Ein weiter Fächer aus funkelnden Sonnenstrahlen breitete sich auf dem grünen Teppich aus. Kleine Tautropfen fingen das Licht in den schönsten Farben des Regenbogens ein, während der frühmorgendliche Nebel nahe am Boden hing. Lautlos blieben die kleinen Diamanten an den Spitzen der Grashalme im dichten Fell der Vorderläufe hängen und tränkten dieses mit dem morgendlichen Gruß der Natur. Frei tänzelten die Pfoten über den Boden, streiften durch das Dickicht bevor der Tag vollkommen angebrochen war. Aishee ließ sich in der Mitte der weiten Wiese auf die Hinterläufe sinken. Ihr wacher Blick wanderte über das funkelnde Grün bis hinauf zum Horizont an dem sich kleine Bäume aufreihten. Der Nebel verfing sich in den Ästen und begann sich über den Kronen langsam aufzulösen. Schemenhaft blitzten die dämmrigen Farben des morgendlichen Himmels im Norden durch, während bereits die ersten Strahlen der Sonne ihr das Rückenfell wärmten. Vollkommen im Einklang mit dem Sein streckte sie beide Vorderläufe aus, reckte den Po gen Himmel und dehnte ausgiebig ihre Wirbelsäule. Freudig schnippten ihre Ohren gen Westen als sie das vertraute Wuffen ihrer Gefährten wahrnehmen konnte. Noch etwas träge die Hinterläufe ausstreckend, antwortete sie der kleinen Schar mit einem freundlichen Bellen.
Ashko, ihr Gefährte, kam im lockeren Wolfstrab über die Wiese gelaufen. Den Kopf stolz gehoben, die schmale Schnauze leicht geöffnet, hechelte er vor Wiedersehensfreude. Die Muskeln zeichneten sich unter dem schwarzen seidigen Fell bei jeder Bewegung ab; gebannt hatte er die Ohren spitz aufgestellt. Die letzten paar Meter gab es jedoch kein Halten mehr. Kläffend und bellend rannten die beiden Alphas aufeinander zu, balgten sich wie zwei Jungwölfe und wälzten sich über den Boden. Es dauerte nicht lang und schon stießen auch die beiden Betas mit dem vorletzten und letzten Wurf dazu, sodass eine ordentliche Rangelei in Gange kam. Kläffend, spielerisch schnappten sie nacheinander, zogen am Fell und den Ohren. Aufgeregt rannten die Jüngsten um das Knäul herum, versuchten hier und dort mit ihren kleinen Zähnchen jemanden zu necken. Zuerst ließ sich Talilah, eine der Beta, aus dem Knäul rollen, blieb schwer hechelnd auf dem Rücken liegen und wurde sofort von Anuka und Misha attackiert. Junas, der zweite Beta, stobte hervor, grollte spielerisch und tobte über die Wiese Richtung aufgehender Sonne, dicht verfolgt von Eureka, Reiko und Onabi, die sich einen Heidenspaß aus der Hetzjagd machten.
Das Revier des kleinen Rudels erstreckte sich über eine weite Wiese bis in ein dichtes bewaldetes Tal hinein. Stand der Wind ganz still, lauschte man mit weit geöffnetem Herzen hinein, konnte man das Plätschern des kleinen Baches deutlich vernehmen. Hinter dem Wald ragte der Gipfel eines großen Gebirges gen Himmel. Er war der Beginn eines, für die Wölfe, unüberwindbaren Bergpfades. Was dahinter kam wussten unzählige Legenden zu berichten.
Dass Aishee so vergnügt und überschwänglich begrüßt wurde, lag nicht etwa daran, dass sie viele Monde vom Rudel getrennt zubringen musste. Tatsächlich hatte sie sich auf den Weg gemacht um im Nachbarrudel zu hören, was die Vögel des gesamten Waldes dazu veranlasste das Tal zu verlassen. Eine Nacht blieb sie von den ihrigen Fern und ihre Rückkehr wurde gefeiert als wäre ein verschollenes Mitglied aufgetaucht. Mühselig richtete sich zum Schluss Aishee wieder auf, schüttelte sich den Tau aus dem Fell und stupste jeden einzelnen mit ihrer Schnauze an. Zum Schluss leckte sie Ashko über die Wange, der daraufhin seinen Kopf an dem ihrigen rieb.
„Wissen Bado und Gaya warum uns die Vögel verlassen haben?“, fragte Ashko leise als er sich mit seiner Gefährtin zurückfallen ließ, während die Jüngeren bereits zum Lagerplatz voraus trabten. Schulter an Schulter trotteten die beiden Alphas nebeneinander her; stets in der Gewissheit füreinander und das Ganze einzustehen. Aishee seufzte leise. „Nein, Ashko, leider wissen sie das auch nicht. Wir werden abwarten müssen. Vielleicht kommen sie wieder; vielleicht werden sie auf ewig fort bleiben.“
Kurz vor dem Lagerplatz blieben Talilah und Junas stehen, senkten die Köpfe und warteten demütig auf ihre Alphas. „Was werden wir nun machen?“, fragte Talilah, während Junas regelrecht in den viel zu stillen Wald lauschte. Sich der bedrohlichen Stille bewusstwerdend, sträubte sich ihm leicht das Fell. Er mochte diese Stille nicht. Nicht diese Art.
„Wir werden erst Mal jagen gehen“, wuffte Ashko bestimmt. „Und uns nicht weiter um die Befindlichkeiten der Gefiederten kümmern, solange es nicht unsereins betrifft.“ Junas wollte etwas erwidern, wurde jedoch mit einem bestimmten Blick zum Schweigen gebracht. Um seine Meinung zu unterstreichen, machte Ashko sich demonstrativ größer, sodass der Jüngere leise winselnd vor seine Pfoten kroch. Einen seichten Stüber seitens Aishee wurde das Thema ruhen gelassen.
Ein schillerndes seichtes Tuch der Nacht erstreckte sich am Firmament. Schweigend funkelten die Sterne und störten sich nicht im Mindesten an den fehlenden Gesang der Nachtigall. Dicht aneinander gedrängt lagen die Tiere im weichen Gras, die Schnauzen auf die Vorderläufe gelegt und betrachteten die kompromisslose Schönheit am Himmel. Aishee reckte die Schnauze gen Himmel und betrachtete den funkelnden Pfad, der sich im Nirgendwo verlor. Der Pfad in das andere Land, wohin jeder Wolf eines Tages gehen würde. Nichts konnte sie erschüttern oder daran hindern für das Ganze einzustehen, denn sie wusste immer, sie würde niemals verloren sein, denn das Ganze hielt wog jedes Lebewesen in seinen Armen.
Und das versuchte sie an ihre Kinder weiterzugeben. Sobald Trost gesucht wurde, erzählte Aishee die Geschichte von Naga, dem Ganzen. Doch heute schwieg sie. Heute ruhte alles, auch ihre eigene Stimme. Die Nacht vermochte genügend Trost zu spenden, sodass sie den Kopf wieder senkte als sie merkte, dass nicht nur Ashko neben ihr zum Ruhen kam, sondern auch Misha und Anuka, die Jüngsten, sich zwischen ihre Vorderläufe einrollten. Leise schniefend ließ Aishee sich auf dem Boden nieder und auf die Seite sinken, sodass sie an Ashkos warmen Körper lehnte. Sanft leckte sie mit der Zunge über die kleinen Körper der Welpen, drückte diese an ihren Brustkorb und ließ noch Mal kurz den Blick über ihr Rudel schweifen, ehe sie ebenso wie alle anderen die Augen schloss und sich der Stille der Nacht hingab.
Ich beim Schreiben sehr beeinflusst von Käthe Recheis' "Wolfsaga" Ein fantastisches Buch, das ich jeden ans Herz lege.