Rex Diviano

Bild von Giulia
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Die Feuchtigkeit des vorangegangenen Regenschauers ließ die Straßen schimmern. Verzerrt spiegelten sich die Lichter der Laternen auf dem Asphalt wider. Als wäre das Hotel ein elitärer Bienenstock, schwärmten gut betuchte Menschen hinein, labten sich in ihrem Ego und Reichtum. Rex hob den Blick, während er die Hände in die Hosentaschen schob. Den Kopf weit in den Nacken gelegt, blinzelte er den letzten Regentropfen, die aus dem Dunkel des Himmels fielen, entgegen. Er ließ nur ungern solche Festivitäten aus; legte seine Finger viel zu gern in die offensichtlichen Wunden dieser Menschen, grub sie tief hinein und holte den Schmerz hervor, auf die subtile Weise, die seine Untergebenen an ihm fürchteten.
Lautlos flog die Zigarette auf den Boden und wurde bezeichnend unter dem feinen Lederschuh zermahlen.
Schwere Hufe setzten sich in Bewegung. Sie nannten ihn den Hirsch, denn seinen Schmerz versteckte der Diviano hinter einer Maske aus Stolz, Schwärze und einem gewaltigen Geweih, das jeden in Fetzen riss, wenn er ihm zu nahe kam. Rex Diviano, das Oberhaupt der größten Mafiafamilie in der Stadt, war nicht zu fassen. Wie viele Polizisten wussten, dass er seine Finger überall im Spiel hatte, doch vor das Gericht stellen konnte ihn bisher keiner. Zu gut und undurchschaubar war sein Image als Gönner und Spender in der Öffentlichkeit.
Am Fuße der Treppe blieb der Italiener stehen, blickte hinauf in das von Innen strahlende Gebäude. Ein minimalistisches Lächeln zuckte in seinen Mundwinkeln, während er der Dame neben sich den Arm anbot um sie hinauf in den Abend ihres Lebens zu begleiten. Stufe um Stufe erklomm sie das Schafott in ihren Stilettos. Ihr Verhalten würde heute über Leben und Tod entscheiden. Beifallheischend blickten ihre rehbraunen Augen zu dem Diviano, der instinktiv den Kopf zur Seite wandte und ihr seinerseits einen anerkennenden Blick schenkte. Die kleinen Fältchen an seinen Augenwinkeln wurden tiefer, suggerierten ein ehrliches Lächeln, doch der Schleier über den braunen, diabolisch kalten Augen, wich nicht. Es fiel ihr nicht auf. Zu sehr war sie mit der Anerkennung beschäftigt; mit dem Neid der anderen Frauen, die umso lieber danach lechzten an der Seite des verabscheutesten, aber zeitgleich beliebtesten Mannes diese Treppe hinauf zu schreiten.
Klassische Musik drang an die Ohren des Divianos. Sein Herz machte in der Brust einen Hüpfer. Er konnte sich in klassischer Musik verlieren, konnte mir ihr agieren. Was die Wenigsten wussten war, dass er nicht nur einfallsreich beim Ersinnen neuer Foltermethoden, sondern auch am Klavier war. Menschen, denen er begegnete, die zur Familia kamen, beschrieb er mühelos mit einem eigenen Musikstück, sodass in seiner großen Villa eine ganze Kartei an Musikstücken zu finden war. Ohne Schwierigkeiten drang er in die dunkelsten Abgründe seiner Mitmenschen vor und holte das hoch, was sie so zu verstecken suchten.

Sie war zur Familia gekommen um als Verführerin zu arbeiten. Keine Huren, keine Nutten, sondern Frauen, die im Auftrag Rex’ den Männern den Verstand raubten und sie mit ihrem Körper, mit Sex und der scheinbaren Aufgabe ihres Selbst zu Dingen trieben, die sie danach bitter bereuten. Verführerinnen waren gefährlich. Waffen auf zwei Beinen. Wunderschön mit einer unerklärlichen Ausstrahlung, die sie ihrem Gegenüber mühelos anpassen konnten. Sie vergaßen irgendwann, wer sie wirklich waren. Das mussten sie um wandelbar zu sein.

Rex ergab sich den politischen Gesprächen. Er wirkte fokussiert und beobachtete doch jede Sekunde die neue Dame in seinen Reihen. Ihre langen Beine, das kurze elegante Kleid zogen die Blicke auf sich.
„Entschuldigen Sie mich.“ Mit einem leichten Nicken, löste der Diviano sich von der Gruppe der älteren Herren, tauchte hinter der Verführerin auf und legte seine Hand leicht an ihren Rücken. Sie konnte sich nicht helfen; es fühlte sich an als hätte er direkt einen Dolch in ihren Rücken gebohrt und das Blut quoll bereits in Strömen über seinen Handrücken. Sie hielt die Luft an, ein kalter Schauer ließ die Gänsehaut über ihren Körper rinnen. Ein zugeschnürtes Schlucken, der Blick demütig gesenkt.
„Kommst du bitte?“, raunte er leise direkt in ihr Ohr; beugte sich dabei von hinten über ihre Schulter. Ihre Muskeln spannten sich an, während sie wortlos nickte. Kalter Schweiß bildete sich auf den Fingern, während sie sich an ihrem Glas festhielt und steif die ersten Schritte nach vorn wagte; Rex in ihrem Rücken.
Aus dem Saal der Veranstaltung führte eine lange Treppe mit einer seichten Linkskurve auf einen Balkon, der rechts und links in schmalen Fluren mündete. Vom Balkon aus konnte man durch große Fenster auf die Stadt blicken, während in den Fluren einige Zimmer abgingen.
„Entspanne dich ein Bisschen“, raunte Rex väterlich, während er sie die Treppen hinaufführte und einem Bekannten zu nickte.
Gequält lächelte sie, während sie seine Finger nach wie vor am unteren Rücken spürte. Ein leises Knirschen war zu hören, als die ihrigen das feine Champagnerglas zu fest anpackten. Sie kamen oben an. Wie gelähmt erschien ihr der eigene Fluchtinstinkt. Sie kam nicht mal annähernd auf die Idee sich zu wehren, sondern saugte sich an der dunklen Erscheinung des Divianos fest. Er blickte zu ihr hinab. Das dunkle Haar wurde von feinen grauen Strähnen durchzogen, während die Augen diabolisch funkelten. Die schmalen Lippen verzogen sich zu einem aufmunternden Lächeln. Endlich löste seine Hand sich von ihrem Rücken. Sie dachte kurz darüber nach, zu fliehen da spürte sie seinen Handteller an ihrer Wange. „Du bist wirklich eine wunderschöne Frau. Komm mit.“
Und seine Hand ergriff ihre, führte sie den Balkon entlang in den Flur hinein. Ihre Schatten wanderten verzerrt an den Wänden mit. Sie wirkte hochgewachsen, während vor ihr ein Hirsch schritt. Wie ein kleines Mädchen klammerte sich die schmale Hand in dem dunklen Fell fest; folgte dem gewaltigen Tier in ein Zimmer hinein.
Verloren stand sie dort vor ihm und starrte in seinen Rücken, während sie glaubte, dass das Klacken der Tür im Schloss das Trommelfell zum Zerbarsten bringen könnte. In der unheilvollen Stille des Zimmers, fühlte sie sich wie ein kleines Kind und wagte es nicht den Blick von seinem Rücken zu lösen. Kurz glomm die Hoffnung in ihr, noch eine Chance zu bekommen. Sie verlor sich in den Gedanken, war unachtsam. Als sie zurückkehrte, stand Rex bereits vor ihr, hinter ihr, umfasste mit einem Arm ihren Bauch, hob die andere Hand und ließ das Messer mühelos durch ihre Kehle gleiten. Wild zuckend hing sie in seinen Armen, während das Blut warm über die weiße Haut rann und ein wunderschönes Kunstwerk des Todes auf seinem Arm und ihrem Brustkorb zauberte. Sie schrie still, wandte den schmerzvollen Seelenblick zur Decke. Rex wartete. Wartete geduldig bis das Gluckern verstummte; bis das Pfeifen der Kehle verebbte und sie schlaff in seinen Armen hing. Liebevoll hatte er sie in den Armen gehalten; wurde zu seinem eigenen Kunstwerk.
Lautlos ließ er sie zu Boden gleiten, ließ die Finger über die noch warme Wange gleiten. Schließlich hob er das Messer auf, stieg über den leblosen Körper, der seltsam verloren und doch passend auf dem Teppich lag. Wortlos ging er in das Badezimmer, öffnete den Wasserhahn. Verdünnt floss das Blut in das Waschbecken. Rex hob den Blick; betrachtete sein Spiegelbild. Schweigend sah er sich selbst an; blickte in das undurchdringliche Schwarz seiner Augen.
Hinter ihn erschien der schwarze Hirsch. Rex lächelte leicht, ging an dem Hirsch vorbei, tätschelte ihm den Hals und öffnete im Wohnzimmer einen Schrank. Den alten Anzug ausziehend, suchte er sich mit dem Blick bereits den Nächsten aus.
Neu eingekleidet, das Messer in dem Anzug verstauend, schritt der Hirsch durch den Flur die Treppe hinab und pflügte sich unheilvoll zwischen den Menschenmengen entlang. Niemand wusste, woher plötzlich das beklemmende Gefühl in ihren Brustkörben kam. Die Wenigsten interessierten sich dafür, wo Rex’ Begleitung geblieben war. War interessierte sich schon für eine schöne Frau, wenn es Dinge zu besprechen gab, die das eigene Ego hochpeitschten.
Der Hirsch senkte das Geweih, beobachtete aus den kleinen schwarzen Augen die Menschen; sah ihr Leiden, sah ihre Abgründe, ihre geheimsten Wünsche. Rex strich sich einen imaginären Fussel vom Ärmel, lächelte zufrieden. Obgleich er der Feierlichkeit den Rücken zukehrte, ruhte der schwarze Schatten des Divianos auf dem Hotel. Blut rann unter der Tür des Zimmers hervor, rann über den Flur, floss die Treppe hinab, legte sich gleich einem Sprühregen über die Anwesenden, besudelte ihre Seelen. Schattenhaft ragte der Hirsch über sie alle hinweg, erhob sich zu einer monströsen Gestalt. Sie alle tanzten nach seinem Tanz ohne, dass sie es mitbekamen.

Rex Diviano junior ist eine vor mir lange Zeit gespielte Figur in einem RPG.

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