Freunde

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„Schon mal darüber nachgedacht?“, fragte er und legte seine Hände an ihre Taille.
„Worüber?“ Fragend wanderte ihre Augenbraue nach oben, ehe ein leichtes Lächeln sich in ihre Mundwinkel einnistete. Den Song kannte sie; den Song mochte sie. Ihre Arme schlangen sich um seinen Nacken.
Er antwortete nicht mehr. Langsame Runde nannten ihre Eltern diesen Tanz, den man eigentlich mit dem Partner bestritt, den man am Ende des abends am besten für sich gewinnen wollte. Kam es jedoch nicht der Bittersweet Symphonie näher, wenn es der beste Freund war, dem man in diesen Sekunden in die Augen blickte. Ihn ansah, in eine Rolle schlüpfte und doch gleichsam authentisch blieb, weil man ihm nichts vormachen musste. Er kennt dich, schoss es ihr durch den Kopf als ihr Gewissen sie fragte, ob ihr Blick nicht doch zu intensiv war. Das Teufelchen auf ihrer Schulter raunte, dass sie sich darüber Gedanken machen konnte, wenn er sie zu lang ansah; wenn er zu tief blickte, wenn das überhaupt noch ging. Sie waren nicht nur Freunde. Sie waren beste Freunde. Aber gab es nicht auch da 1000 Mal berührt und 1000 Mal war nichts passiert bis die 1001ste Nacht kam. Nein, so fühlte sich das überhaupt nicht an. Das hier, das war gut. Es fühlte sich gut an. Wie sie, in seinen Armen eingeschlossen, näher gezogen wurde und zum Takt der Musik tanzte; sich hin und her wog. Sie reckte sich. Jetzt kam der Kuss, aber nein; jetzt kam das Suchen nach Nähe. Bei ihm sein, weil es sich anfühlte wie es sich anfühlte. Nur mal so. Was wohl die anderen dachten? Das war auch egal.
Sie verstanden sich. Sie mussten nicht mal miteinander reden um sich zu verstehen. Es reichte ein Blick, den jeder andere als Flirt interpretierte, dabei war es nur eine stumme Kommunikation um sich abzusprechen, etwas zu klären oder auch nur um zu sehen, ob bei dem Anderen alles okay war. Würde sie das gegen Liebe eintauschen wollen? Niemals. Nie in ihrem Leben. Liebe war vergänglich, Freundschaft auch, aber das wollte sie nicht definieren. Nicht mit ihm, denn es war nicht definierbar. Warum musste alle Welt auch definieren, anstatt die Dinge so zu nehmen wie sie kamen. Sie daran zu erfreuen und zu sehen, was noch passierte.
Er zog sie näher. Ehe sie ihren Kopf an seine Schulter legte, kam der prüfende Blick, ein ausgesprochener blöder Spruch in seine Richtung, den er mit einem breiten Schmunzeln kommentierte. Das kam auch nicht oft vor. Um Gottes Willen. Sie kann sich an eine vergleichbare Situation nicht erinnern. Schwachsinn zu behaupten, man wäre wie Geschwister. Man könne auch nackt nebeneinander im Bett schlafen, es würde nichts passieren. Blöd war sie nicht und auch nicht unnötig romantisch, aber realistisch. Gesund realistisch. Sie schloss kurz die Augen. Für einen Moment das Jetzt geniessen. Die Musik, das Gefühl eher getragen zu werden als selbst zu laufen und seine Nähe. Die Nähe, die sie berührte ohne körperlich zu werden. Jeder sagte, man sollte für sich selbst stehen können; das konnte sie, so hart es klang. Sie brauchte niemanden, aber solche Menschen wie er machten das Leben viel süßer und besonderer. Sie spürte wie er seinen Kopf gegen ihren lehnte. Irgendwas wollte ihr einreden, das es zuviel wurde, doch der Großteil gestand es ihr für diesen Abend zu.

Die Lichter der Straßenlaternen huschten über den Lack des Autos, streiften das Innere der Karosserie und huschten von dannen. Ihr Blick hing auf der nassen Straße. Die Stadt spiegelte sich auf dem feuchten Asphalt. Das Rauschen der Räder war beinahe lauter als die leise Musik aus dem Radio.
Das vom Alkohol taube Gesicht lehnte in der Hand; der Arm am Rahmen des Fensters aufgestellt. Irgendwann hob sie den Kopf, drehte ihn leicht zu ihm und lächelte als ihre Blicke sich trafen. Ein schelmisches Grinsen zierte sein Gesicht. Ihre müden Augen wanderten über die Frontscheibe wieder zur Seite hinaus. Sie freute sich auf zuhause. Vermutlich war sie irgendwann eingeschlafen, denn sie fiel aus der Schwerelosigkeit wieder in die Realität zurück als das Auto anhielt. Benommen rieb sie ihre Hände über das Gesicht, schnallte sich ab und öffnete die Tür des Autos. War der Bordstein schon immer so hoch. Die kalte Herbstluft schlug ihr ins Gesicht. Müde lehnte sie sich mit dem Rücken gegen die Karosserie.
Er kam herum, trommelte kurz auf das Dach des Autos, ehe er sich neben sie stellte, ebenso angelehnt als müssten sie beide das Fahrzeug stützen und legte den Kopf in den Nacken. Das Geäst der kahlen Bäume rankte wie Gefäße durch den dunklen Nachthimmel. Irgendwann bewegte sie sich.
„Gute Nacht.“ Eine Umarmung, die gelöst wurde. Sie legte ihre Hände an seine Wangen, gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Schön, dass es dich gibt.“
„Denke ich mir auch immer wieder“, lachte er.
„Vollidiot!“ Ein Klaps gegen den Hinterkopf, ehe sie über die Straße ging zur Wohnung.
Alles in ihr freute sich auf das Bett. Leise betrat sie die Wohnung, machte nicht das Licht an, sondern schälte sich schweigend aus der Kleidung. Unschlüssig blieb sie im Flur stehen, entschied sich für das Zähneputzen und robbte in das Bett unter die Decke, legte ihren Arm um den schlafenden Menschen neben ihr. Es hätte sie gewundert, wenn er noch wach geblieben wäre.

Interne Verweise

Kommentare

26. Jun 2016

So schöne Bilder hatte ich im Kopf - und dann fast eine Ernüchterung. Eine starke Geschichte und der Wirlichkeit nicht fremd.

LG, Susanna

26. Jun 2016

Eine bemerkenswerte Geschichte, in der das vermeintlich Unmögliche möglich sein darf. Klasse. Ein Hoch auf solche Freundschaft, die sich gegen alle archaischen Muster richtet.
LG Monika

26. Jun 2016

Ich danke euch beiden sehr :-)

Einen wunderschönen Sonntagabend wünsche ich euch.

LG Giulia