So wie damals, im April

Bild von Giulia
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Das Rauschen der Kaffeemaschine ging beinahe in dem allgemeinen Gemurmel der Besucher unter. Jeder Platz war besetzt; auf jedem der bequemen Loungemöbel saß jemand. Entweder mit einem Bekannten, mit dem Partner oder allein um in den Laptop zu starren. Nichts hatte sich verändert. Wie jeden Tag war er morgens aufgewacht und er wusste in seinem Innersten; nichts war anders geworden und doch erschien ihm alles vollkommen glanzlos. Ein merkwürdiges Gefühl.
„Jo! Hey!...Jo!“ Eine Möwe schwebte an den großen Fenstern, die eine reibungslose Aussicht auf die Nordsee gewehrten, vorbei. Diesig wirkte der Himmel verschwommen. Einen schönen Sonnenuntergang sollte es heute nicht geben, aber das war sowieso selten auf Norderney. Spätestens in einer Stunde würde die Sonne hinter dem milchigen Dunst verschwinden. Ein ganz eigener Charakter von einem Sonnenuntergang. Er hatte eher selten was mit Romantik zu tun, sondern eher mit...Träumerein. „Jo!“ Die braunen Augen rissen sich von dem grauen Meer los; er drehte sich zu dem Barista herum, der bereits drauf und dran war ihm den Kaffee über die Finger zu kippen. „Meine Fresse, wo warst du denn gewesen?“
Wortlos schob Jo ihm das Geld über den Tresen. Das Metall war angewärmt, da er wie immer die Euros in der Hosentasche aufbewahrte, und schabte über das Holz. Ein leises Klacken vom Pappbecher auf dem Tresen; ein typisches Geräusch. Das allgemeine Murmeln wurde leiser, verschwamm mit der Musik, die aus den Lautsprechern säuselte. Entweder passte sich Norderney der kleinen Bar an oder aber die kleine Bar wurde für Norderney erdacht. Ein unbeschreibliches Gesamtgefüge. Es passte einfach alles.
Jo lehnte sich mit einer Schulter gegen die Tür, sodass diese dem Druck nachgab. In einer Hand den Kaffee, in der anderen das restliche Geld, trat er hinaus auf die belebte Promenade. Sofort wehte der Wind durch seine Haare. Fahrradfahrer waren noch unterwegs, aber scheinbar auf dem Weg nach Hause von einem langen Ausflug. Auf Norderney Fahrradfahren konnte zu einem Kraftsport ausarten an solch einem windigen Tag wie heute.
Unter seinen Schuhen knirschte der feine Sand, den die Leute vom Strand mit auf den Asphalt schleppten. Jo ging den Weg andersherum und trat von der befestigten Straße in den Sand. Er schwankte über die losen Sandkörner, knickte mal weg und stapfte schließlich wie jeder andere auch recht unelegant Richtung Wasser bis der Boden fester wurde. Hätte er nachgegeben, er wäre einfach im Bett liegen geblieben. Den ganzen Tag lang; nichts machen, sondern einfach nur herumliegen und sich der Melancholie hingeben. An keinem bestimmten Punkt blieben die Augen hängen als sie am Horizont entlang schweiften. Der Kaffee war wie immer gut. Gemütlich entschloss er sich doch noch einige Schritte am Wasser zu gehen, schob eine Hand in die Jackentasche, ließ sich den Wind ins Gesicht wehen. Ihm viel es schwerer als sonst den Fokus auf das zu lenken, was ist und nicht auf das, was war. Das was war, war vor einigen Stunden noch ein, was ist. Manchmal musste man auch die Emotionen feiern, oder? Jene, mit denen man sonst umgehen konnte; die man verdrängte oder kanalisierte. Man musste auch diese Gefühle mal spüren. Für einige Stunden, solange man wusste, es würde wieder besser werden. Morgen würde alles wieder besser sein.
Langsam ließ Jo sich in den Sand nieder, streckte die Beine aus, ehe er sie doch zu sich heranzog. Den Becher stellte er in den Sand, drehte in ein Wenig hinein. Wer hatte eigentlich gesagt, dass Männer immer die Harten sein mussten? Die Rationalen. Die, die nach außen hin weniger zugaben als die Frauen. Jo legte den Kopf in den Nacken, atmete tief die salzige Meeresluft ein. Er war sich sicher gewesen, dass sie weg war, komplett verschwunden als sie die Tür hinter sich zu zog. Das endgültige Geräusch des Schlosses, welches wieder einrastete, hallte in seinem Kopf wieder. Er war sich sicher die letzten Monate geträumt zu haben. Er war felsenfest davon überzeugt, dass sie ihn nicht mehr spürte und ihr Herz keine Flügel mehr hatte. Was war passiert.
Die Gedanken krochen in ihm hoch, bauten Szenarien und konnten nicht damit umgehen, dass es so war wie es nun mal war. Geduldig wartete Jo, beobachtete die Wellen und einige Möwen, die sich um einen Fisch kappelten. Er wartete, er beobachtete.
Ein seichtes Vibrieren zog durch seinen Brustkorb, während ein Lächeln seinen Mundwinkel umspielte. Er nahm den Kaffeebecher, stellte ihn zwischen seine Füße. Als er den Blick wieder hob, direkt auf das Meer blickte, konnte er eine Bewegung neben sich wahrnehmen; konnte sie spüren, ihre Haut, ihre Anwesenheit. Ohne zu sehen, sah er das Haar, welches vom Wind gezaust wurde. Sah ihre Augen, ihren Blick, ihre Aura. Jedes Detail manifestierte sich in ihm. Tief atmete er durch, spürte wie seine Lungen sich mit Sauerstoff füllten. Es war kein Märchen, es war kein Spiel, kein Traum. Sie hatten keinen Wahl und wenn der Weg sich hier gabelte; irgendwann würden sie wieder voreinander stehen.
Jo drehte den Kopf langsam zur Seite, schmunzelte leicht, stellte sich vor ihre Haut am Hals zu berühren.

Sie saß im Zug, blickte hinaus. Rastlos schossen die Bäume, Gebüsche und Häuser an ihr vorbei. Sie raste durch das Land und die Gedanken rasten in ihr. Nachdenklich tänzelten die Fingerspitzen auf ihrem Oberschenkel. Ein seichtes Vibrieren zog durch ihren Brustkorb als sie den Blick zum Himmel hob. Der Sonnenuntergang war heute keiner der romantischen Sorte. Milchig verschwand die Sonne hinter dem Dunst. Eine Schar Möwen tänzelte am Horizont entlang. Gänsehaut breitete sich an ihrem Hals abwärts hinaus. Unwillkürlich berührte sie die Stelle, ein Lächeln huschte über ihre Lippen. Aus Sehnsucht wurde Schönheit.
Wenn nicht in diesem Leben, dann im Nächsten.

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