Ibiskos

Bild von Dato
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Es war der erste warme Sommertag in diesem Jahr. Die Sonne schien durch das Fenster meiner Wohnung und zeichnete Streifen aus Licht an meine Wände. Ich entschied mich dazu, an die frische Luft zu gehen. Da ich keinen Plan hatte, lief ich einfach drauf los. Immer weiter Richtung Innenstadt. Wo man hinsah: Häuser, Menschen, grüne Bäume und Tiere, die die Luft mit ihren Geräuschen füllten.
An einem Park hielt ich inne und lauschte dem Gesang der Vögel. Wie schön doch die Natur sein kann, auch wenn man mitten in einer Großstadt lebt. Aber die Menschen, die Menschen sind das was mich am meisten stört. Sie denken immer sie haben nicht genug Zeit, nicht genug Raum und nicht genug Geld. Doch wer frei ist, den interessieren solche Dinge nicht. Zeit ist eine Illusion. Wer das was er hat nicht wertschätzt, nicht versteht, dass es andere, bessere Möglichkeiten gibt glücklich zu sein, der hat nicht verstanden wie das Leben funktioniert.
Auf einer Bank sitzend, schloss ich die Augen und genoss die Strahlen der Sonne auf meinem Gesicht. Etwas berührte mich am Bein und ich schreckte auf. Es war nur ein Hund, dessen Besitzer einige Meter hinter ihm lief. „Na du“, sagte ich. Der Hund legte seinen Kopf schräg und betrachtete mich ausgiebig. Ich fragte mich wie es wohl wäre ein Hund zu sein, aber verwarf diesen Gedanken bald wieder, da ich doch recht zufrieden bin ein Mensch zu sein und über solche Dinge nachdenken kann.
Als ich an der Ampel stand um in Richtung Supermarkt zu gehen, spürte ich, dass ich beobachtet wurde. Ein Mann in schwarzer Kleidung befand sich knapp 20 Meter von mir entfernt. Er starrte mir quasi direkt ins Gesicht. Ein bedrückendes Gefühl überkam mich und ich beeilte mich über die Straße zu kommen. Ich drehte mich zu ihm um, um zu sehen ob er mir folgte, doch er blieb einfach auf der Stelle stehen und schaute mich durchdringend an. Und an der nächsten Straßenecke wieder. Diesmal war es eine Frau. Völlig ungeniert gaffte sie mir hinterher, folgte mit ihren Augen jedem Schritt den ich tat.
Immer mehr Menschen schienen ein Interesse an mir zu entwickeln, denn alle guckten sie mich an. Durchbohrten mich mit ihren Blicken und lachten innerlich über mich. Über den komischen Typen der mit ungewaschenen Haaren und ohne Schuhe durch die Stadt lief. Bald schon entdeckte ich den ersten der sich von mir abwand. Er musterte mich ausgiebig, um dann so unauffällig wie möglich seine Richtung zu ändern, damit er mir gar nicht erst begegnen würde.
Eine Familie bog um die Ecke und blieb vor mir stehen. Jeder Einzelne von ihnen, sogar das kleinste Kind, starrte mich an. Es schien mir als müsse ich etwas Sonderbares an mir haben. Das Gefühl wurde nur verstärkt als die Mutter ihre Kinder plötzlich an der Hand packte und zurück in die Richtung zerrte aus der sie gekommen waren. Dieses sonderbare Gefühl wollte mich nicht loslassen. Es erdrückte mich fast.
Kein Mensch schien mehr auch nur in meine Nähe kommen zu wollen. Bei einem Mindestabstand von 30 Metern machten sie auf dem Absatz kehrt und rannten fast schon vor mir weg. Auch als ich endlich den Supermarkt erreicht hatte lief es nicht anders. Am Eingang stand ein Obdachloser der einen alten Kaffeebecher mit Kleingeld in der Hand hielt. Als er mich sah, flüchtete er, ohne dem Mann, der ihm gerade ein paar Cent in den Becher werfen wollte, auch nur die geringste Beachtung zu schenken.
Vorsichtigen Schrittes betrat ich den Laden. Der Eingangsbereich leerte sich und jeder Einzelne suchte sich eine Ecke in der er den größtmöglichen Abstand finden konnte. Was zur Hölle war denn los? Die Menschen drängten zur Kasse um so schnell wie möglich aus dieser Höhle des Monsters zu fliehen, um sich ihrer Angst nicht stellen zu müssen. Und doch hörten sie nicht auf mich unentwegt anzustarren. Jedes Mal wenn ich einen neuen Gang betrat, war es als stünde ich in der Straße einer Geisterstadt. Überall standen Körbe oder Einkaufswägen, stehen gelassen um den schnellstmöglichen Fluchtweg einzuschlagen. Konservendosen und Verpackungen achtlos auf den Boden geworfen nur um dem Löwen zu entkommen.
Langsam hatte ich genug davon. In einem Spiegel im Fleischregal studierte ich ausgiebig mein Aussehen, doch konnte nichts Außergewöhnliches finden. Ich sah aus wie immer und doch musste ja irgendetwas die Leute verschrecken. Es machte mich wahnsinnig.
Beim Bezahlen schaute die Kassiererin mich mit einem verängstigten Blick an. Schweißperlen standen auf ihrer Stirn und ihr ganzer Körper zitterte. Sie wirkte wie ein Hase, der Angesicht zu Angesicht mit dem sicheren Tod stand. Als ich ihr das Geld übereichen wollte, zitterte ihre Hand so stark das das Geld daneben viel und mit einem lauten Klimpern auf dem Boden aufschlug. Es schien nicht so als ob sie das Geld aufheben würde, sie rührte sich keinen Zentimeter, bis ich den Laden endlich verließ.
Schockiert blieb ich auf der Stelle stehen. Vor dem Laden hatten sich drei Polizeiwagen versammelt vor denen eine Hand voll Beamte standen und wortlos ihre Waffen auf mich richteten. Ich wartete auf ein Signal von ihnen, etwas das erklärte was sie taten, was ich getan hatte, doch es kam nicht. Sie sprachen kein Wort, bewegten sich nicht, fast als wären sie Statuen, die jemand in den 15 Minuten, in denen ich im Supermarkt gewesen bin, aufgestellt hatte.
Plötzlich bewegte sich einer von ihnen. Er trat zur Seite um eine Frau durchzulassen, die direkt auf mich zu steuerte. Ich traute meinen Augen kaum als ich meine Schwester erkannte. Mit glasigen Augen packte sie mich an den Schultern und rüttelte an mir. „Alex“, rief sie in mein Gesicht. „Alex!“ Sie schüttelte mich so stark, dass ich das Gefühl bekam mein Kopf könne gleich von meinen Schultern fallen. „Alex!“
Ich stehe in meinem Schlafzimmer, vor mir meine Schwester. Als sie mitbekommt das ich wieder bei mir bin, lässt sie mich los. Schwer atmend stehe ich da, gucke mich um, wage es nicht auch nur einen Schritt zu tun. „Alex, du hattest schon wieder einen Anfall. Bitte, bitte lass dich einweisen, ich weiß nicht mehr was ich mit dir tun soll.“ Tränen laufen ihr über das Gesicht, ich beiße mir auf die Unterlippe.
Ich sollte einfach akzeptieren, dass ich schizophren bin und die Hilfe annehmen die mir angeboten wird.
„Gut“, antworte ich „lass uns losfahren.“

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