Kennt ihr solche Augen, die in ihrem Blick alles versammeln, was ein Mensch jemals gesehen hat. Augen, die alles erzählen ohne zu sprechen.
Ich habe solche Augen gesehen.
Das war damals, du weißt ganz genau welches Jahrzehnt ich meine. Damals, als die kleinen Städte noch klein waren, die Männer arbeiten gingen, die Kinder auf den Straßen spielten und man das Gestern und das Morgen nicht so genau nahm. Dann als die Alten nebeneinander im Schatten der kleinen Häuser auf den Bänken saßen, ihre Zigarren rauchten, redeten oder auch nicht redeten; Schach spielten oder nur auf die Figuren starrten. Mein Gott, fragte ich mich damals, wie kann man nur so viel Zeit haben bis ich begriff, dass sie gar keine Zeit hatten. Zeit, was war das schon für diese Leute? Brauchten sie nicht. Sie kamen auch ganz gut ohne die gemessene Zeit klar.
Ich bewegte mich gern in dieser kleinen Stadt. Jeder Schritt wirbelte den Staub der Straßen auf. Dieser legte sich direkt auf meine Füße, in meine Atemwege und unter die Kleidung, während die Sonne mir solange heiß auf die Haut brannte bis diese dunkel genug war, dass ich die Sonnenstrahlen als sehr angenehm empfand. Den einen Tag, es war so kurz nach der Mittagszeit, standen vier Männer inmitten auf der Straße und spielten ein Lied. Dass sie den wenigen Autos, die durch die Stadt fuhren im Weg standen, störte niemanden. Stattdessen gönnten die Fahrer sich diese Pause, stiegen aus, lehnten sich gegen die Karosserien und lauschten den gemütlichen Gesängen der Männer. Ihre Gesichter lagen im Schatten ihrer Hüte, dennoch konnte man die sonnengegerbte Haut erkennen. Ihre Zähne, wenn sie herzlich lächelten, bestanden zu einem großen Teil nur aus Stumpfen oder waren so gelb wie die Sterne am nächtlichen Firmament. Das tat jedoch der Herzlichkeit, die sie ausstrahlten, keinen Abbruch. Freundlich spielten sie ihre Gitarren, wackelten mit den Köpfen im Takt der Musik und freuten sich darüber mit einigen Menschen ihre Musik teilen zu können.
Ich drehte meinen Kopf zur Seite und blieb schließlich bei einem alten Mann hängen, der etwas Abseits auf einer Bank in der prallen Sonne saß. Sein helles Hemd war an den Ärmeln zerschlissen, die Haut fast schwarz, seine Hose so löchrig wie ein Käse. Ich blieb an den Füßen, die im Takt der Musik dezent wippten, hängen und schmunzelte über das Provisorium aus einer alten Sohle und Lederschnüren. Weder erfuhr ich je seinen Namen, noch seine Geschichte. Nach einem Blick aus seinen Augen war mir jedoch auf eine ganz unbekannte Art und Weise alles klar.
Das dunkle Braun schimmerte tief und mir war es als würde ich kleine Funken von Sternenstaub erkennen können. Es funkelte und glänzte in den Pupillen gleich einem Singsang aus Sonnenschein und aufgewirbelten Sand. Melancholie einer verlorenen Liebe legte einen leicht mattierten Schleier über das Funkeln der Lebensfreude, die sich wie feine Äderchen in beiden Augen ausbreiteten. Bei einem natürlichen Blinzeln gruben sich die Krähenfüßchen tiefer in die ledrige Haut. Er blinzelte länger als nötig; hielt gar regelrecht inne, lauschte hinein in den Strom, der ihn umgab; in dem er schwamm; der er war. Kaum, dass er die Augen wieder öffnete, Licht auf die Netzhaut traf verkleinerte sich die Pupille und gab dem dunklen Farbenspiel wieder mehr Raum zum Sein. Ein Blick zur Seite; Müdigkeit offenbarte sich. Sie hatten sicher schon unzählige Momente erblickt, ertragen, aufgesaugt und wieder vergessen. Ihr Fokus auf das, was ist, ließ sie im gleichen Augenblick zeitlos wirken. Er sah mich an. Ich wollte den Blick abwenden; wollte, dass er nicht mitbekam, wie ich ihn beobachtet hatte. Aber da war keine Missgunst, kein Hass, keine Liebe, keine Neugierde, sondern ein stilles, freundliches Erkennen. Ich konnte nicht anders als dieses zu erwidern und ich schwöre, solch ein Lächeln wie dieses, welches ich nach diesem Moment in die Welt hinausschickte, zierte nie vorher mein Gesicht.
Es tat gut zu wissen, dass man nicht allein war.
Gehört habe ich beim Schreiben folgende Lieder:
Buena Vista Social Club - Chan Chan
Clem Leek - Bless Those Tired Eyes