Wohnung. Er soll sich melden bei Frau Fischer.“
„Ja, ich weiß. Das hat er erzählt, dass er eine Wohnung anschaun geht. Ist es jetzt sicher, dass er sie bekommt?“
„Ja, die kann er haben. Aber er muss kommen und den Vertrag machen. Richten Sie das aus?“

Im Telefonbuch blätterte Peter die Seiten von Litterkrauch durch. M vorne, Männerwohnheim, W vorne, Wohnheim, H vorne, Heim, O, Obdachlose, S, was Städtisches, K, die Kirchen.

Obwohl acht durch war, probierte er es im evangelischen Pfarrhaus. Ihn begrüßte eine bekannte Stimme, die von einem Gymnasiasten, der neuerdings zur Schwulengruppe kam.
„Markus, bist du es? Hier ist der Peter. Was machst du denn da?“

Es war seine Mutter, sie arbeitete beim Pfarrer, der Sohn vertrat sie nur kurz. Der kleine Schlesinger hatte keine Ahnung, wo ein Strafentlassener in Litterkrauch untergeschlüpft sein könnte. Nicht bei der evangelischen Kirche, er sollte es mal beim Cusanus-Haus versuchen, meinte er.

Das südliche Ende von Litterkrauch. Timo hatte erzählt, vom Bauhaus laufe er eine Stunde. Liebensteimerstraße, die war dort irgendwo.

Er hörte eine Bandansage. „In Notfällen Heimstättenwerk Reuenthal, Telefon soundso.“
Heimstättenwerk, eine private Gründung, war in Reuenthal die Anlaufstelle für Obdachlose und Gestrandete. Leute wie der Klemens oder auch der Reiselfinger Heinz, sie alle hatten irgendwann dort vorbeigeschaut oder kannten zumindest einen, der „im Werk“ seine ruhige Kugel schob.
Es klingelte. Es klingelte. Dann ein Anrufbeantworter.

Klemens?
„Das sind doch Leute ohne Gewicht“, hatte Timo gesagt, „wie der Wind sind die da, solang’s noch was zu holen gibt.“
Ihm wären unter Reuenthals Schwulen überhaupt nur drei gute begegnet. Das hatte er in der Nacht gesagt, als er neben ihm lag. Johannes, der Weltweise, Alfred, der Ärschlesammler, und eben er, Peter, der Lehrer.

Gut, er konnte es noch beim Aids-Hilfe-Fuzzy probieren. Von Teicherts standen drei im Buch. Zwei hatten aber keine Straße dabei. Und da: Teichert, Kai-Uwe, Diplom-Sozialpädagoge, sowie Dölling, I.

„Teichert.“
Im Hintergrund hörte man schwatzende Leute.
„Ja, hallo, Jazzy! Hier ist Peter aus der Gruppe. Ich weiß grad nicht, ob du weißt, wer ich bin ...“
Ärgerlich: „Ich weiß schon, wer du bist.“
„Ich such nach ‘ner Information, hat mit dir und der Aids-Hilfe eigentlich nichts zu tun, vielleicht kannst du mir aber doch helfen.“
„Ja.“

„Äh, ich hab Kontakt zu ‘nem jungen Mann, der, er ist praktisch obdachlos. Sagt, er wohnt im Männerwohnheim in Litterkrauch. Ich hab eine wichtige Nachricht für ihn. Hab so rumtelefoniert und gehört, dass es das Cusanus-Haus sein kann.“
„Von einem Cusanus-Haus habe ich nie was gehört. Beim Heimstättenwerk müssten sie Bereitschaft haben.“
„Ja, hab ich probiert. Da meldet sich aber niemand.“
„Versuch’s zu den üblichen Sprechzeiten!“
„Ja, danke. Nochmals Entschuldigung für die Störung.“

Als der Junge in der Nacht vom Samstag ankam, schien er das mit der Wohnung längst vergessen zu haben. Der Mann drängte ihn; Timo sagte, jetzt wäre es doch sowieso zu spät.
„Na ja, nach zehn macht das keinen guten Eindruck, morgen dann.“
„Bist du denn bescheuert? Ich ruf nicht am Sonntag an bei einer Frau, bei der ich mich am Dienstag hätt melden müssen!“
„Und also?“
„Nichts! Das ist durch. Ich nehm mir halt ‘ne andre.“

Der Mann versuchte, Druck zu machen; Timo wurde pampig.

Am Montagmittag ging er weg und kam abends wieder. In Warmbrunn bei der Alten wäre er doch noch gewesen.
„Herr Brot, was machen denn Sie hier?“, äffte er die Frau nach.
Die Wohnung war samstags schon weg gewesen. Und Timo hatte es ihm auch gesagt, aber nein, zu der blöden Kuh hatte er extra rennen müssen.

„Auf diese Art kannst du dir ja mal fast sicher sein, dass sie nicht bei der berühmten Verschwörung dabei war“, entgegnete Peter.